****************uerilla:
Was bleibt, wenn Du gehst?
Diesen Satz habe ich vor einigen Jahren auf einem Aufkleber auf einer Toilettentür eines IKEA gelesen. Und seit diesem Tag geht mir diese Frage nicht mehr aus dem Kopf.
Ich bin bzw. war im Rettungsdienst tätig und fahre Krisenintervention. Sterben ist für mich eine notwendige Selbstverständlichkeit geworden. Wenn es im direkten Umfeld passiert, empfindet man es dennoch anders.
Ich habe vorletztes Jahr einen guten Freund beerdigen müssen. Die Beisetzung mit
militärischen Ehren war wirklich würdevoll, aber spätestens ab dem Trompeter war die Fassung vorbei. 38 Jahre sind wahrlich kein Alter zum sterben. Aktuell genau so alt zu sein, lässt das Ganze jedoch noch etwas
näher kommen.
Auch aufgrund meiner Depression ist ein Suizid (
gefühlt) eine valide Option. Nein, ich bin nicht akut gefährdet und habe keine entsprechenden Gedanken. (Für Menschen, die diese Gedanken haben: Es gibt im Internet sehr gute Hilfsangebote. Ihr seid nicht alleine!) Aber diese potenzielle Option existiert in meinem Kopf.
Daher habe ich mir diese Frage schon sehr oft gestellt. Bücher wie 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen regen dabei auch sehr zum Nachdenken über die eigenen Entscheidungen an.
Das letzte Hemd hat keine Taschen, heißt es so schön. Niemand von uns kommt hier lebend raus und mitnehmen wird auch niemand etwas.
Mir persönlich brachten und bringen diese Überlegungen allerdings auch sehr viel Ruhe und Gelassenheit. Wenn ich an das große Ende denke, nimmt mir das sehr viele Sorgen und Last.
Meine Großeltern sind vor einigen Jahren gestorben. Mein Großvater nach kurzer, schwerer Krebserkrankung innerhalb einiger Wochen. Meine Großmutter einige Jahre später, nach über einem schweren Jahr zunehmender Demenz.
Gestorben sind jedoch beide in ihrem Haus auf Juist, im Kreise der Familie und Ihrer Enkel und sogar Ur-Enkel.
Das Haus hatte mein Großvater vor mehr als 60 Jahren selbst gebaut, die gemeinsamen Kinder dort großgezogen und auch den Lebensabend verbracht.
Alles richtig gemacht.
Inzwischen fängt das Haus an zu verfallen, weil es einfach einen großen Renovierungsrückstau gibt und meine Mutter hier vieles verpasst hat. Dennoch ist das Haus bzw. das Grundstück aufgrund der Lage rund 7-stellig wert.
Für meine Großeltern wäre ein Verkauf niemals eine Option gewesen, vollkommen unabhängig vom Wert, weil es ihre Heimat war. Heute ist es vermutlich die einzige Möglichkeit, die bleibt. Vollkommen unabhängig vom zu erwartenden Erlös.
Und ich spüre, dass so vieles nicht wichtig ist, wovon ich immer dachte, dass es das sei bzw. was zumeist propagiert wird. Was soll ich mit Besitz und Status, der im besten Fall einmal Gewinn, im schlechtesten Fall jedoch nur eine Bürde für die Menschen, die nach mir kommen sein wird?
Lange habe ich Dinge bereut, die ich in der Vergangenheit nicht oder zu spät getan habe. Fehler, die ich gemacht habe. Und dennoch bereue ich inzwischen eher die verpassten Chancen und Gelegenheiten. All die Körbe, die ich nicht bekommen habe, weil ich gar nicht erst gefragt habe.
Ich habe viele Menschen erlebt, die sterben mussten. Für manche war es eine Erlösung, für andere ein krönender Abschluss eines erfüllten Lebens und manche hofften bis zum letzten Moment vergebens, dass wir ihnen noch helfen können.
Ich habe keine Ahnung, wann ich am Ende meines Lebens stehen werde. 70 Jahre alt zu sein ist nicht das Ende für Menschen, die deutlich über 90 werden. Für meinen besten Freund, der nach einem schweren Verkehrsunfall kurz nach seinem 12. Geburtstag von uns gegangen ist, wird sich diese Frage nie gestellt haben.
Daher ist das Einzige, was bleibt,
seinen Scheiß zu regeln, die Tage bis dahin zu genießen und das Beste zu hoffen.
Ich habe eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht. Mein digitaler Nachlass ist auch so weit geregelt, dass meine Schwester entsprechenden Zugriff darauf erhalten würde.
Und eine Sache, die mir extrem wichtig geworden ist, ist niemals im Streit und ohne eine richtige Verabschiedung zu gehen. Bei jedem Abschied von Menschen, die mir wichtig sind, bin ich mir bewusst, dass es der letzte Abschied sein könnte.
Eine Bucket List gibt es nicht. Ich möchte nicht (mehr) der Esel sein, der der Karotte vor der Nase nachrennt. Bei diesem Thema muss ich dann immer an
Alles erledigt von Annett Louisan denken.
Denn am Ende des Lebens wird es nicht darum gehen, was ich alles erledigt und erlebt habe, sondern wie es mir den Großteil der Zeit gegangen ist.
Und nachdem ich bereits mit einer Frage eingestiegen bin, möchte ich auch mit einer Frage abschließen, die mir einmal gestellt wurde.
Wenn Du durch eine Galerie gehen würdest, bei dem die Bilder an den Wänden Bilder von Erlebnissen aus Deinem Leben sind. Was würdest Du bislang sehen und zukünftig sehen wollen?