Ich beziehe mich auf den ursprünglichen Post, der nach einem fiktiven Szenario klingt, und auf die nachfolgenden Beiträge der TE, die danach klingen, also ob sie von sich selber spricht.
Bei dem Glauben, dass BDSM-ler frühe Gewalterfahrungen hatten, handelt es sich um ein unfundiertes Vorurteil. Es gab mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema, ob frühe Gewalterfahrungen und BDSM korrelieren. Die Antwort war eindeutig: nein. Quellen dazu findet man, wenn mit einer bekannten Suchmaschine, deren Namen ich nicht nennen will, nach den Begriffen BDSM und Trauma gesucht wird bzw. nach nach BDSM Trauma abuse as child. Das ist inzwischen sogar schon in der Spektrum der Wissenschaft nachzulesen, siehe
https://www.spektrum.de/news/bdsm-wie-sadomaso-fans-ticken/1437565 Und man mag sich wundern (oder auch nicht), warum dieser Artikel zu den am häufigsten dort abgerufenen gehört.
Jedoch gibt es etwas, was man Reinszenierung nennt (siehe auch andere Antworten). Ich zitiere aus
https://www.traumatherapie.de/users/schubbe/schubbe6.html "Mit Reinszenierungen sind Gewalthandlungen gemeint, die in der Folge der sexuellen Traumatisierung auftreten, obwohl sie nicht mehr vom Täter ausgehen."
Es gibt Fälle, bei denen Reinszenierungen bis ins Erwachsenenalter auftreten, und zwar dann, wenn das Trauma nicht verarbeitet wurde. Oft wissen Traumatisierte (trotz Erinnerungen an die Erlebnisse) nicht, dass sie traumatisiert sind. In der Folge kann auch keine Verarbeitung im Sinne einer bewussten Auseinandersetzung mit dem Trauma stattfinden. Z.B. werden Flashbacks nicht als Flashbacks verstanden und Trigger nicht als Trigger. - Als BDSM-ler kann man trotz Traumatisierung ausschließen, dass man etwas reinszeniert, wenn man sich daran erinnernt, dass man BDSM-Fantasien schon vor der Traumatisierung hatte. Im Fallbeispiel ist das offenbar nicht gegeben. Im Umkehrschluss kann man allerdings keinen Zusammenhang zwischen dem Genuss von BDSM und der Traumatisierung herstellen.
Im konkreten Fallbeispiel wird von einem ca.9-jährigen Mädchen gesprochen, das misshandelt wurde bis sie 16 war. Eine solche Erfahrung steckt niemand "einfach so" weg. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dies zu Störungen im Bindungsverhalten und der Persönlichkeitsentwicklung führt, inkl. komplexer posttraumatischer Belastungsstörung und möglichen Persönlichkeitsstörungen. Das gestörte Verhalten fällt dem Betroffenen oft gar nicht auf, er kennt es ja nicht anders. Ich würde der fiktiven jungen Dame auf jeden Fall zu einem Besuch bei einem Traumatherapeuten raten. Den gleichen Ratschlag würde ich der Dame auch geben, wenn die Ereignisse schon 20 oder 40 Jahre zurück liegen. Sie kann sich dort diagnostiezieren lassen und ggf. eine Therapie beginnen. So etwas wird kein Spaziergang bei dieser Vorgeschichte. Dabei geht es um die Traumaverarbeitung, nicht um ihre Leidenschaft für BDSM.
Im Fallbeispiel werden Schamgefühle thematisiert. Das ist nichts ungewöhnliches beim Coming Out von BDSM-lern. Vermutlich findet sich das auch irgendwo in der Kindheit wieder, wenn Wertewelten vermittelt wurden in der Richtung, dass dies oder jenes "schmutzig", "pervers" oder "unanständig" ist, dass "man so etwas nicht tut". Pervers oder unanständig ist immer nur das, was derjenige dafür hält, es fehlen die objektivierbaren Kriterien. Bei dem geschilderten Elternhaus würde ich so etwas unterstellen. Es gibt Fälle, bei denen Menschen durch Zweifel geplagt werden, ob eine "Neigung", die sie haben, durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst wurde oder ob dies tatsächlich etwas ist, was sie wollen oder was sie sind. Dies führt zwangsläufig zu inneren Konflikten. Die Person will etwas, sie verspürt Lust dabei, gleichzeitig hat sie Zweifel, ob das, was sie tut, tatsächlich das ist, was sie will. Die Person fühlt sich schlecht bei dem, was ihr Spaß macht. Auch in diesem Fall ist es sinnvoll, einen Psychologen zu konsultieren.
