@****on
Ich nehme Bezug auf deine letzte Ausführliche Stellungnahme und will die von dir aufgezählten Punkte durchgehen.
1. Ich (oder auch wir) sind es nicht gewohnt offen über das Thema Sex zu sprechen....
Wenn ich dein und mein Profil nebeneinander halte, dann kommen wir aus sehr verschiedenen Ecken mit unseren sexuellen Vorlieben. So, wie ich BDSM lebe (und was gar nicht deine Ecke ist), wird immer ein Vorgespräch geführt, dann kommt die Session, dann ein Nachgespräch. Vertraute Paare können das Vorgespräch kurz halten. BDSM ist das, was man Verhandlungssex nennt. Wenn ich mich über diese Dreiteilung mit Vanillas unterhalte und den Begriff "Verhandlungssex" erwähne, dann kriege ich immer wieder ähnliche Reaktionen: Was? Ihr verhandelt darüber, was ihr macht? Ihr redet da wirklich drüber und sprecht ab, wie die Session ablaufen soll? Und noch ein paar andere Dinge. Dann zeigt sich, dass diese Vanillas noch nie ihrem Partner gesagt haben, wie sie berührt werden wollen. Im extremsten Fall kommen Aussagen wie: Das muss mein Partner doch fühlen! Aha, Gedanken lesen.
Guten Sex kann es nur geben, wenn über Wünsche, Vorlieben, Ängste und Tabus gesprochen wird. Ihr seid nicht gewohnt, offen(!) über das Thema Sex zu reden. Da es gar keinen Sex mehr zu geben scheint, ist der Zug schon abgefahren. Das ändert aber nichts daran, endlich über deine Vorstellungen von gutem Sex auch mit deiner Frau zu reden - und auf jeden Fall mit anderen Sexualpartnern. Wer weiß? Womöglich findet ihr nur beide heraus, dass ihr nur eine andere Form von Sexualität wolltet aber nie darüber geredet habt!
2. Das ganze ist ein Prozess der sich über die Jahre entwickelt hat. Erst jetzt wird mir das so langsam klar und vielleicht merke ich auch erst jetzt was ich möchte und fühle....
Damit bist du nicht alleine. Sich selber wahrzunehmen, Selbstliebe und Selbstfürsorge zu praktizieren, ist in unserer Gesellschaft nicht vorgesehen. Selbstliebe wird mit Narzissmuss verwechselt, Selbstfürsorge mit Egoismus. Es gibt z.B. einen Typ Mutter der sagt: Mir geht es gut, wenn es meinem Kind gut geht. Nur: Wie soll sie sich um ihr Kind kümmern können, wenn es ihr selber nicht gut geht? Die Reihenfolge ist falsch: Erst muss es ihr gut gehen, dann kann sie dafür sorgen, dass es ihrem Kind gut geht. In einer Beziehung ist das nicht anders. Wenn du selbst nicht weißt, was du möchtest und wenn dir selber der Zugang zu deinen Gefühlen fehlt, wie willst du dann in eine Interaktion mit deiner Frau treten und wie kannst du dann auf ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse eingehen?
Das ist auch etwas, bei dem professionelle Begleitung durch einen Psychotherapeuten helfen kann. Wenn du der Typ dafür bist, kannst du auch ein Tantraseminar ausprobieren oder etwas, bei dem du gute Körpererfahrungen machen kannst, bei denen du dich gut spürst.
Eines ist dabei sicher: Wenn du dich entwickelst, dann entwickelt sich auch die Beziehung.
3. In unserem Bekanntenkreis gibt es teilweise als running Gag die Aussage "die Männer wollen immer, die Frauen nie!"
Was für einen Bekanntenkreis hast du? Ich kenne das auch anders herum. Es gibt auch eine Menge Männer, die für sich das Kapitel Sex in den 30-ern abgeschlossen haben. Und ich habe öfter von einer Frau als von einem Mann gehört, dass sie "untervögelt" ist, wie die Damen es gerne formuliert haben.
4. Sex fand bei uns schon noch statt. Aber ich hatte eher ich das Gefühl - so wie es hier auch schon beschrieben wurde - dass es eher darum ging mir einen Gefallen zu tun....
