@******gor
Ob "man" als Dom sich anders verhält, kann ich dir nicht sagen. Ich kann dir sagen, dass ich niemanden behandeln würde, von dem ich weiß, dass sein oder ihr Trauma gerade aktiv ist. Der oder die Traumatisierte weiß, wann das Trauma aktiv ist und kann das auch artikulieren. Normalerweise sind Menschen in diesem Zustand sehr mit sich selber beschäftigt und wollen nicht auch noch eine Session, die dann nicht als entspannend sondern als belastend erlebt wird.
Dagegen hat ein Traumatisierter ein ziemliches Problem sich zu artikulieren, wenn das Trauma (z.B. gerade mitten in einer Session) getriggert wird und reaktiviert. Die physischen Effekte, die sich im Gehirn auswirken, führen zum Ausschalten der kognitiven Fähigkeiten und damit auch des Sprachzentrums. D.h., er oder sie kann nicht mehr bzw. nur noch rudimentär sprechen (unzusammenhängend, stammelnd, stotternd), die Ratio ist ziemlich inaktiv. An der Stelle werde ich dann nicht mehr als Rigger erlebt sondern ich bin der Täter von damals. An dem Punkt muss ich abbrechen und mir einige Stunden Zeit lassen, um meinen Partner wieder zurück in die normale Welt zu begleiten, also dorthin, wo das Trauma nicht ist.
Ich halte nichts von Reinszenierungen von Trauma. Wie aber schon in meinem ersten Beitrag zum Thema festgestellt, muss eine SM-Neigung oder auch ein SM-Spiel, das sehr nahe an einem erlebten Missbrauch ist, nichts mit dem Missbrauch selber zu tun haben. Man darf nicht vergessen, dass ein Orgasmus oder sichtbare sexuelle Erregung lediglich ein physischer Reflex ist, der nicht viel mit dem psychischen Zustand zu tun haben muss, in dem man sich dabei befindet.
Auch Traumatisierte sind erwachsene Menschen. Wenn das Trauma verarbeitet ist, dann wissen diese Leute sehr genau, was sie tun. Wenn es nicht verarbeitet ist, dann wissen sie oft nicht einmal, dass sie traumatisiert sind und der Dom erfährt es vermutlich auch nicht.
Ein Trauma ist nicht per se ein Grund, kein BDSM zu betreiben, auch wenn es mit Gewalterfahrungen verbunden ist. Dagegen sind Angstattacken, von denen der Sub weiß, dass sie in einem konkreten Setup immer wieder auftreten, ein Grund, dieses Setup nicht zu wählen. Es soll Spaß machen, und Angst-Angst im Sinne von Panik und Todesangst ist sehr verschieden von einem erregt Sein und einer erregenden Angst davor, was als nächstes passiert.
Ich habe nichts gegen Wunschzettelsubs, mithin also "topping from the bottom" und ich wüsste nicht, warum es dabei einen Unterschied zwischen Leuten mit und ohne negative Vorerfahrungen geben soll. Jeder hat Wünsche, Fantasien und Ideen, dazu muss man keinen "Gewaltkomplex" o.ä. haben. Wenn mir jemand "härter" sagt und ich bemerke, dass er oder sie das wirklich genießt, dann geht es auch härter. Der Grund ist recht einfach: Der oder die Sub langweilt sich, wenn es nicht hart genug ist; wobei jeder seine Langeweile-Grenze wo anders hat. Ich bin switcher und in der Maso-Rolle kann ich es nicht leiden, wenn ich zu zartfühlend behandelt werde; ich will mehr spüren als sanftes Streicheln. Aber ich habe natürlich auch als Sadist meine eigenen Grenzen und die sind u.a. dort erreicht, wenn ich den Eindruck bekomme, dass es kein lustvolles Leiden und kein Lust-Schmerz mehr ist sondern ein Leiden-Leiden und ein Schmerz-Schmerz. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen jeden, der m.E. selbstzerstörerische Tendenzen zeigt oder Psychodramen veranstalten will, zum Psychologen zu schicken. Ich bin nicht qualifiziert für solche Menschen und BDSM, das auf physische oder psychische (Selbst-) Verletzung abzielt, praktiziere ich nicht.
Wahrscheinlich hat jeder Maso, egal ob mit oder ohne Missbrauchs-Vorgeschichte mal eine härter, schneller, weiter Phase in seinem Leben. Aber irgendwann kommt vermutlich bei jedem, der BDSM gesund betreibt, der Punkt, an dem aus härter, schneller, weiter ein Besser wird. Es wird subtiler, spezifischer, nicht "härter".
Und selbstverständlich verändert sich mein Verhalten, wenn ich von einem der genannten "Komplexe" erfahre. Ich frage immer nach Tabus, Grenzen und Ängsten, wie ich auch nach körperlichen Einschränkungen frage. Ich würde z.B. nicht auf die Idee kommen, ein Seil absichtlich auf einer schmerzenden Narbe zu platzieren. Was für physische Narben gilt, gilt auch für psychische.