Hier wird über sich immer wiederholende, fast ritualisierte Streitigkeiten gesprochen. Und wie selbstverständlich nehmen viele an, dass sie schädlich sein müssen. Es gibt aber eine Variante dessen, die gar nicht toxisch sein muss - wenn man das mal für sich annimmt.
Stellt Euch folgende Situation vor.
Ein Mann arbeitet den ganten Tag im "Home Office", seine Partnerin kommt von ihrem Arbeitsplatz nach Hause, freut sich und berichtet über irgendein banales Erlebnis auf dem Nachhauseweg.
Der Mann sagt: "Ich bin jetzt echt genervt, eine Videokonferenz nach der nächsten, Telefonate, die labern mich zu, ich habe hier Zeitdruck, und jetzt kommst du mit diesem Pillepalle."
Streitet er? Die meisten würden sagen, ja, das macht er.
Wie wäre es, wenn er anfügt: "Das ist jetzt kein Vorwurf gegen dich, Schatz, aber ich bin gerade echt durch und ein nervliches Wrack?"
Das klingt schon anders, oder? Der Mann ist schlicht am Ende seiner Kräfte und schildert sehr emotional, was ihn überfordert, und dass das "Pillepalle" das Gehirn überfordert. Ja, er könnte es natürlich netter sagen - doch vielleicht hat er gerade nicht die Kraft, beste Kommunikationstechniken anzuwenden. Und er ist ehrlich; er zeigt deutlich, was ihn gerade umtreibt. Stellt seine Partnerin keine überzogenen Anforderungen ("Er muss immer ein offenes Ohr für mich haben, egal, was ich wann sage"), kann sie es ihm aus guten Gründen verzeihen.
Und noch etwas: Er wertet die andere Person nicht ab. Die Heimkommerin würde - dies habe ich in der Schilderung ja unterstellt - den Inhalt ihrer Erzählung vielleicht ebenfalls als "Pillepalle" ansehen. Belanglose Plaudereien gehören zum Beziehungsalltag, bloß nicht in jedem Moment. Schaut man also genau hin, war in der Bemerkung des "Home Office"-Mannes im obigen Dialog gar nichts Abwertendes gegenüber seiner Partnerin enthalten. Er vertraut sich ihr vielmehr an und schildert plastisch seinen Zustand - etwas, was er gegenüber einer Chefin oder einem Kollegen nicht so einfach tun könnte. Diese Möglichkeit stellt sogar etwas Besonderes in der Beziehung dar.
Vergleichbare Situationen hatte ich in Partnerschaften - in beide Richtungen gewandt - schon sehr häufig erlebt. Man kann für sie mit der richtigen Einstellung aus den genannten Gründen auch dankbar sein, wenn man möchte. Unvertretbar wäre diese Haltung nicht. Grenzwertig wird es hingegen, wenn "ad personam" gesprochen wird, also der andere im Wert herabgesetzt. "Ich hatte einen stressigen Tag und brauche eine Stunde Ruhe" fällt nicht in diese Kategorie.
Meine Eltern hatten, wenn sie sich - scheinbar - gestritten hatten, stets zwei, drei Muster, nach denen es ablief. Irgendwann konnte ich fast wörtlich sagen, wie es weitergehen würde. Merkwürdigerweise passte zwischen die beiden im Zweifel aber kein Blatt, wenn es darauf ankam.
Sie "stritten" nicht, indem sie die andere Person angriffen, sondern sich teils lautstark ihren Gefühlszustand mitteilten oder die Kleinigkeiten, die ihnen nicht passten, extrem verdeutlichten. Wenn mein Vater putzte (er liebte es), beschwerte sich meine Mutter darüber, wenn seine Hände tropften. Aus irgendeinem Grunde konnte sie es nicht leiden. Sie sagte aber nicht, dass sie meinen Vater nicht leiden könne, und dass sie es schätzt, dass er so fleißig putzte, wussten beide. Leider fielen dabei auch regelmäßig Worte wie "immer" und "nie", und andere Ausdrücke von Absolutismen, die man ja vermeiden sollte. Das wussten sie aber nicht.
Als älteres Kind wollte ich dann irgendwann schlichten - und beide hackten gleichsam auf mich ein. Nach einiger Zeit machte mir beide klar: Sie wollen das gar nicht. Sie wollten diese aggressiven Diskussionen, sie gaben ihnen etwas.
Nun war es nicht gerade so, als hätte ich diese Atmosphäre irgendwie als beglückend empfunden. Vor Kindern, die dies nicht einordnen können, sollte man es eher bleiben lassen. Jedoch gibt es in Beziehungen Schlimmeres.
Nein, ich möchte hier nicht den Griesgramen und den Schimpfspatzen einen Kommunikationspreis verleihen. Es geht auch anders. Wenn man aber zusammenbleiben will, muss ein gelegentlich grummeliger Partner aber keine Katastrophe darstellen. Schlimmer finde ich diese pseudocharismatischen Dauergrinser, die hinter dem Rücken das Messer wetzen.
Just my few cents.
Beste Grüße
Alexander