Im von mir schon zitierten Buch von David Schnarch, Die Psychologie der sexuellen Leidenschaft, wird der Begriff "Gnadenfick" eingeführt. Motto: Mach mal, damit wir es hinter uns haben. Das ist kein Sex da es kein Miteinander ist, kein sich wollen, keine Begierde und keine geteilte Freude. Das ist rein mechanisches herum machen. Das ist aufeinander Liegen und einige Minuten herum rutschen. Dann kann ich auch gleich mit einem Stein ins Bett gehen.
Mal vom Sex abgesehen: Wollt ihr euch überhaupt noch? Ist noch Zärtlichkeit da? Will deine Frau noch Intimität, die es auch ohne das Reiben von Genitalien aneinander geben kann? - Willst du eigentlich sie und Sex mit ihr oder willst du nur Sex von ihr?
5. Das Thema mit dem "ich bin durch" kam tatsächlich in einer Situation auf wo ich abgewiesen wurde und ich sie angesprochen habe, warum sie denn nicht mehr Lust hat. Auch dieses Thema wurde nicht zu Ende diskutiert oder vernünftig ausgesprochen...
Selbstverständlich war das so. Würdet ihr miteinadern in Kontakt sein und kommunizieren, dann wäre es anders gelaufen. Sie hätte sich in einem ruhigen Moment mit dir hingesetzt um mit dir zu reden und dir zu sagen, dass sie ab sofort keinen Sex mehr will. Zum Thema gibt es nichts zu diskutieren. Es gibt aber sehr viel mitzuteilen. Wenn das mit Vorwürfen verbunden ist, dann führt das zu keinen Resultaten.
Ich kenne die wildesten Geschichten zu deinem Thema. Bei manchen wird innerhalb der Beziehung wenn überhaupt dann nur bei ausgeschaltetem Licht Geschlichtsverkehr betrieben, aber außerhalb finden wilde Orgien statt. Da ist die gegenseitige Anziehungskraft verlorgen gegangen, nicht aber die Lust auf Sex. Ich kenne viele Menschen, die erst im Alter um die 50 herum überhaupt angefangen haben, ihre Sexualität erstmals zu entdecken und ich finde das immer wieder wunderbar. Ich kenne welche, die auf Sex für Jahrzehnte verzichtet haben und dann auf einmal ihren Kink entdeckt haben und sich endlich selbst gelebt haben. Ich kenne welche, die ihre Beziehung geöffnet und sie dadurch gerettet haben. Ich kenne Beziehungen, die am Sex gescheitert sind. Ich kenne Paare, bei denen Sex als Druckmittel oder Verhandlungsmasse verwendet wird. Ich kenne Paare, bei denen einer der Partner fremdgeht. Ich kenne Paare, bei denen einer keinen Sex mehr will und gleichzeitig dem anderen verbieten will, seine Sexualität überhaupt zu erleben. Die Liste lässt sich fortsetzen.
Wenn ich das alles rekapituliere, dann hapert es hinten und vorne mit der Kommunikation bei euch. Das ist etwas, was man lernen kann, auch beim Paartherapeuten oder in Seminaren für Paare. Meine Frau und ich haben ein Kommunikationsritual: Das Zwiegespräch nach Lukas Möller. Ich will es nicht mehr missen und meine Frau auch nicht. Das Gespräch findet in einem klar definierten Rahmen und nach festen Regeln statt. Das kannst du online recherchieren oder du lässt es dir von einem Psychologen erklären. Wie auch immer: Belabert euch nicht mehr und vermeidet nicht mehr das Gespräch sondern fangt an zu kommunizieren!
Mein Vorschlag ist, dass ihr eine Paartherapie beginnt. Sofern deine Frau das ablehnt mit der Begründung, dass sie nichts verändern will, weil sie zufrieden mit der Situation ist, kannst du alleine hingehen. Wenn sie ablehnt mit der Begrüundung, dass es nur darum ginge, dass sie sich deinem "Trieb" unterwirft, hat sie nicht verstanden, um was es geht. Ein psychologischer Berater oder Therapeut wird dir niemals sagen, was du tun sollst, aber er kann dabei helfen, dass ihr euch als Persönlichkeiten weiter entwickelt und dass sich damit auch eure Beziehung entwickelt. Zur Entwicklung gibt es nur eine Alternative: Alles bleibt wie es ist. Du klingst nicht so, als ob du das willst.