Grundsätzlich sind Pauschalisierungen schlecht. Immer.
Was BDSM, respektive D/s mit Menschen angeht, die sich in einer Therapie befinden, muss ich sagen, dass es schwer darauf ankommt.
Der Mensch ist nicht gleich der Mensch. Unterschiedliche Menschen mit derselben psychischen Erkrankungen haben mitunter zwar sehr ähnliche Symptome, beschäftigen sich oftmals mit sehr ähnlichen Krankheitsumständen, sind am Ende aber doch unterschiedlich, weshalb auch der Umgang mit der Erkrankung unterschiedlich ist.
Grundsätzlich finde ich es daher immer schwierig generalisiert darüber zu sprechen.
Für mich persönlich kommt es auf den jeweiligen Menschen an.
Allgemein würde ich aber sagen, dass "eine psychisch belastende Situation", die jeder Mensch schon einmal erlebt hat, etwas anderes ist als eine therapiebedürftige psychische Erkrankung.
Oder anders ausgedrückt: Jeder war schon einmal krank und hatte eine Erkältung, aber nicht jeder hatte schon einmal einen schweren Bandscheibenvorfall, der eine OP mit anschließender Reha bedingte. Und selbst das ist jetzt etwas sehr plakativ vereinfacht ausgedrückt. Ich möchte lediglich sagen, dass eine Erkrankung etwas anderes ist als mal eine belastende Situation erlebt zu haben.
Aber nehmen wir einmal das Beispiel der belastenden Situation:
Viele Menschen wären sich vermutlich einig, dass es gerade keine so gute Idee ist sich auf eine neue D/s-Beziehung nebst exzessiver Sessions einzulassen, wenn gerade die eigenen Eltern aufgrund eines Verkehrsunfalls in der Notaufnahme liegen und man sich eigentlich vermehrt damit auseinandersetzt, geistig gerade gar nicht offen für eine Session und den Partner ist und maximal eben jene Session als Kompensation wahrnimmt. Also: Wo andere sich jetzt in Alkoholexzesse stürzen würden um den Kopf bloss abzuschalten geht man in eine Session.
Bevor hier nun jemand schnell ruft: "Aber den Kopf ausschalten ist doch gut!"
Ja, ist es. Klar. Es hilft in einer solchen Situation auch nicht den Kopf in den Sand zu stecken.
Wie ich weiter oben schon schrieb sind Menschen unterschiedlich. Zwischenmenschliche Beziehungen sind unterschiedlich. Vielleicht hiilft es so einer Person auch, mal fern von BDSM, sich in einem Club richtig durchficken zu lassen oder durchzuficken. Das kann ja alles sein.
Wovor ich warne, bzw. was ich zu bedenken gebe, ist die stressbedingte Überkompensation und die Vermeidung durch exzessives übersteuern. Wenn die Session nicht mehr den Charakter einer Session hat, wenn es nur noch darum geht psychischen Schmerz zu lindern, dann kann(!) das einer solchen Überkompensation sehr nahe kommen und hätte dann weniger mit BDSM zutun. Das ist dann möglicherweise näher an den Menschen, die sich selbstverletzendem Verhalten hingeben um andere Schmerzen, eben psychische Schmerzen, zu übertönen. Selbstverletzendes Verhalten ist mehr als zugeführte Schnitte. Es sind auch Drogenexzesse, Adrenalinrausch durch bewusstes gefährdendes Rasen im Straßenverkehr, das bewusste Einlassen auf gefährliche Sexpraktiken (jenseits von allem, was wir als SSC oder RACK bezeichnen würden, ich meine wirklich gefährlich), all diese Dinge, nur um den Kopf frei zu bekommen.
Zu BDSM gehört für mich persönlich, dass ich es mit dem Fokus auf geteilte Lust betreibe und nicht um andere Dinge schlicht zu übertönen. Und noch einmal sage ich, dass dies in gewissen gesunden Situationen völlig okay sein kann. Mit dem festen Partner nach einem langen stressigen Arbeitstag mal das Hirn befreien hat etwas absolut befreiendes, solange es beiden Spaß macht. Aber auch da ist dies eher ein Beiwerk, etwas, dass durch die Session
auch bewirkt wird. Der Hauptfokus liegt jedoch noch immer bei der Session.
