Antons leider sehr vorzeitiges Ende aber daran war er SELBER SCHULD
Jetzt ist ja jeder einmal krank, auch zweimal, dreimal, mehrmals, die meisten Leute werden aber zwischendrin wieder gesund oder bemühen sich zumindest darum. Nicht so Anton. Bereits als Säugling am Magen erkrankt, vergnügte er sich in seiner Kindheit und Jugend damit, sich so oft wie möglich den Schädel einzurennen oder sich zumindest die Ferse abzuschneiden. Einfach nur die Knie aufzuschrammen wie es die anderen Kinder taten, war ihm eindeutig zu langweilig. Als Erwachsener tat er sein bestes, seine trotz allem unerschütterliche Gesundheit zu unterminieren und trank, rauchte und schnupfte alles, was er nur bekommen konnte. Wäre seine Ehefrau nicht so ein niedriges Mensch gewesen, hätte er sich wohl damals schon restlos zugrunde gerichtet, aber da sie ihm alles wegnahm was sie kriegen konnte um es in ihren eigenen kleinen Gierkopf reinzustopfen, war er lediglich sehr dünn und sehr nervös – aber selten dem Tode so richtig nah.
Nur einmal, das hatte jetzt aber wenig mit seinen Gewohnheiten zu tun, kam er fast frühzeitig ums Leben als ein erzürnter Zuhälter, dem er seine Frau nicht zu Forschungszwecken (wie viele Freier schafft eine Nymphomanin pro Nacht wenn man ihr genügend davon zur Verfügung stellt) überlassen wollte, ihn mit seinem Maybach überrollte. Glücklicherweise jedoch war er so dünn geworden, daß er sich dabei lediglich eine komplizierte Knieverletzung zuzog, die dann mehrmals operiert werden mußte; er war somit lange zuhause, sah seine Frau öfter als ihr und ihm guttat, schimpfte am Ende sie eine Hure und sich selber einen Narren, daß er sie nicht doch an den freundlichen Herrn mit dem großen Auto verkauft hatte, ließ sich scheiden und endete nach langen Irrwegen bei Miranda, die ihn seufzend bei sich aufnahm, soviel Elend war nicht einmal für sie zum Mitansehen.
Jetzt hätte er ja eigentlich, fern von Ehefrau und wüsten Kameraden, ein wunderbares Leben führen können, hätte er nur nicht diesen unseligen bayerischen Sturschädel gehabt. Er wollte partout seine tägliche Krankheit, und die nahm er sich auch, wenn notwendig mit Gewalt. Miranda hatte sich, als sie aufgrund seiner permanenten Jammertiraden nicht mehr ungestört künstlerisch tätig sein konnte, einen Job in der Orthopädie gesucht, was Anton sofort inspirierte, sich an einem Lumbago zu versuchen, den er dann mit dem selbständigen Führen eines Getränkemarktes genüßlich verstärkte und verlängerte. Welch eine Wonne! Miranda fand das Ganze weniger lustig als er trotz seines jämmerlichen Zustandes darauf beharrte, sie auf ihren Reisen zu begleiten und somit nicht nur sich selber sondern auch ihr die jeweiligen Urlaube, die sie sich eigentlich redlich verdient hatte, gründlich verdarb.
Schließlich jedoch hatte er sich, nicht zuletzt dank des tatkräftigen Einsatzes von Mirandas Kollegen, wieder einigermaßen erholt – böse Zungen behaupten er habe die Genesung den ewigen Spritzen der Orthopäden vorgezogen – und ging wieder auf Arbeitssuche. Kaum jedoch hatte er, nach mehreren frustranen Versuchen, endlich einen Job gefunden in dem er auch mit den Kollegen zurechtkam, legte er sich eine derart ausgeprägte Epikondylitis humeri radialis zu, daß man auf die Umwege einer konservativen Therapie verzichtete und sofort operierte.
Wiederhergestellt, suchte sich Anton, mittlerweile total fasziniert vom Krankenhaus und dessen Atmosphäre von ständigem Leid, einen Job in der OP-Reinigung, den er tatsächlich auch bekam obwohl er Deutscher war und man dort sonst eigentlich nur Ausländer einstellte wegen der besseren Verständigung. Wenn viel los war im OP und das war meist der Fall, mußte es schnell gehen, Befehle mußten sofort befolgt werden, da konnte es nicht angehen, daß einer im Wege umeinanderstand und mehr Last als Hilfe war, nur weil er die Sprache nicht lernen wollte und unverbesserlich Guten Tag und Auf Wiedersehen sagte statt Merhaba und Gülegüle.
Anton fand sich jedoch auch hier nach anfänglichen Problemen bald recht gut zurecht, so daß er sich nach etwa drei Monaten seine Facettengelenksarthrose aktivieren mußte, da es ihm sonst am Ende noch einigermaßen den Umständen entsprechend gut gegangen wäre und das durfte ja nicht sein. Keinesfalls!