Im Fallbeispiel wird auch dargestellt, dass die junge Frau sich immer wieder Männer als Partner sucht, die sie schlecht behandeln. Aus meiner küchenpsychologischen Sicht sind BDSM und Partnerwahl und damit Bindungsverhalten zwei unterschiedliche Baustellen. Dass bei diesem Elternhaus das Bindungsverhalten der Dame nicht normal (im Sinne einer gesunden Mehrheit, bei der er es keine Kindesmisshandlung gab) ist, unterstelle ich ganz einfach. Wir erlernen Bindungsverhalten sehr früh. Es ist auch keine Neuigkeit, dass Kinder, die von den Eltern bzw. vom Vater misshandelt wurden, dazu neigen, sich Beziehungspartner zu suchen, die sich ebenso verhalten. Siehe z.B.
https://psychiatrie.tirol-kliniken.at/data.cfm?vpath=medizinische-psychologie1/publikationen5/lampe_pr_april2013 , wo es heißt: "51 % der in der Ehe misshandelten Frauen berichten über Gewalt in der Herkunftsfamilie. Frauen, die in ihrer Herkunftsfamilie Zeuginnen familiärer Gewalt waren, haben eine um 600 % höhere Wahrscheinlichkeit später durch ihre Ehemänner misshandelt zu werden. Dabei erweisen sich die Gewaltbeziehungen als äußerst stabil." Abermals ist es sinnvoll, einen Psycholgen aufzusuchen. Die Absurdität der Stabilität solcher Gewaltbeziehungen lässt sich den Betroffenen nicht "einfach so" vermitteln. Eine gesunde Persönlichkeit wird sich nach einem einzigen gewaltsamen Übergriff distanzieren. Was sagt das im Umkehrschluss über Persönlichkeiten aus, die sich auch nach jahrelangen Gewalterfahrungen nicht distanzieren?
Voraussetzung für einen Besuch beim Psychologen ist wiederum die Einsicht, dass man Hilfe braucht und die Fähigkeit, diese Hilfe auch anzunehmen.
Mein Kommentar zu den beiden ursprünglichen Fragen ist:
Ist dieses Erlebnis in der Kindheit vielleicht doch der Grund für die Neigung? - Die Frage nach der Neigung ist falsch. Die Ursachen für BDSM sind ungeklärt, empirisch sieht es nur danach aus, dass BDSM-ler oft sensation seeker sind. Es gibt keinen wissenschaftlich haltbaren Nachweis einer Korrelation zwischen BDSM und Trauma, dafür aber eine Menge Vorurteile in der Richtung, dass dahinter doch etwas / ein Erlebnis stecken muss.
Wird hier ein Trauma unbewusst immer wieder hochgeholt und ausgelebt? - Vielleicht im Rahmen einer Reinszenierung. Aber dann ist das keine Neigung und mit der Traumavararbeitung wird die Reinszenierung aufhören oder kontrollierter stattfinden. Und: Womöglich wäre die BDSM-Neigung in einer anderen Konstellation nur anders zum Vorschein gekommen. Was ich damit sagen will ist: Auch nach einer Aufarbeitung der Erlebnisse in diesem kranken Elternhaus kann die BDSM-Neigung noch vorhanden sein oder gar dann, endlich, mit einem unbeschwerten Genuss und einem gewaltfreien Partner gelebt werden.
Man beachte, dass ich nur Küchenpsychologe bin. Eine konkrete Diagnosestellung durch einen auf Trauma spezialisierten Psychologen oder Psychiater ist für diesen Fall angezeigt. Der erste Ansprechpartner ist der Hausarzt und der wird (wenn er halbwegs gut informiert ist) feststellen, dass der gewöhnliche psychologische Psychotherapeut mit so einem Fall überfordert ist und dann einen Spezialisten suchen. Ansonsten ist Traumazentrum der richtige Suchbegriff.