„Ich bin einfach nicht bereit, aus SM, also meiner Sexualität, einen Lifestyle zu machen, der dann vorgefertigten Inhalt bietet. Sehr im Trend stehen gerade Polyamorie, Bisexualität, Hedonismus und Persönlichkeitsentwicklung via Körpererfahrung. Eines davon muss man sich dann vermutlich bald antun, um dazuzugehören. Was für Inhalte liefert denn die Szene, damit sie heute noch als Subkultur durchgeht? Party all the time, jeder fickt jeden, alles schön easy peasy?
Dem muss ich zustimmen.
Es gibt bestimmte Codes, bestimmte Verhaltensweisen, die quasi sowohl klar ausgesprochen aber auch unausgesprochen implizit indirekt verlangt werden:
Dieses "man macht doch" und "man macht doch nicht".
Aber auch das variiert je nachdem ob man abstrakt mit "der Szene" zutun hat, etwa in Form eines, aus meiner Sicht doch recht unpersönlichen, Umgangs über das Internet, oder ob man sich irgendwo tatsächlich zu einem Stammtisch trifft.
Man bemerkt aber schon, dass eine "Mehrheitsvorstellung" über "die Szene" auch auf reale Umgebungen überschwappt. Das liegt meiner Wahrnehmung nach aber an der Suche nach Orientierung und Gruppenidentität. Teils liegt es auch daran, dass sich, wie bei allen Szenen, ein Mehrheitsbild recht hart versucht durchzusetzen.
Nehmen wir etwa die ewigen Diskussionen darüber was "Dom tut" und was "dom nicht tut", aka. "was ist ein echter Dom?" Diese Diskussionen gibt es immer wieder, weil Menschen zweierlei Dinge wollen.
1. Menschen wollen dazugehören und deshalb wollen sie wissen, wie sie sich zu verhalten haben um eben dazuzugehören. Man fragt also wie man sich verhalten solle um genau das zu erreichen. Das sind die, die in die Szene kommen wollen und neu sind.
Beispielfrage: "Ist es okay, wenn ich als Dom meine Sub lecke?" Nein? Oh, dann lasse ich das lieber, sonst bin ich ja kein echter Dom und gehöre nicht dazu.
2. Menschen wollen Anerkennung und die Bestätigung dafür, dass sie alles richtig machen. Sie wollen, dass ihr Verhalten als "okay" gesehen wird. Und sie wollen Abgrenzung. Identität gibt es leider für viele nur in Form von Abgrenzung. Deshalb schaut man sich Verhaltensweisen heraus, die vermeintlich anders sind und grenzt sich verbal sehr direkt davon ab. Das sind dann diejenigen, die anderen erzählen wollen was sie angeblich nicht tun dürfen.
Beispiel: Da fragt jemand ob es okay sei seine Sub zu lecken. Sowas machen wir doch nicht! Wenn er das tut, dann gehört er nicht zu tun, denn ich tue es auch nicht. Und wenn es okay wäre, dann würde ich mich ja falsch verhalten und müsste mich fragen ob ich alles richtig mache. Das geht nicht!
Dann wird es plötzlich dogmatisch.
Und natürlich wird ein implizierter Druck aufgebaut: Gruppenzwang.
Ein Gruppenzwang kann direkt oder indirekt sein.
Direkt ist er, wenn man von Gruppenmitgliedern etwas sehr klar formuliert verlangt.
"Lebt Poly!"
Indirekt ist er, wenn man es zwar nicht so formuliert, bestimmte Verhaltensweisen aber schlicht still bejaht werden, während über anderen die Nase gerümpft wird. Etwa, wenn in nahezu jeder Diskussion so getan wird, als sei poly das nonplusultra und "next level shit", wenn man BDSMer sei.
