„@*********_lust
Zitat von *********_lust:
„Der harsche Ton hier im Forum, wieso das alles? Was bringt das, wer Recht hat oder nicht, wer intellektuell besser gestellt ist, privilegiert ist oder nicht? Es ist etwas, dass man verlieren kann, sei es durch einen Schlaganfall, sei es durch einen Autounfall oder psychische Krankheit. Anstatt dass wir als intelligente Erwachsene die Welt zu einem besseren Ort machen, streiten wir uns wie kleine Kinder, messen wie Pubertierende, ich bin in einigen Aspekten auch nicht besser, ich weiss das auch, dass ist das einzige, dass ich mit Sicherheit weiss und ehrlich gesagt, ich schäme mich dafür.
Einer der wichtigsten Teile - ganz neben all dem, was du ohnehin schon Wahres gesagt hast.
Was es bringt: Nun ja - ich lese in jedem Thread und in unzähligen Beiträgen - einen massiven Frust heraus. Bei allen Beteiligten. Und das, wenn man so will, als "systemisches Problem".
Und das hat auch was mit all den "Labels" zu tun, wie "sapiosexuell" eins ist, das hat
@**C ja schon ganz nett hervorgehoben, mit denen sich alle selbst bekleben und hervorheben wollen.
Versuchen wir dem auf den Grund zu gehen, so Schritt für Schritt.
Grundfrage: Was machen eigentlich alle hier?
So ganz generell: Sie haben Interesse an Sexualität, Erotik, Beziehungsformen - also irgendeine Form von "intimer sozialer Konstruktion". Also etwas ur-menschliches, das ganz tief in uns verankert ist. Das ist, was alle hier verbindet, dieses Interesse an diesem ur-menschlichen, intimen, sensiblen Kern. Was über dieses Interesse hinausgeht - das ist so individuell wie jeder einzelne. Die einen wollen Daten, die anderen nicht. Die einen wollen sich austasuchen, die anderen nicht. Wieder andere suchen feste Beziehungen, die nächsten einfach nur täglich abwechselnde Befriedigung durch ONS. Viele mögen Veranstaltungen, sexpositive Parties und Clubs - manche schreckt genau das eher ab und sie sind lieber unter sich.
Aber allen gemein ist das
Interesse an Intimität.
Nun haben wir es hier dann aber mit einer kommerziellen Plattform zu tun. Wie es bei Plattformen so ist, stellen sie lediglich den Boden zur Verfügung, auf der die Nutzer ihre Pflänzchen aussähen können, wenn man so will. Aber: Die Struktur formt die Gedanken. Wenn bei einem großen sozialen Netzwerk "Was machst du gerade?" als Vorgabetext in einem Textfeld steht, dann möchte der menschliche Geist nichts mehr, als genau diese Frage beantworten. Und das kann er dann auch nur über Text, denn Text ist ja das Kommunikationsmedium, das an der Stelle dann vorgegeben wird.
So ist das hier auch: Es gibt klare, strukturelle Vorgaben für die Kommunikation. Standard ist Text - mit allen intellektuellen Beschränkungen, die das mit sich bringt. Und auch mit allen impliziten Bewertungen, die das in den Hirnen der Nutzer mit sich bringt. Ist ein Nutzer eigentlich mit einem schönen Geist ausgestattet, kann sich aber einfach nicht ausdrücken oder leidet an Legasthenie? Da Text das Kommunikationsmittel der Wahl ist, wird er es schwer haben, diese "Schönheit seines Geistes" darstellen zu können. Man würde ihm einfach nicht glauben.
Die Logik des Systems an sich - ein wie erwähnt kapitalistisches - ist darauf aus, für den Betreiber Geld zu verdienen. Entsprechend gibt es vorgegeben systemische Beschränkungen. Kommunikationsaufnahme ist einseitig nur mit Hilfe von finanziellem Einsatz möglich - oder über die Erzeugung von Aufmerksamkeit.
Aufmerksamkeit wird zum großen Teil über das Forum generiert oder auch über den Chat. Dinge, die weniger finanziell potente Teilnehmer kostenlos nutzen können.
Kennst du den alten Spruch "Auch negative Werbung ist immerhin Werbung"? Ungefähr so dürfte es (
unbewusst, niemand würde das zugeben oder auch in einer Selbstreflexion für sich selbst so benennen) funktionieren, wenn sich "mit harschem Ton wie pubertierende Kinder" gestritten wird.
Zum einen ist es eine große Frust-Abfuhr. Der Ärger, die Verzweiflung, ja die Einsamkeit, die ein kapitalistisch getriebenes System fast schon notwendig erzeugt, sucht sich ein Ventil. Und gleichzeitig gibt es andere, die das wiederum toll finden. Das streben nach Anerkennung - das tiefe Bedürfnis, doch einfach nur lieb gehabt zu werden - sorgt dafür, dass eine Spirale aus Selbstaufwertung und Fremdabwertung in Gang gesetzt wird. "Bewertungen" sind dabei genauso inhärent wichtig, wie das Ausdrücken eben jener - immerhin braucht in einem kapitalistischen System alles einen "Wert". Es muss eine "Leistung" geben, denn es kann ja nicht sein, dass es Menschen einfach leistungslos gut geht.
Rein strukturell werden hier also die intimsten, sensibelsten, zärtlichsten Eigenschaften, die uns Menschen ausmachen, in eine kapitalistische Struktur gezwängt -
ja wir zwängen sie tagtäglich selbst hinein weil wir nach und nach so sozialisiert wurden. Und genau das erzeugt den Frust, der sich dann in immer wiederkehrenden Streitereien entlädt.
Wer das hinterfragt oder gar anzweifelt bekommt sofort harschen Gegenwind zu spüren. Der wird dann nämlich auch zum Opfer der Selbstaufwertungs- und Fremdabwertungsspirale, wollen alle anderen "Marktteilnehmer" ihm dann doch das Verständnis absprechen und ihn durch eben diese Abwertung vom "Markt" ausschließen.
Entziehen kann man sich dem nicht. Es ist strukturell nicht möglich. Wenn alles was du hast ein Hammer ist, wird alles andere wie Nägel aussehen. Und wenn alles was du tun kannst, in einem auf Aufmerksamkeitsgenrierung getrimmten System beruht - dann kannst du nur auf irgendeine Weise Aufmerksamkeit generieren. Ob positiv oder negativ, das sei dahin gestellt. Immerhin bist du im Gespräch.
Gut geschrieben.