Das ist ein sehr interessanter Thread dem sich sicher alleine an Hand der Vielzahl an Kommentaren nicht gerecht werden lässt. Jedoch bringt der Ursprungspost doch einige Interessante Aspekte auf, daher nochmal dazu ein paar Einwürfe:
Das Ideal der klassischen Therapie nach Sigmund Freud ist eine Selbstheilung durch das Verstehen und Durcharbeiten der Vergangenheit die innerhalb dieses Prozesses eine Annäherung an die eigenen Unbewussten Prozesse ermöglicht und dadurch erst Zukunft in einem selbstbestimmten Sinne bewusst gestalten lässt. Therapie im klassischen Sinne ist damit ein im besten Sinne aufklärerisches Verfahren , welches nach der Entstehung der Form des Erlebens fragt und die reflexive Veränderung in den Blick nimmt. Therapeutische Verfahren haben nicht zufällig beispielsweise in Supervision, Beratung oder Sozialwissenschaften Einzug gefunden. Letztlich ist die Therapie also im klassischen Sinne Aufklärung und geht ihrem eigenen Sinn nach über die Heilung einer Krankheit hinaus - bis heute müssen daher insbesondere in den tiefen-/ analytischen Verfahren die Ausbildungskandidaten eine Selbsterfahrung machen, um ihre eigenen Konflikte nicht auf die zu Behandelnden zu übertragen. Gleichsam gibt es ein bestimmtes verwaltungsrechtliches Verfahren, dass (in Deutschland übrigens im Umfang einmalig!) es ermöglicht, bezahlt eine Therapie in Anspruch zu nehmen. Dafür braucht es nun eine Diagnose. Die Möglichkeit auf eine professionelle Aufarbeitung eigener Probleme ist also strukturell an eine Diagnostik alleine zur Verteilung der Ressource geknüpft (zudem ergeben sich dadurch natürlich Indikationen). Der Kern ist aber, dass wir streng genommen von der Inanspruchnahme einer Therapie schon logisch nicht auf eine gegenüber der sog. Normbevölkerung Abweichung des psychischen Strukturniveaus folgern können (das ist dann eine empirische Frage, das heißt aber dennoch, das wir über Subjekte die eine Therapie in Anspruch nehmen, keine Aussage treffen können, alleine weil sie eine Therapie in Anspruch nehmen. Genauso überzeugend ist nämlich die Gegenthese, dass Menschen die Therapie in Anspruch nehmen, psychisch die Reife haben, dies zu tun). Ein besonders starkes Beispiel ist insbesondere in Deutschland die transgenerationale Weitergabe von Traumata. "Unsere" Groß- und Urgroßeltern sind zu einem nicht geringen Umfang von Kriegstraumen geprägt, die auf Grund der gesellschaftlichen Lage in Deutschland nach 45 sowie der Tabuisierung von Therapie nie geheilt wurden. Diese Leute galten als Gesund, obwohl selbst teilweise schwer traumatisiert nur im privaten Raum agiert und an die Kinder weitergeben. In transgenerationalen Weitergaben von Traumata ist es nicht selten, dass erst die Dritte Generation die psychische und ökonomische Möglichkeit hat die nun oftmals in völlig anderen Symptomen als bei den Eltern/ Großeltern erscheinenden Symptome aufzuarbeiten. Formell würden aber nun nur die Enkel als erkrankt gelten, einfach weil es zum einen bei den vorherigen Generationen nie eine Diagnostik gab, die Diagnose schlicht als Normalverhalten galt und und und. Kurz gesagt, ist also die Ableitung Therapie -> Krank eine sehr Unterkomplexe Weltsicht und ein konservatives Phantasma. Oft auch zum Schutz vor eigenen ungeliebten Anteilen oder Angst vor reflexiver Aufarbeitung.
Rahmen wir das nun noch kritisch - gesellschaftstheoretisch, können wir sehr knapp ausgedrückt auch in den Raum werfen, dass bestimmte Gesellschaftskonfigurationen Menschen auf Grund sozialer (!) Pathologien selbst krank machen. Ich will nicht so lang ausführen, nur zb Stichwort Burnout. Hier hat schon jemand wie W. Adorno immer wieder die Fähigkeit leiden zu können an Gesellschaft hervorgehoben (ohne dieses romantisch aufzuwerten).
Kurz: Es gibt keinen wirklich rechtfertigbaren Grund, nur auf Grund der Tatsache dass ein Mensch in Therapie ist, irgendeinen (!) Rückschluss zu treffen, außer der simplen Tatsache, dass er oder sie eben etwas reflektieren oder verändern möchte.
Dennoch gibt es reflexive Gründe, bestimmte sexuelle Praktiken dann stärker zu hinterfragen. Otto Kernberg (einer der "Entdecker" der Borderline - Persönlichkeit) warnt auch ganz explizit davor, dass bestimmte sexuelle Konstellation ein agiertes (Unbewusstes) ausleben vergangener , ungesunder Beziehungen reaktualisieren können und insbesondere BDSM- Beziehungen aus seiner Praxis-Beobachtung (also erstmal nicht statistisch Signifikant) auch bei nicht 24/7 Konstellationen Richtung einer Assymetrie gegenüber dem devoten Part kippen. Zudem stehen bestimmte Beziehungsformen in sehr ausgeprägten Machtgefällen gegenläufig zu Therapiezielen. Auch eine Sexualisierung der Therapie ist möglich. Aber diese Überlegungen finden ja gerade statt auf der Basis reflexiv therapeutischer Intentionen, also können gerade nicht als generellen Grund gegen BDSM und Psychotherapie genutzt werden.
P.S: Wer sich für die Thematik Trauma und Therapie interessiert, ist die Dokumentation "Who is afraid about Alice Miller" ans Herz gelegt.