Meine Güte, das ist ja eine Menge neuer Text geworden, finde ich erstaunlich, wie es die Gemüter beschäftigt - grade die, die keine offene Beziehung führen (cruiserman: diese Diskussion wegen des Begriffs bringt uns meines Erachtens nichts, wenn der Begriff so nunmal egal ob semantisch wirklich korrekt, steht und verwendet wird).
Ich pick mal ein paar der meines Erachtens wichtigsten Sachen heraus.
Aber wieso denn sowas aushalten!?
Das ist doch schrecklich! In einer Beziehung will ich mich doch geborgen und sicher fühlen. Wieso muss ich dann was aushalten?
Man MUß garnichts, genau darum geht es. Manche Menschen lernen im Leben früher oder später, daß sich zu fordern (auch emotional), die eigenen Gefühle in Frage zu stellen und ihren Kern zu suchen, ob man sich nicht eigentlich etwas vormacht und Gefühl xyz (Eifersucht, Verlustangst etc.) ihren Ursprung gar nicht in den Handlungen eines anderen haben, sondern in der eigenen Geschichte, eigenen Unvollkommenheit - daß diese Suche und das Verstehen einen persönlich weiterbringt, ruhiger und zufriedener macht ... glücklicher. Wenn man aufhört, die Gründe für negative Empfingungen oder Urteile in der eigenen inneren Welt zu suchen, Prägungen, negative Erfahrungen etc., kann das sehr befriedigend sein. Da man sich selbst verändern kann, kann man auch diese negativen Empfindungen verändern, dauerhaft. Das ist wie Selbsttherapie und dauert lange, erfordert Kraft und den Wunsch, das zu tun. Wenn man aber (wie in monogamen Beziehungen häufig ganz selbstverständlich) sagt "mir geht es nicht gut, wenn Du das machst, also laß das", dann wird man sich immer schlecht fühlen, wenn xyz passiert. Wenn man aber sagt "Wieso geht es mir damit nicht gut? Muß das so sein? Wie könnte ich das denn noch sehen?", hält man das unangenehme Gefühl GEWOLLT erstmal aus und ergründet es.
Diese Strategie darf man schrecklich finden, man kann sie aber auch als etwas sehr wertvolles erleben.
Eine offene Beziehung ist m.E. wie eine feste Beziehung, nur dass es wechselnde Geschlechtspartner gibt und scheinbar Treue keine Rolle spielt.
Einspruch. Das hängt von der Definition von Treue ab, Treue gibt es sehr wohl in solchen Beziehungen, sie ist die Grundlage des Vertrauens - im Gegensatz zu Affären, bei denen es eben um Untreue geht.
Treue ist per Definition, daß man sich an Absprachen hält. Wenn die Absprache ist "kein Sex mit jemandem außer mir", dann ist eine Affäre "Untreue". Wenn die Absprache ist "Ich habe ein Veto gegenüber möglichen neuen Partnern, wenn ich mit diesen partout nicht kann", ist es Untreue, sich daran nicht zu halten etc.
Das ist eben der Crux an der Monogamie: da man daran gewöhnt ist, garnicht über die Begriffe nachzudenken, weil ja "alles ganz logisch" ist, wird Treue und sexuelle Exklusivität vermischt, es sind aber zwei Dinge.
Die Kinderfrage ...
Und was ist wenn die Kinder rauskriegen das Vati ne andere poppt und Mutti letzte Woche auch nen anderen hatte?
Kinder kommen damit klar da sie es ja nicht anders kennen.
Da hebelt es mich schon aus.
Kinder haben sehr empfindliche Seelen und leiden sehr.
Das Familienbild gerät ja schon bei einer Trennung völlig aus den Fugen und sie glauben da schon eine Mitschuld zu tragen!!!
Da sind wieder zwei Dinge vermengt, die grundsätzlich wieder nichts miteinander zu tun haben, aber in monogamen Beziehungen natürlich zusammenhängen - in MONOGAMEN Beziehungen.
Kurz gesagt haben die Kindern in polyamoren Beziehungen von denen ich weiß, überhaupt keine Probleme mit der Beziehungsform an sich. Erwachsene ja, da wird getratscht und gelästert, meist aus Eifersucht, genauso wie bei homosexuellen Eltern oder unehelichen Kindern in der Vergangenheit. Aber Kinder gehen damit entspannt um - wenn es die Eltern tun. Und sind meistens sehr erfreut, wenn sie mehr Personen haben, die sich um sie kümmern und sie lieb haben. Stabilität in der Beziehung ist hier wichtig, aber das auch in monogamen Beziehungen.