Und nun weg von dem Extrembeispiel der akut psychisch belastenden Situation:
Eine psychische Erkrankung ist eine permanent psychisch belastende Situation.
Im Zuge einer psychischen Erkrankung schleichen sich Denkmuster ein, die fern des logischen Denkens liegen.
Wie ich schon schrieb kann man Menschen nicht generalisieren und auch das Verhalten während, bzw. mit einer psychischen Erkrankungen, sowie dem Umgang eines Menschen damit, nicht verallgemeinern, da Menschen unterschiedlich sind. "Über" etwas zu sprechen ist zudem immer sehr vage. Deshalb, und weil ich nicht finde, dass man das schambehaftet Geheim halten müsste, eine Selbstoffenbarung: Ich habe einige Jahre psychotherapeutische Erfahrungen sammeln dürfen. Das liegt Jahre zurück und beinhaltete auch einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Das Gute aus dem Schlechten: Man hat sehr viel Zeit sich mit sich selbst, dem eigenen Leben, den Vorstellungen, den psychologischen Abläufen, etc. zu beschäftigen.
Meine damalige Exfrau hat sehr mitgelitten. Sie war unfassbar empathisch und permanent da. Dafür bin ich ihr auf der einen Seite bis heute dankbar, gleichzeitig tut es mir auch wahnsinnig leid, da sie eben sehr mitlitt, da sie sich emotional nicht abgrenzen konnte und wollte, was wiederum später bei ihr zu einer Therapie führte.
Wir haben in dieser Zeit nicht dieselbe Sprache gesprochen. Sie hat sich zwar sehr bemüht mit mir zu sprechen, zu verstehen was in mir vor geht, da zu sein, dennoch schmerzte es sie, dass sie bestimmte Vorgänge in meinem Kopf einfach nicht nachvollziehen konnte. Ein Therapeut hat das einmal so erklärt:
Psychische Erkrankungen, in meinem Falle war es eine Mischung aus einer Depression, einer generalisierten Angststörung und einem Burnout, sorgen dafür, dass wir Denkmuster annehmen, die für "gesunde Personen" irrational und nicht nachvollziehbar wirken. Das sei ähnlich wie jemand, der eine körperliche Beschwerde habe, die ein körperlich gesunder Mensch zwar versucht nachzuvollziehen, aber nicht nachempfinden kann.
So, jetzt ist da schon der nahe Partner, der nicht wirklich vollständig nachempfinden kann was in einem vorgeht und der durch diese Situation belastet wird. Dieser Partner ist kein Therapeut. Das ist sehr wichtig! Dieser Mensch ist da und wird dazu angehalten zwar mitzufühlen, aber nicht mit zu leiden. Meine Exfrau war damals bei zwei Therapiesitzungen bewusst auf Einladung meiner Therapeutin dabei, da sie sich für den Umgang mit mir interessierte, da sie im alltäglichen Wohnungsumfeld besser mit mir umzugehen lernen wollte. Der einzige Rat, der ihr gegeben wurde war, dass ich das bewältigen muss und sie parallel auf ihre Gesundheit zu achten habe. Natürlich war das nicht so kalt ausgedrückt. Dies war jedoch die Quintessenz: Sie kann da sein, mich aber nicht retten und sollte sich Abgrenzungsmechanismen aneignen, auf ihre Batterien achten und diese eigenständig auffüllen.
Wenn ich das jetzt auf einen Spielbeziehungspartner übertrage dann schüttelt es mich etwas. Dieser Mensch ist einem eventuell, wenn es keine klassische Alltagsbeziehung mit D/s ist, weit ferner.
Nun spreche ich aus Sicht einer aktiven Person.
An aktive Personen, seien es Dom, Top, Rigger, wie auch immer man es nennen möchte, habe ich, für mich selbst, den Anspruch der Verantwortungsübernahme. Natürlich hat die passive die Verantwortung zur Kommunikation und der Achtsamkeit gegenüber sich selbst, aber ihr wisst was ich meine: Es ist meine Aufgabe zu führen, was mit Verantwortung, Empathie und Achtsamkeit einhergeht.
