Wie bereits in mehreren Posts angemerkt wurde, ist die Frage danach, ab wann es sich um Betrug oder Fremdgehen handelt, meist nur individuell und mehr oder weniger temporär beantwortbar und im Dialog mit den Partner*innen zu verhandeln. Inklusive aller Nachverhandlungen, Einschränkungen, neuen Erfahrungen, Trigger usw. die noch in der Zukunft hinzukommen könnten.
Aspekte auf die sich zumindest ein gewisser Teil noch gedanklich einigen konnten waren die des Vorsatzes, der Verschleierung oder Manipulation sowie der Grenzüberschreitung und das Vermeiden/Unterlassen einer offenen und aufrichtigen Kommunikation.
Ein aktuelles Beispiel aus meinem Leben:
Ich weiß seit längerer Zeit, dass ich sehr wahrscheinlich polyamor bin und definitiv pansexuell. Lange Zeit habe ich das mit mir selbst ausgemacht und versucht zu verarbeiten, hab mich durch Foren durchgewühlt, hier und da mit Menschen aus meinem Umfeld gesprochen die bereits Erfahrungen diesbezüglich haben. Bis zu dem Zeitpunkt als es noch eine "Suche" war, konnte ich das auch mit mir vereinbaren und meinem Gewissen vereinbaren.
Meinen langjährigen Partner habe ich aber unter anderen "Bedingungen" kennengelernt. Wir sind in die Beziehung gegangen, als ich noch nicht einmal was von diesen "Konzepten" wusste, geschweige denn die Begrifflichkeiten auf mich angewendet hätte.
Hinzu kommt noch mein stärkeres Interesse an BDSM und Kink und spätestens hier würde ich gerne praktische Erfahrungen sammeln und mich noch stärker mit anderen austauschen.
Ich habe mich hier angemeldet um diesen Austausch zu ermöglichen und Kontakte zu knüpfen, aber ich habe meinen Partner darüber informiert, ihm meine Intention erklärt, ihn gefragt in welchem Rahmen er das "noch" okey fände und wo er Grenzen ziehen möchte, da es sich ja bei Joyclub nicht um ein ausschließliches Häkelforum handelt.
An diese Absprachen halte ich mich und ich tue tatsächlich nichts und initiiere auch nichts, womit ich mich nicht wohlfühlen würde, wenn er es offen sehen und mitlesen könnte. Er tut es zwar nicht, weil er mir vertraut (und weil meine Gesprächspartner ebenfalls Diskretion erwarten und einfordern dürfen sofern sie nicht übergriffig werden), aber wenn ich das Gefühl hätte, irgendwo eine Grenze überschritten zu haben bzw. mir nicht sicher wäre, z.B. mit einem Gesprächspartner, dann würde ich ihm von der Situation erzählen. Er muss mir dann sagen ob er das als Grenzüberschreitung wertet. Von da aus müsste man dann "nachverhandeln". So sind wir zur Zeit verblieben.
Ich rede hier aber ausdrücklich nicht von glasklaren Absprachen. Sexuelle Encounter, die über das friendly flirting hinausgehen sind zum Beispiel tabu und das friendly flirting hat von uns auch einen "Rahmen" bekommen. So können wir navigieren, bis wir irgendwo auflaufen, dann ziehen wir den Karren gemeinsam aus dem Dreck und verfahren von dort aus weiter.
Vor einigen Tagen haben wir nun über alle oben genannten Aspekte und meine Identität gesprochen und unsere Wünsche, Vorstellungen und "neuen" Grenzen und Ängste besprochen. Wir haben nun alle Karten auf dem Tisch, noch will keiner von uns aktiv etwas an unserer Dynamik verändern und sollte es dazu kommen, setzen wir uns vorab erneut hin und sprechen darüber.
Wenn ich dieses Gespräch vor ein paar Tagen nicht initiert und alles offen auf den Tisch gelegt hätte, so hätte ich irgendwann zumindest das Gefühl gehabt ihn zu betrügen, selbst wenn ich alle abgesprochenen Grenzen eingehalten hätte und sich nichts verändert hat. Schlicht und ergreifend deshalb, weil er ahnungslos geblieben wäre. Es hat sich nicht mehr "okey" angefühlt, seit dem Moment als ich Gewissheit hatte und somit eine Veränderung unserer Beziehungsdynamik auf einmal sehr viel "realer" wurde. Und da spürte ich auch, dass ich hier kurz davor bin auf der emotionalen Ebene Vertrauen zu verspielen, wenn ich nicht den Mut aufbringe das anzusprechen.
Long story short:
Betrug kann je nach Absprache oder Mangels Absprachen eine Variation von Dingen sein, die sich nicht mal auf das Sexuelle Handeln beziehen müssen.