@*********herz
Tom, ganz anders empfinde ich dieses Gedicht. Für mich ist die dargestellte Handlung getragen von arroganter Übergriffigkeit eines Machos, der sich ohne Rücksicht nimmt, was ihm nicht freiwillig dargebracht wird.
Was ist denn ein Engel im üblichen Sprachgebrauch? Doch eher ein Wesen von zarter Gestalt, mit Flügeln behaftet, was ihn dem Göttlichen nahe bringt. Unschuld und Unbekümmertheit schwingen in dem Begriff mit, ebenso wie verhaltene Schönheit, Jugend und Güte.
Und diesen Engel, vielleicht ein blondgelocktes Kind, kann man nicht verführen, denn es hat keine sexuellen oder auch nur erotischen Ambitionen. Man muss ihn daher vergewaltigen, will man sein männlich triebhaftes Vergnügen daran haben.
Und so beschreibt Brecht uns eiskalt eine Vergewaltigungsszene.
Es geht los mit "Verzieh ihn einfach in den Hauseingang" - Gewalt. Gegen seinen Willen wird der Engel in einen Hauseingang verzogen. Er wird nicht gezogen, er wird "ver-"zogen. Bezeichnend, als würde eine Erziehungsaufgabe dabei mitschwingen mit dem negativen Ergebnis des Verziehens.
Dann "Steck ihm die Zunge in den Mund und lang ihm untern Rock" - Gewalt. Gegen seinen Willen erfährt dieser Engel das Eindringen einer fremden Zunge in seinen Mund, während ihm gleichzeitig unter den Rock gefasst wird. Wir haben alle diese Szene vor uns, in der dieser übermächtige Protagonist sich des Engels im Hauseingang bedient, ohne zu fragen und ohne Rücksicht.
Es geht weiter mit " ... bis er sich naß macht, stell Ihm das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock Und fick ihn." Das sich Nassmachen in dieser angsterfüllten Situation, hilflos dem Vergewaltiger ausgeliefert, vermag man sich vorzustellen. Da steht er, der (gebrochene) Engel mit dem Gesicht zur Wand, den Rock hochgerissen und wird von hinten rücksichtslos gefickt.
Dann die Regieanweisung: "Stöhnt er irgendwie beklommen Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen." Das Wort "beklommen" drückt auf der einen Seite die Hilf- und Wehrlosigkeit des Opfers aus und macht auf der anderen Seite deutlich, dass es ihm keineswegs in irgendeiner Form Freude bereitet, wie hier mit ihm umgegangen wird.
Purer Hohn, den Engel in dieser Situation zweimal "kommen" zu lassen. "Sonst hat er dir am Ende einen Schock." , setzt noch einen drauf und lässt in sarkastischer Weise die geradezu diabolische Einstellung des Peinigers durchblicken, der natürlich weiß, dass sein Opfer angesichts dieser Behandlung mit Sicherheit einen Schock fürs Leben davontragen wird.
Dann kommt "ermahn ihn ...", "heiß ihn ..." "sag ihm ...", wodurch der Peiniger sich scheinbar wieder zum Lehrmeister aufschwingt und sein Opfer gefügig und sich zu Willen macht.
"Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt – Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht." Ja, man kann es sich auch hier wieder bildlich vorstellen, wie dieser Engel in dem Hauseingang an die Wand gedrückt von hinten brutal gefickt wird. Aber nur ihm nicht ins Gesicht sehen! Es könnte ja die Qual zum Ausdruck kommen und ihm sein satanisches Vergnügen verderben. Am Ende nichts als Hohn mit der Aufforderung, in dieser peinigenden Situation die Engelsflügel nicht zu zerdrücken, wo doch soeben alles zerdrückt wurde, was einmal Würde, Anstand und Unschuld war.
Ça c'est pas la vie! C'est l'horreur.
Je ne serais jamais comme ça.