Wenn mein eigener Kopf gerade kreise zieht, mir dutzende Dinge durch selbigen Schießen, ich mehr mit mir selbst als mit meiner Umwelt beschäftigt bin, diese Umwelt auch noch verzerrt wahrnehme, weil ich eben psychisch erkrankt bin, dann kann ich all diese Verantwortungen schlicht nicht mehr wahrnehmen. Ich bin vielleicht bereit eine Spankingsession zu genießen. Dann hört es aber auch auf. Und selbst da können die Umstände negativ wahrgenommen werden.
Damals habe ich an BDSM gar nicht gedacht. Da war mein Kopf nicht frei für.
Würde ich in der Situation annehmen, dass BDSM, bzw. jetzt eine D/s-Beziehung anzufangen, diesen Kopf klären würde, dann würde ich annehmen, dass BDSM ein Therapiemittel wäre. Das ist es aber nicht. BDSM ersetzt keine Therapie. BDSM sollte kein Mittel zum Zweck sein, wie ich es weiter oben schon beschrieb. Es sollte maximal parallel auch sonstige positive Wirkungen entfalten können, aber niemals den Selbstzweck verlieren.
Jahre später gab es eine weitere psychisch belastende Situation. Meine Therapie war lange vorbei. Meine Ehe war frisch geöffnet, was durchaus Kraft kostete. Meine Exfrau konnte mit BDSM nichts anfangen, weshalb ich jahre lang Stino lebte, bis ich mir eingestehen musste, dass mir etwas fehlt. Wir haben lange und intensiv darüber gesprochen und die Ehe in beidseitigem Einverständnis geöffnet. Ich hatte eine Sub und kam überhaupt wieder zurück zum BDSM, nachdem dieser Aspekt meines Lebens Jahre geruht hatte. Die ersten Sessions waren...rückblickend betrachtet gar nicht so gut und wie die ersten überhaupt.
Dann zerbrach meine Ehe an anderen Dingen. Das zog mir völlig den Boden unter den Füßen weg. Ehe weg, Wohnung weg. Es fühlte sich an als sei mir das Leben entzogen worden. Für einige Monate bin ich in ein bodenloses Loch gefallen.
Den Fehler, den ich damals machte, war mich an meine BDSM Partnerin zu klammern, für dich ich schon vor dem Ende der Ehe Liebe zu empfinden begonnen hatte. Zusätzlich empfand ich unsere gemeinsame Zeit als Balsam für meine Seele. Ich brauchte das. Ich brauchte diese Person, die noch da war. Bei ihr fühlte ich mich wohl. Und das ist nicht gut. Ich war nicht "ganz", seelisch gerade massiv verletzt und verunsichert und suchte auf der einen Seite einen Strohhalm, an dem ich mich festklammern konnte und gleichzeitig etwas um den Kopf auszuschalten, um mich temporär gut zu fühlen.
Dabei habe ich meine Achtsamkeit verloren. Ich habe jemandem Verantwortung aufgeladen, der so eine Verantwortung nicht wollte und sie nie aufgebürdet bekommen sollte. Ich übersah Dinge. So übersah ich etwa, dass diese Person so eine enge Bindung nie wollte und brachte sie dazu sich aus Selbstschutz zu entfernen. Das ist natürlich nun sehr vereinfacht ausgedrückt.
Rückblickend betrachtet hätte ich ab dem Moment, in dem mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, die Finger vom BDSM lassen sollen um zunächst wieder einen sicheren Stand zu gewinnen.
Danach habe ich einige Monate pausiert und mir dann Bondagepartnerinnen gesucht. Mein Kopf war etwas klarer und dennoch landete ich bei Personen, denen es weniger um das menschliche Miteinander als um die schnelle Satisfaktion mit austauschbaren und wechselnden Partnern ging. Das ist okay, doch sah ich das nicht und teile so einen Umgang eigentlich auch nicht. Das mag ich gar nicht, weil es BDSM so unfassbar austauschbar werden lässt und, aus meiner Sicht, BDSM kein Hobby wie Doppelkopf spielen, oder Squash, oder Tennis sein sollte, dass man mal hier und mal da teilt, während man gleichzeitig davon spricht wie ach so emotional es doch sei. Das ist es nicht, wenn dir egal ist, wer dich gerade fesselt oder dir den Arsch versohlt oder die Befehle gibt. Dann ist es eine Mischung aus BDSM und swingen, was auch total egal ist, aber hört halt auf es romantisch zu erhöhen und so zu tun als gäbe es nichts intimeres und emotionaleres als jede Woche mit wechselnden Partnern, für den man sich eigentlich kaum interessiert, bespielt zu werden oder zu bespielen. Das passt nicht zusammen. Sorry für den Exkurs.