Es kann Probleme geben, wenn sie in die Pubertät kommen und erkennen, daß die Eltern offenbar nicht geschlechtsneutral sind (das wird ausgeblendet, jeder der sich mal erinnert, wird das bestätigen). Denn kommt ein Mensch dazu, der nicht von Geburt an dabei ist und man selbst entdeckt die Sexualität und es schwirrt ständig im Kopf herum, will man sich a) sowieso abgrenzen von den Eltern und b) ist Sex der Eltern einfach nur ekelhaft, mit so einem dritten oder vierten Menschen aber nur schwer zu ignorieren. Aber Schaden nimmt da keiner von, das gibt sich meistens wieder und manche Kinder haben auch in der Pubertät kein Problem damit, ist individuell. Und bevor die Frage kommen sollte ...
Und Trennung können natürlich passieren, egal ob monogam oder nicht. Das ist in monogamen Beziehungen aber meistens viel problematischer, da dort ja die neuen Partner die eigene neue Beziehung massiv abgrenzen - in polyamoren Beziehungen zumindest ist das aber nicht notwendig. Man muß sich nicht trennen, wenn man noch jemanden liebt oder zusammen leben möchte und man muß nicht aus Haß oder Verzweiflung Schlachten ums Sorgerecht führen, weil es Haß und Verzweiflung nicht geben muß, wenn man auseinanderzieht, weil man einfach nicht so gut zusammen funktioniert. Das kann unglaublich Druck rausnehmen aus der ganzen Situation.
Wie bitte soll ihnen erklärt werden, dass Mami einen anderen Mann und papi eine andere Frau (auch) liebt ?
Indem man es ihnen sagt.
Versucht Euch mal aus eurer Erwachsenen-Welt mit Sexualität und dem ganzen monogamen Prägungskram in die Kinderwelt zurück zu besinnen ... In der Kinderwelt gibt es lauter Menschen, die geliebt werden auf nicht-romantische Art (Eltern, Großeltern, Verwandte, Geschwister). Eine andere Art der Liebe gibt es in dieser Welt nicht. Automatisch wird davon ausgegangen, daß die Eltern auch nur diese Art der Liebe teilen, weil das Kind eine andere ja gar nicht kennt. Deswegen ist Sexualität ja völlig ausgeklammert. Wenn also jemand dazu kommt, den Mami und Papi auch lieben, was ist dann dabei? Ist für das Kind so, als ob Mami und Papi ein Geschwisterkind FÜR SICH bekommen, nichts weiter. Wenn es ein Einzelkind ist, kann das natürlich problematisch werden, weil es die Erfahrung "Geschwisterkind" nicht hat und gewohnt ist, nur zu teilen. Dann kann es dem Kind genauso schwer fallen, sich darin einen Gewinn vorzustellen, wie ein monogam lebender Mensch sich Polyamory als Gewinn - und nicht nur als Verlust vorstellen mag. Weil die Erfahrung der Vor- und Nachteile einfach fehlt. Es kann dem trotzdem offen gegenüber stehen und die Eltern sind da entscheidend, wie sie das vermitteln. Es kann aber auch zumachen und das verweigern. Ist aber AUCH wieder individuell und hängt stark davon ab, wie die Eltern damit umgehen.
Oder wie Kelene schon schrieb:
man kann schon viel reininterpretieren in den satz : "papa ist am woen bei gabi" - aber vielleicht nur als erwachsener ! ein kind macht sich überhaupt keine gedanken drüber, was die beiden erwachsenen da treiben könnten
oder Isobel:
Könnten wir mal die Kinder vor der Schlafzimmertür lassen ?
Tut man ja in einer monogamen Beziehung auch, oder ?
Eben.
ich sehe hier vielmehr das problem in der eifersucht. die angst der partner könnte sich von einem abwenden. doch ist das so?
Wieder: das ist individuell, was man empfindet, wie man reagiert. Hat damit zu tun, wie der eigene Partner damit umgeht, wie fest die gemeinsame Beziehungsbasis ist, wie ich ticke, wie der Neuankömmling agiert - kann man nie vorhersagen, kann sich mit der Zeit auch ändern. Außerdem sind Eifersucht und Verlustangst zwei Dinge (das ist wieder die monogam übliche Verquickung, die aber nicht generell besteht). Eifersucht ist ziemlich selten und eigentlich nur Neid auf den Neuankömmling, wenn der etwas bekommt, was ich nicht bekomme, aber haben möchte. Dann kommuniziere ich entweder meine Bedürfnisse nicht ausreichend oder mein Partner versteht sie nicht oder er will sie nicht erfüllen. Das ist dann aber ein Beziehungsproblem zwischen MIR und MEINEM Partner - der Neuankömmling hat nur die Aufmerksamkeit darauf gelenkt und trifft keine Schuld.
