Meine Ex und ich waren mehr als 22 Jahre zusammen und über 20 Jahre verheiratet. Ich habe immer gedacht, meine Partnerin und Seelenfreundin fürs Leben gefunden zu haben. Ich habe lernen müssen: Auch nach so langer Zeit kannst Du einem Menschen nur vor den Kopf schauen. Auch nach so langer Zeit kann sich die Welt aber so was von komplett um 180° drehen... Wir haben uns blind verstanden, hatten uns immer viel zu sagen und auch der Sex war nach 20 Jahren noch klasse. Klar, nicht mehr so wild wie am Anfang, aber dafür intensiver...
Dann kam die Pandemie: am Anfang ganz leise, im Laufe der Zeit dann mit immer größerer Wucht stellte sich meine/unsere Welt auf den Kopf: Wir haben viel diskutiert über das Thema Corona, über richtiges und falsches während der Pandemie, über das was gut funktioniert hat und über das, was nicht geklappt hat.
Ich bin geimpft, sie war von Anfang an skeptisch und hat sich auch nicht impfen lassen. Ja, man kann unterschiedlicher Meinung sein: wenn aber dann aber die Toleranz für die Meinung des Anderen fehlt, wird es schwierig. Auch ich kann mich da nicht von Schuld freisprechen: Auch meine Toleranz hat (in diesem Fall erstaunlich enge) Grenzen.
Meine Ex ist Mitglied bei "die Basis" (Querdenker-Partei) geworden - ohne mir das zu Sagen. Sie hat sich in Berlin auf einer Querdenker-Demo mit der Polizei angelegt/geprügelt; glaubt an all die (meiner Meinung nach abstrusen) Verschwörungstheorien, leugnet den Klimawandel und erklärt, Deutschland wäre eine wahlweise von Bill Gates/George Soros/Jeff Bezos... gesteuerte Diktatur....; Weidel, Gauland und Höcke wären seriöse Politiker und eine echte "Alternative für Deutschland"...
Ach ja, um Chemtrails und Flüchtlinge nicht zu vergessen....
Das Ganze gipfelte in zwei Aussagen: "durch deine Entscheidung, Dich Impfen zu lassen, gefährdest Du Deine Gesundheit und Dein Leben und zerstörst unsere Ehe" und "Du bist der politische Gegner, der bekämpft werden muss"...
Irgendwann war dann (uns beiden) klar, dass es so nicht mehr weiter ging; ich bin dann ausgezogen.
Ihr könnt jetzt völlig zurecht fragen: gab es im Vorhinein keine Anzeichen, die auf so fundamentale Unteschiede im politischen Denken und Handeln hindeuten? (Ich würde mich in der bürgerlichen Mitte verorten): Doch die gab es - ich hab Sie tapfer überhört: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Meine Ex hat von sich selbst gesagt, dass sie im Laufe der Zeit immer nationaler und auch immer extremer in ihren Ansichten geworden ist - und hat das für völlig normal gehalten.
Was mir dabei geholfen hat, diese Zeit (etwa 1,5 Jahre) zu überstehen: Optimismus, Lebensfreude trotz allem und die Gewissheit, das auch wieder bessere Zeiten kommen. Die Welt ist viel zu schön und viel zu spannend, um den Kopf in den Sand zu stecken. Mittlerweile habe ich eine traumhaft schöne Wohnung, bin zur Ruhe gekommen und habe (auch hier im JC ;-)... ) neue Menschen kennengelernt, die mir viel Bedeuten. Einmal Hölle und zurück...
Ich habe Seiten an mir kennen gelernt, die für mich absolut neu waren: totales Unverständnis und 100%-ige Ablehnung von Positionen eines anderen Menschen (der einem sehr nahe Stand), eine unendlich große Hilflosigkeit - weil Du mit fundierten, wissenschaftlichen Argumenten einfach nicht mehr weiter kommst - "das sind doch alles nur von der Plandemie gesteuerte Fake- News"....
Und Wut. Eine so tief sitzende, starke Wut, die aus Verzweiflung und nicht wahrhaben- wollen geboren ist. Es gab Momente, da überwältigt einen diese Wut - BEINAHE. igendwann kommt dann der Augenblick, wo man die berühmte Reißleine ziehen muss. Und: ich bin relativ weich gelandet: meine Welt ist (wieder) im Lot; ich habe mich am eigenen Schopf aus diesem Sumpf heraus gezogen. Ich habe mir Hilfe geholt: in solchen Extremsituationen ist psychologische Hilfe das einzig richtige. Jezt komm mir keiner damit, dass geht auch alleine und Psychologen sind eh nur Quacksalber. Wie gesagt: einmal Hölle und zurück... Und ja, ich bin ein Stück weit stolz darauf, dem Mist ohne Blessuren überstanden zu haben