Es vergingen wieder einige Monate und ich sah wieder klar. Ich sah, dass BDSM für mich - und ich kann hier immer nur für meine Definition von BDSM sprechen - mehr ist als jemandem den Arsch zu versohlen, mehr als einmal mit einer X-beliebigen Person einen Abend in einem Club zu haben, mehr als lose Top-Bottom-Beziehungen, weil mir dabei etwas fehlt.
Und ich sah, rückblickend betrachtet, was ich falsch gemacht hatte:
Ich habe mich auf BDSM eingelassen, darin sogar ein "Seelenheil" gesucht und es temporär wirklich gebraucht um Schmerz zu übertönen. Dabei hatte ich keine Achtsamkeit auf meine Partnerin, konnte keine Verantwortung übernehmen und mir fehlte es an Empathie, da ich viel zu sehr mit mir, meinen Gedanken und dem was in meinem Leben gerade los war, beschäftigt war.
Oder, wie man es sinnbildlich ausdrücken könnte:
Die Stimmen in meinem Kopf waren viel zu laut, als dass ich gut nach außen schauen hätte können.
Soviel zur aktiven Sicht.
Wenn es um passive Partnerinnen geht schließe ich BDSM nicht kategorisch aus, sobald eine Person unter einer psychischen Erkrankung leidet. Im Eingangspost wird bereits erwähnt, dass eine Person sich in Therapie befindet. Das ist schon einmal sehr sehr gut! Im Idealfall weiß die therapierende Person von der BDSM-Neigung und man spricht mit ihr darüber. BDSM passiert also begleitend.
Mir wäre es stets wichtig, dass eine Person mit einer psychischen Erkrankung auch bereit ist sich auf BDSM als Selbstzweck einzulassen. Ich zucke zurück, wenn sich jemand verhält wie ich mich verhielt: Wenn BDSM nicht als Selbstzweck gesehen wird. Wenn jemand sagt "ich brauche BDSM aber jetzt, weil ich psychisch erkrankt bin, denn nur dann geht es mir einmal gut".
Als Aktiver bin ich kein Therapeut und kein Therapieersatz.
Ich bin gerne da, rede, höre zu, teile eigene Erfahrungen. Das ist aber etwas anderes als als Therapieersatz herzuhalten. Gleichzeitig empfinde ich es als nicht besonders fair, wenn man, wissend, dass man in einer Session aufgrund der psychischen Erkrankung mehr als nur normal möglich emotional abstürzen könnte, in eine Session geht. Eine Panikattacke ist kein Spaß, sondern durchaus beängstigend für einen selbst und die Umgebung. Man sollte sich also überlegen, ob es wirklich fair einem Partner gegenüber ist ihm den drohenden Umgang damit im Zweifel unabgesprochen aufzubürden, weil man hofft im Rahmen der Session einfach keine zu bekommen.
Oder anders für die Passiven:
In Zeiten akuter psychischer Erkrankungen sollte man sich eventuell überlegen BDSM doch zu pausieren, denn am Ende ist BDSM immer etwas, dass man zu zweit begeht und dieser Partner ist im Zweifel nun einmal kein Therapeut, noch Ersthelfer oder dergleichen. Dieser Mensch liebt euch vielleicht sogar - was nicht zwingend notwendig ist, aber es kommt durchaus ja auch vor - kann aber nicht jegliche Form von Verantwortung tragen, die sonst ein Therapeut trägt. Als aktive Person einen Absturz zu erleben kann bereits belastend sein. Es wirft Selbstzweifel auf. Es besorgt, man fragt sich was man falsch gemacht hat, etc. Das noch einmal potentiert zu erleben, weil die Partnerin oder der Partner nicht nur einen "normalen" Absturz hat, sondern einen, der durch eine akute psychische Erkrankung, also eine akute Phase, potentiert wird, ist kein Spaß.
Für die Aktiven:
Man hinterfrage, ob man gerade wirklich bereit ist all die Verantwortung zu tragen, die es zu tragen gilt. Wenn nicht, dann sollte man sich keinen Zacken aus der Krone brechen um sich einzugestehen, dass es gerade eben nicht geht.