Verlustangst ist sehr viel häufiger und eine Sache, die meines Erachtens auch unheimlich mit monogamer Prägung, Beziehungssicherheit wegen kindlicher Erfahrungen und Selbstbewußtsein zu tun hat. Das kann enorme Ausmaße annehmen und liegt in MIR als Problem. D.h. ich alleine kann sie überwinden, indem ich herausfinde, warum ich sie habe und das meinem Partner mitteile. Dann kann er mir helfen, mein Sicherheitsgefühl aufzubauen. Verlustangst hat mit der konkreten Person eines Neuankömmlings und dem, was in der neuen Beziehung abgeht, aber erstmal aber nichts zu tun.
weil ich in ihm sehe dass das was ich ihm "ermöglicht" habe glücklich macht.[...]es heisst immer geben und nehmen. ich würde das lieber mit geben und gegeben bekommen beschreiben,
Sorry Kalene, aber das ist total naiv gg
Du erlaubst es deinem Partner ne andere zu vögeln, bevor er dir Fremd gehen kann? Denk mal nach
Sorry kleine_feuchte, das ist total naiv, Kelene weiß zufällig wovon sie spricht, wo Du theoretisierst.
Ich wollte es genau wegen der Frage wissen, die Du auch schon beantwortet hast, nämlich, ob es schwerer ist, nach Jahren eine Beziehung zu öffnen oder sich von Beginn an für dieses Modell zu entscheiden.
Das ist pauschal auch nicht zu beantworten, wie gesagt, wer wie reagiert, hat unendlich viel mit den individuell beteiligten Personen, ihrer Geschichte und Prägung zu tun, Konfliktfähigkeit, Selbstvertrauen etc etc. Wenn ein Mensch partout monogam ist, helfen auch dreissig Jahre traumhafte Beziehung nicht, wenn der andere sich zusätzlich verliebt und erkennt, daß er polyamor fühlt und diese zweite Liebe auch leben möchte, weil es hier eben um Liebe geht und nicht einfach Sex. Der monogam gestrickte oder Selbstreflektion-verweigernde Partner wird a) das "Geschwisterkind" für sich nicht als Bereicherung, sondern nur als Verlust und Bedrohung empfinden und b) die Empfindung "ich liebe Euch beide" seines Partners auch nicht verstehen und damit vermutlich auch nicht glauben wollen oder können.
Aber generell ist die Regel unter Polys: Polyamory (also die Öffnung auch für LIEBE) funktioniert nur, wenn die bestehende(n) Beziehungen stabil und gefestigt sind. Also auch unter bekennenden Polys, nicht nur die Öffnung überhaupt.
Das Veto:
personenbezogen war es bisher immer.
Was ja voraussetzt, dass man das evtl. Date des anderen "kennen" muss. Wie muss ich mir das in der Praxis vorstellen? Teilt ihr euch stets alle anderen Kontakte von Anfang an mit, auch schon in der Kennenlernphase?
Ok, bei uns hat das Veto bisher real keine Rolle gespielt, die Situation kam nie, wir haben aber auch ein Veto für den Notfall vereinbart. Aber das liegt an zwei Dingen meines Erachtens: 1. Wir sind beide sehr darauf aus, uns vor Beginn von irgendetwas auszutauschen, wer uns da interessiert und möglichst frühzeitig eben den anderen auch kennenzulernen und in Treffen zu dritt oder viert "reinzuhören", ob die Dynamik gemeinsam zu passen scheint. Wir haben unsere GAU's mit monogamen Menschen, die uns aber sehr wichtig geworden waren, beide schon durch und daher ist das Interesse an einem "das paßt nicht nur zu zweit, sondern eben auch gesamt" sehr groß. Und zweitens: wir vertrauen uns sehr stark, daß der andere jeweils nicht einfach blindlings verknallt losraßt und Warnsignale außer Acht läßt, daß da jemand mono ist und uns furchtbar belasten kann, wenn die Gefühle erstmal gewachsen sind. Selbstkontrolle, aber die will gelernt und geübt werden.
freiheit bedeutet, keine verantwortung...
... ist in der Verallgemeinerung einfach nicht richtig, der Grad der Freiheit ist mit dem Grad des Verantwortungsbewußtseins variabel, zeitlich, räumlich, beziehungstechnisch, KEIN und ABSOLUT gibt es da sowieso nie.
Oder wie cruiserman schrieb:
Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein regeln Freiheiten und Freiräume in einer Beziehung.
Und noch etwas vollkommen richtiges:
Meine Meinung nach, um eine Partnerschaft offen zu gestalten muss man zuerst eine haben. Damit meine ich, eine Partnerschaft muss vorhanden sein, mit den Verbindungen und Emotionen die dazu gehören, die überlebensfähig ist, egal ob monogam oder nicht. Dazu gehören zwei, die die Hauptdarsteller dieser Beziehung sind und in ihren Mittelpunkt stehen. Das "offene" kann dadurch eine weitere Eigenschaft sein, dieser Beziehung sein, ohne sie gefährden zu können.
@****is: Danke.