Ich muss zunächst einmal für mich persönlich dringend loswerden, welches Mitleid ich mit deinem Mann habe. Er tut etwas völlig Normales und Gesundes - er masturbiert. Er tut auch etwas, das in einem gewissen Rahmen recht normal ist, nämlich Pornos gucken. Und im Laufe der Beziehung, wo für dich durch dieses ganz normale Verhalten wiederholt eine Welt zuusammengebrochen ist, hat der Mann jetzt Erektionsstörungen, Erektionsdruck, musste schonmal Medikamente nehmen und scheint nicht mehr zu wissen, was er eigentlich tun soll, damit du glücklich bist.
Ich verstehe durchaus auch deine Gefühle (dazu komme ich gleich), aber BITTE verlier nicht aus den Augen, was das alles mit deinem Mann gemacht hat. Wo er jetzt steht und welche Probleme auch ER jetzt hat, für ein Verhalten, das nicht verwerflich, sondern völlig normal ist. Er ist so krass in seiner Sexualität beschnitten und geshamed worden, dass diese mittlerweile gestört ist. Das sind heftige, sehr physische Auswirkungen.
Was ich nachvollziehen kann, ist die Unsicherheit bezüglich des Pornokonsums des Partners. Ich kenne das von mir selbst schon auch, ich hatte diese ganz schlimmen Unsicherheiten und Nervenzusammenbrüche, als ich Anfang 20 war und selbst keine Eigensexualität hatte, keine Pornos guckte, und der Sex mit meinem Partner meine ganze Sexualität darstellte. Wie sehr ich mich hintergangen gefühlt habe, als mir klar wurde, dass ich
nicht seine ganze Sexualität darstellte.
Vor ein paar Jahren hatte ich eine ähnliche, aber nicht einmal mehr ansatzweise so große Unsicherheit bei einem Sexpartner, der sich eine Weile auf eine ganz bestimmte Pornokategorie eingeschossen hatte, deren Inhalte ich selbst nicht wiederspiegelte. Da kam mir auch kurz der Gedanke, der haut bestimmt ab und sucht sich sowas, weil ich ihm das nicht geben kann.
All diese Ängste sind erstmal nur in einem selbst verwurzelt. Sie spiegeln nicht zwangsläufig die Realität wieder. Zunächst einmal sollte man sich bewusst machen, dass sich Sexualität nicht nur auf partnerschaftlichen Sex beschränkt. Das ist
eine Form, Sexualität auszuleben: Sex mit einem anderen Menschen.
Eine weitere Form ist Masturbation. Und diese kann und darf auch nur für sich selbst geschehen. Meiner Meinung nach ist hier eine wichtige Vorarbeit die Anerkennung des Partners als Individuum und nicht als "Teil von einem selbst". Wenn man es erstmal schafft, den Partner als eigenständigen Menschen mit eigenen Bedürfnissen und einem Recht auf Selbstverwirklichung und Privatsphäre zu betrachten, der nicht verpflichtet ist, jeden Aspekt seines Körpers und Geistes mit einem zu teilen, dann fällt es auch nicht mehr so schwer zu akzeptieren, dass der Partner ein Recht auf Eigensexualität hat, die überhaupt nichts mit einem selbst zu tun hat.
Meiner Erfahrung nach fällt dieses Individuieren insbesonders jenen Menschen schwer, die sehr symbiotisch leben wollen und starke Verlustängste haben (im Kontext von Masturbation und Pornokonsum auch jenen, die das selbst nicht oder kaum machen). Sich zu individuieren gelingt manchmal nur durch die Hilfe einer tiefenpsychologischen Therapie, da die Unfähigkeit zur Individuierung oft in der Kindheit begründet liegt. Ist aber etwas, das man lernen kann.
Mit der eigenen Individuierung als Ausgangsbasis, über die Anerkennung des Partners als Individuum hin zur Akzeptanz der verschiedenen Formen von Sexualität, die einen nicht immer mit einschließen müssen, kann auch die Auseinandersetzung mit auswärtigen sexuellen Reizen beginnen, die nichtmal in Form von Pornos daherkommen müssen. Das kann auch irgendein Mensch auf der Straße sein, den man attraktiv findet.
In aller Regel finden die wenigsten Menschen nur einen einzigen Menschen auf der Welt attraktiv. Selbst in einer Beziehung finden die meisten immer noch auch andere Menschen attraktiv. Jemanden attraktiv finden heißt ja aber nicht, alle Hebel in Bewegung setzen zu wollen, um mit diesem Jemand Sex zu haben.
Die Tatsache, dass auch andere Menschen als der eigene Partner als sexuell attraktiv empfunden werden, ist nicht das Problem. Das Problem entsteht, wenn sich jemand vom Partner weg und zu jemand anderem hinbewegt. Das ist dann auch die rationale Basis für Eifersucht - die Angst vor Verlust. Verlust von Aufmerksamkeit, Verlust von Zuwendung, Verlust von Liebe, Verlust des Partners. Jemand anderes bekommt, was man selbst will und nicht verlieren möchte.
Aber bewegt sich jemand, der Pornos guckt, wirklich weg von seinem Partner und hin zu jemand anderem? In einer gesunden Beziehung werden Pornos zum Füttern unmittelbarer Bedürfnisse verwendet, die in der Regel rein gar nichts mit dem Partner zu tun haben. Fast immer geht es dabei um die Eigensexualität - das Masturbieren - und nicht darum, den Sex mit dem Partner zu ersetzen.
Das ist ein eigenes Süppchen, das die meisten für sich selbst kochen, das der Beziehung keine Konkurrenz machen soll und wo die meisten auch nicht das Bedürfnis haben, jetzt direkt zu gucken, wo sie genau DIESEN Pornostar oder einen ähnlichen Menschen finden und wie sie am besten und schnellsten realen Sex mit ihm/ihr bekommen.
Solange der Pornokonsum und die Masturbation nicht als Ersatz für den Sex mit dem Partner benutzt werden, ist meines Erachtens alles ok. Wobei man natürlich gucken muss, ob der Druck, den man dem Partner für dieses völlig normale Verhalten macht, das dann in Erektionsproblemen mündet, nicht dazu führen kann, dass da eine gewaltige Versagensangst beim Gedanken an Sex mit der Partnerin entsteht und man lieber auf Pornos ausweicht, weil hier alles klappt und keiner meckert.
Sorry.
Aber das muss man sich schon auch klarmachen.
Deine Gefühle sind valide, liebe TE, aber ich befürchte, dass es hier keine Lösung geben kann, wenn nicht auch anerkannt wird, welch starke physische Auswirkungen dein Problem und deine Art, es zu kommunizieren, auf deinen Mann hatte. Ein Mann, der sich so sehr schämt, weil er Pornos guckt und masturbiert, dass er Erektionsprobleme und Übelkeit entwickelt, ist verdammt arm dran und braucht genauso Hilfe wie du, um wieder in seine Sexualität zu finden. Er hat, soweit ich das bisher lesen kann, nichts gemacht, was es rechtfertigen würde, ihn dafür derart zu kritisieren oder gar zu beschimpfen.