„"Stillstand ist Rückschritt, Aufhören des Strebens geistiger Tod!"
Stillstand würde für mich in diesem Sinne bedeuten am Ende meines Lebenswegs angekommen zu sein, im diesem Status in dem ich mich gerade befinde dann bis zum körperlichen Ende zu verharren.
Tatsächlich erkenne ich in den Argumenten Vieler hier genau diesen Verharrungszustand. Man hatte große Pläne in der Jugend, die man dann der Realität der ersten längeren Beziehung, den Kindern, dem beruflichen werdegang oder einfach der eigenen Trägheit geopfert hat.
Mitte 40 hat man dann keine Kosten und Mühen gescheut um dieser unseligen Beziehung zu entfliehen und endlich die Freiheit zu geniessen, die man sich so lange ersehnt hat.
Anstatt aber tatsächlich Träume zu realisiern, tritt man voll auf die Bremse um rechtzeitig mit 50 die selbstbestimmte Resignation zu entdecken und das Ende des Lebens in vollen Zügen befürchten zu können.
Ich habe weiß Gott bereits genug erlebt, vermutlich viel, viel mehr als die meisten meiner Altersgenossen erleben durften. Ich liebe und habe geliebt, Kinder großgezogen, die Welt bereist, Häuser gebaut, bin auf Berge geklettert, habe für Ideen und Ideale gekämpft, mich politisch nicht ganz unerheblich engagiert und in sichtbare Reihen gekämpft, Bäume gepflanzt, und meine sexuellen Neigungen in allen Facetten ausgelebt und tue dies auch heute noch gerne und exzessiv.
Ich bin jetzt 62, seit einigen Jahren zum dritten Mal verheiratet und hatte zwischendurch und nebenher etliche Spielbeziehungen mit ganz lieben und tollen Menschen. Zu manchen dieser Menschen habe ich auch heute noch gute Kontakte, andere haben sich auf andere Wege aufgemacht.
Ich wurde nach einem Infarkt wieder ins Leben zurückgeholt und habe selbst meine einst todkranke Tochter wieder ins Leben zurückkehren sehen.
Ich habe aber auch bereits eine Partnerin neben mir sterben sehen und meinen besten Freund auf diesem endgültigen Weg begleitet. Ich wollte sochon mal den Rest meines Lebens ganz bewusst alleine bleiben und habe es keine 6 Monate geschafft.
Was hat sich gegen Mitte dieses Lebens geändert? Vieles und eigentlich doch Nichts.
Es ist ein Weg mit immer neuen Biegungen und Überraschungen, Höhen und Tiefen.
Ich bin anspruchsvoller geworden, deutlich geradliniger und enger gefasst in dem was ich für mich akzeptieren will und kann. Gleichzeitig fällte es mir aber auch immer leichter toleranter und großzügiger zu sein. Ich bin streitbarer geworden, ungeduldiger, genügsamer, ruhiger und großzügiger.
Zu wissen was ich will und vor allem was ich nicht will, offene Kommunikation und ein Weg ohne wirkliches Ziel, aber ganz sicher ohne Stillstand hat mich immer wieder zu interessanten Orten, Möglichkeiten, Situationen und Menschen geführt.
Auch meine jetzige Beziehung war eine zufällige Begegnung auf einer Party. Von beiden nicht gesucht und nicht forciert, aber im entscheidenden Augenblick angenommen. Wir haben in der ersten Stunde unsere Lebensgeschichten ausgetauscht, in der ersten Woche unsere menschliche und sexuelle Kompatiblität festgestellt, uns in den folgenden Wochen ausgetobt und in den folgenden Monaten einfach die Liebe wachsen lassen. Aus den anfänglichen Ambivalenzen ist größtmögliche Harmonie entstanden.
Da ist nichts mehr was stört, weil die beidseitig vorhandene Lebenserfahrung die ebenfalls beidseitig sehr hohen Ansprüche nicht als Probleme wahrnimmt sondern als Chancen.
Liebe und Partnerschaft bedeutet für uns auf dem gleichen Weg zu sein, in die gleiche Richtung zu schauen, und nicht in bereits erreichten Gemeinsamkeiten zu verharren.
Ich bezweifle, dass diese Schilderung irgendeinen dieser verstaubten mittfünfzigen Besorgnis- und Bedenkenträger, der Lebenserfahrung nur negativ behaftet sieht, tatsächlich zum Aufstehen aus dem aus dem Ohrensessel bewegt.
Mein Leben ist zumindest mit 62 noch lange nicht im Bremsvorgang angelangt. Es wird zunehmend bewusster, lebendiger, bunter mit jeder Erfahrung die da irgendwie dazukommt und vermutlich erlebe ich das Ende in voller Reisegeschwindigkeit.
LG, BoP (m)