Ein Beispiel, das mir in der Bondageszene eine Zeit lang wirklich auf die Nerven ging:
Wechselnde und lose Fesselpartnerschaften, "Partnersuchbörsen", der Habitus, dass man als aktiver Rigger am besten mit mehreren Bunnys gleichzeitig fesselt, mal hier und mal da das Seil ansetzt und es bei der Partnerwahl weniger auf emotionale Verbindungen zwischen den Menschen, als auf schlichten Bock zu fesseln ankommt wird dort in vielen Bereichen sehr gepflegt.
Das ist völlig okay, wenn man das so mag. Es fühlt sich mitunter nur so als als suche man Menschen mit denen man Wandern, Tennisspielen, Abends mal Bowlen, zu einem Häkelkurs oder Dart spielen geht. Hobbymässig halt. "Ich suche für Abend XY ein Bunny", völlig austauschbar und ohne persönliche Bindung, einfach nur weil beide am selben Ort irgendwas mit Seilen machen wollen. Als wäre man bei einer Yoga-Gruppe. Und das machen viele. Viele lassen sich mal hier, mal da fesseln. Ich nenne das mittlerweile scherzhaft "Rope-Swingen". Das ist aber völlig okay, wenn Menschen das so tun wollen. Ich möchte mich nur keinem Druck aussetzen, weil ich damit nichts anfangen kann. "In der Szene" bleibt man aber faktisch nur, wenn man das auch so mitmacht.
Mir geht es jetzt nicht darum diese Art des Umgangs und diese spezielle Szene zu kritisieren, denn am Ende entscheidet jede Person selbst wie sie ihr BDSM begeht. Diese Resilienz zu sagen, dass man etwas nicht so machen möchte wie es eine Szene vermeintlich vorgibt, bedarf dann jedoch Souveränität, da man schief angeguckt werden könnte. Zusätzlich darf man dann nicht mit dem Anspruch an eine Szene herangehen unbedingt dazugehören zu wollen.
Vieles an dem Szenehabitus, nicht nur bezogen auf die Bondageszene, sondern auch auf die BDSM-Szene stört mich. Bei der BDSM-Szene ist es etwa ebenfalls der Bäumchen-Wechsel-Dich Charakter, der mitunter suggeriert, dass wechselnde Partner und ein offenes Spiel auf Partys mit irgendwem nicht nur normal seien, sondern dazugehörten. Für mich nicht. Auch das "SM-Swingen" ist nicht meines.
Und so lebe ich damit, dass ich zwar sage ich gehörte zur Szene, weil ich mit der Szene Überschneidungen habe und hineinschaue, zudem Dritte einen immer zu "der Szene" zählen, wenn sie wissen, dass man BDSMer ist, bin mir aber auch gewahr, dass ich keine Gruppenidentität suche, die bedingen würde, dass ich mich einem Gruppendynamik unterwerfe und die "Codes" eben einer solchen Gruppe annehme.
Man muss keine Gruppenidentität suchen. Bei manchen BDSMern habe ich das Gefühl, bzw. kommunizieren manche das sogar sehr direkt, dass sie ausser BDSM nichts mehr tun. Das dies ihr Lebensinhalt sei und die gesamte Freizeit ausfülle, sie auch bewusst nur noch soziale Kontakte in der Szene pflegen. Ich kann nun nicht sagen, dass BDSM nicht auch meinen Alltag mit prägt. Das wäre quatsch, denn diese Neigung gehört zu mir. Ich bin was ich tue, das schalte ich nicht selektiv an oder aus. Dennoch ist es mir in den letzten Jahren sehr wichtig geworden, dass ich in meinem Leben nicht nur eine Säule habe, nicht nur ein Hobby, nicht nur die eine Sache mit der ich mich als Person identifiziere. Entsprechend kann ich wunderbar damit leben, dass ich, weil ich bestimmte unausgesprochene "Codes" nicht mitmache da sie nicht zu mir gehören, von manchen nicht als Teil der Szene gesehen werde, entsprechend auch nicht eingebunden werde. Fine by me.