Ich glaube, bei all diesen externen Dingen wie handwerkliches Können, Probleme lösen etc. ist heutzutage eigentlich jedem klar: Männer und Frauen können das grundsätzlich gleich gut. Nicht alle Männer sind muskelbepackte Testosteronbündel, die müssen auch mal jemanden fragen, ob er bei schweren Dingen mit anpackt, und auch Frauen unterscheiden sich wie Männer in Bezug auf Körperkraft und z. B. informatisches Verständnis voneinander.
Bei diesem Seestern-Dingens, von dem du am Anfang schreibst, geht es m. E. um etwas anderes. Ich meine, ich kann einen Bohrhammer bedienen und auch softere Renovierungsarbeiten machen, aber ich mag es trotzdem total, weich zu sein, mich anzuschmiegen und mich fallen zu lassen. Mein Fallen-lassen-Ich ist kein Angriff an meine Kompetenzen als Heimwerkerin und Geschäftsfrau, und meine berufliche und heimwerkerische Kompetenz ist kein Angriff an meine weiche Seite. Ich bin beides, und genau deswegen ist beides bei mir auch schön.
Jetzt könnte man bei dir ja sagen: Mit dir stimmt alles. So, wie du bist, bist du okay. Nicht jeder muss es mögen, weich zu sein, sich treiben zu lassen, anzuschmiegen und in jemand anders zu zerfließen. Das hat auch nichts mit Mann- oder Frausein zu tun, denn auch Männer mögen dieses Weiche oft sehr gern an sich, wenn sie entsprechen gehalten, geschützt werden und sich dabei geborgen fühlen, diese Seite wird nur seltener nach außen sichtbar gemacht. Aber ich kenne und achte genug Männer, die genau das sind und tun.
Wenn du dich selbst so, wie du bist, okay fühlst, dann kann dir der Rest der Welt am Buckel vorbeirutschen. Du bist es nämlich. Und wenn du dich dann auch noch so fühlst, ist alles gut.
Da du aber den Thread eröffnet hast, gibt es vermutlich irgendwo in dir eine kleine Stimme, die sagt, dass der Ist-Zustand nicht okay ist. An dieser Stelle kann ich als Mitleserin etwas Feedback geben und spiegeln, und du kannst schauen, in welcher dieser Möglichkeiten du dich wiederfindest, oder ob es bei dir in eine ganz andere Richtung geht.
1.) So, wie du bist, magst du dich eigentlich total gern. Da ist nur so dieses Unbehagen, weil andere sagen könnten, du bist es nicht. --> Mögliche Lösung: Hab dich selbst mehr lieb für das, was du bist. Dabei wird dir vielleicht helfen, wenn andere sagen, dass sie es ähnlich erleben wie du, aber die Wahrheit ist natürlich, dass du die innere Sicherheit an der Stelle in dir selbst finden musst.
2.) Dein Unbehagen an dieser Stelle ist der Hinweis darauf, dass es eine Seite in dir gibt, die lange zu kurz kam (vielleicht auch durch die biografisch erlernte Form von "richtiger Weiblichkeit" als Macherin-Sein). Eine weiche, treibende, träumende Facette, die sich danach sehnt, getragen und gehalten zu werden, fließen zu dürfen, geschützt zu werden.
Wenn es dieses Gefühl ist, dann könnte in dir ein Gefühl von Widerspruch entstehen: Dieses weiche Gefühl wird gesellschaftlich mit "Weiblichkeit" assoziiert (obwohl Männer es, wenn sie es erleben, genauso mögen). Die Frauen in deiner Familie, die höchstwahrscheinlich auch wichtig und wertvoll für dich waren und deine weiblichen Rolemodels sind, haben dir jedoch ein ganz anderes Weiblichkeitsbild und -ideal mitgegeben.
Und damit wird es dann auf einmal zu einem Politikum in einem Spannungsfeld zwischen deiner Herkunftsfamilie mit Rollenbild eins und "der Gesellschaft", die (zumindest an vielen Stellen) Rollenbild zwei in Bezug auf Weiblichkeit als Ideal setzt. Auf einmal wird daraus eine Frage der Loyalität, in zutiefst irrationaler Weise: Wenn du gegen das Rollenbild aus der Herkunftsfamilie verstößt und dich für das Rollenbild in der Gesellschaft entscheidest, bist du dann nicht illoyal gegen all diese guten, starken, selbstbewussten Frauen, die so viel geschafft und erreicht und dir so viel mitgegeben haben?
Und an dem Punkt könnte es, wenn es dieser Punkt ist, sogar zu einer Frage des Erwachsenwerdens im Sinne von Individuation über die Herkunftsmuster hinaus werden, wenn man den Gedanken weiterdenkt.
Denn ehrlich gesagt ... Wenn du neben deinen ganzen starken, aktiven, gebenden Persönlichkeitsfacetten auch Persönlichkeitsfacetten hast, die gern weich sind und sich treiben lassen und gehalten werden ... Dann ist das wahrscheinlich einfach so. So ziemlich jeder Mensch, den ich kennengelernt habe, hat das, und trotzdem sind die meisten stark und können ihr Leben wuppen.
Wenn du also einen bisher etwas vernachlässigten Persönlichkeitsanteil "nach Hause holen" möchtest, in dich selbst, als ein Teil deines Seins, dann sagst du damit nur etwas über dich selbst aus. Weder über deine Familie noch über die Gesellschaft. Nur über dich selbst und darüber, dass du als freie und erwachsene Frau all das sein darfst, was du möchtest, mit ganz vielen Widersprüchen und heute mal so und morgen ganz anders.
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Und vielleicht ist es auch noch mal ganz anders, als ich hier als möglichen Gedankenanstoß aufzuzeigen versucht habe.