Es begann also wieder eine Zeit des ausgiebigen Jammerns und Leidens, Mirandas Kollegen steckten begeistert ihre Spritzen in Anton rein, dieser beklagte sich ausgiebig und mit Genuß, und abends betrank er sich und beschimpfte Miranda, die ja nun wirklich am wenigsten dafür konnte. Dennoch hielt sie fest zu ihm, unterstützte ihn wo sie konnte – und langsam aber sicher kam Anton wieder auf die Beine und stellte sogar die depperte Sauferei weitgehend ein.
Wieder hätte alles wunderbar sein können – hätte sich Anton nicht so sehr an seiner jährlich wiederkehrenden Bronchitis erfreut. Bereits früher hatte er diese mit geschickt eingesetzten Kunstgriffen wie langes Spazierengehen im Fieberwahn und eisige Duschen im Anschluß, bis zur Lungenentzündung upgegraded, und er war fest entschlossen, es auch dieses Mal nicht bei einer popeligen Grippe bewenden zu lassen. Kaum drehte Miranda den Rücken, begab er sich wonnig durchgeschwitzt im kurzärmeligen Leiberl in die zugige Küche um dort einen Tschik nach dem anderen zu rauchen. Kam Miranda abends heim, wurde sie empfangen von einem fieberglühenden Anton, der sich stöhnend und ächzend im Bett wälzte und sie durfte ihren Feierabend mit Sorgen verbringen, anstatt sich von der anstrengenden Arbeit ausruhen zu können.
Sämtliche Ermahnungen ihrerseits, doch etwas auf sich achtzugeben, da man in Kürze dann doch wieder einmal in den Urlaub fahren wollte, ein aufgrund des permanenten Geldmangels inzwischen selten gewordenes Vergnügen, wurden von Anton leichtfertig in den Wind geschlagen. Soweit man in diesem Zusammenhang überhaupt von Vergnügen sprechen konnte, schaffte es Anton doch jedes Mal, die Freude an den Fahrten durch ständige Unfälle und Wehwehchen signifikant zu trüben. Einmal beispielsweise hatte er sich in Innsbruck abends so beim Rasieren geschnitten, daß er nachts das halbe Bett vollblutete und natürlich auch Miranda mit seiner ausgiebigen Jammerei wachhielt, ein anderes Mal hatte er sich kategorisch geweigert, sich eine warme Jacke nach Wien mitzunehmen, es war ein kalter Oktober gewesen, der Wind pfiff über den Kahlenberg und durch den Pötzleinsdorfer Park, in dem Miranda eigentlich wunderschöne Nebelbilder schießen wollte, aber durch Antons permanentes Gejammer, er friere so, sowohl diesen als auch sämtliche anderen Ausflüge bereits nach einer halben Stunde abbrechen mußte.
Anton betrieb also weiterhin mit ungeschmälertem Enthusiasmus Raubbau an seiner Gesundheit, lief mit 39° Fieber täglich im schneidenden Wind durch die Straßen, einmal brachte er eine Nähmaschine mit und einen Blumenstrauß für Miranda, obwohl diese ihm bereits mehrmals erklärt hatte, sich nichts aus abgeschnittenen Gewächshausblumen zweifelhafter Herkunft zu machen. Selbstverständlich hatte er den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen, obwohl er morgens wieder stundenlang am Klo gesessen hatte weil er am Abend zuvor billiges Brot und zuviel Rotwein zu sich genommen hatte.
Statt nun am Nachmittag wenigstens eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, fing er an, mit seinem Hamster zu spielen und reagierte nicht einmal mit dem kleinsten Muskelzucken auf Mirandas Ermahnungen, ja warf ihr sogar vor, sich wieder einmal wegen nichts aufzuregen und sich ungebeten in sein Leben einzumischen. Wutentbrannt rannte Miranda aus dem Zimmer, während sich Anton seelenruhig einen Tschik drehte, aber vor lauter Schwäche mittendrin einschlief.
Als er aufwachte, war um ihn herum alles weiß. Erst dachte er, das Dach wäre vielleicht wieder kaputt und es hätte ins Zimmer geschneit? Doch dann stellte er fest, daß er keineswegs auf seiner Matratze lag – ja sich nicht einmal mehr in Mirandas Wohnung befand. Verwirrt griff er sich an die Stirn – wo ein scharfer Schmerz AUA! ihn die Hand sehr rasch zurückziehen ließ.
''Schaust eh lustig aus, mit dem Scherben im Hirn, hihi'', kicherte es hämisch von hinten, und ein blondgelocktes Wesen segelte frech grinsend auf einer Wolke an ihm vorbei.
''Hat sie dich also endlich erschlagen. Gut so'', stellte das Wesen fest und seine letzten Worte waren schon kaum mehr zu verstehen. ''Des war ja ned zum Aushaltn mit so an Sturkopf so an grauslichn, da war ja der komische Manna-Typ neulich a bravs Hunderl dagegn …''
Anton verstand gar nichts mehr. Wer hatte wen erschlagen? Und wieso war alles so weiß? Sein Kopf schmerzte unerträglich und von ferne hörte er leises Lachen herüberwehen, gefolgt von groben Flüchen und einem beherzten ''Eicha Manna kennts etzn wieda söba saufn, wo sitzta denn, da Kollege???''
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