Gedanken einer Beziehungsanarchistin
Das hier soll so eine Art Blog werden. Mal schauen, wie viel ich am Ende wirklich hineinschreibe *
Ich fange damit an, mich und meinen Hintergrund zu diesem Thema ein wenig vorzustellen. In künftigen Beiträgen werde ich dann periodisch und unsystematisch einzelne Gedanken vertiefen. Wer diskutieren mag, ist willkommen, aber bitte konstruktiv und unter permanenter Berücksichtigung der Netiquette.
*
Was bedeutet Liebe?
Mit dieser Frage setze ich mich auseinander, seit ich mit mit sechzehn verliebt habe. Nicht in den werdenden Mann, mit dem ich zusammen war (und den ich liebte und heute noch liebe), sondern in einen anderen Typen aus seinem Jahrgang. Es war eine verdammt ernste Liebe, aus Sicht einer Teenagerin. Ich verbrachte viele Stunden damit, ihn aus der Ferne anzuschmachten, und ich sparte all mein Geld für die Theater-AG, wo er einmal in der Woche fragte, wem er ein Döner mitbringen sollte. Ich mochte kein Döner, aber ich nutzte voll schüchterner Verlegenheit die Gelegenheit, wenigstens einige Worte mit ihm zu wechseln.
Mein damaliger fester Freund kümmerte sich um die Beleuchtungstechnik, und ich bin mir recht sicher, dass keines dieser Döner-Gespräche bewirkte, dass ich ihn auch nur ein Fitzelchen weniger liebte.
Als er mir nach bald eineinhalb Jahren Beziehung erzählte (oder aus seiner Sicht beichtete), dass er seine beste Freundin geküsst hatte, löste das in mir deswegen auch nur ein mildes Gefühl von Sorge aus: Warum guckte er deswegen so ernst und besorgt? Sie hatte gerade Liebeskummer und konnte ein wenig Zuneigung gebrauchen!
*
Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu lernen, mich im Gewirr nichtmonogamer Beziehungsformen zurechtzufinden. Immer wieder schnappte ich etwas auf, was mir total natürlich und richtig erschien, was aber aus Sicht des Restes der Welt überhaupt nicht war. Offene Beziehung? Super Idee! Polyamory? Freiheit in den Bindungen, die man zu anderen eingeht? Alles irgendwie schön!
Irgendwann lernte ich einen Mann kennen, bei dem es so richtig funkte, und dem erzählte ich dann, dass ich polyamor war, aber aktuell niemanden außer ihm traf. Wir verliebten uns und versprachen, immer ehrlich zu sein. Eine Zeitlang funktionierte es, aber irgendwann verliebte er sich in eine andere Frau und es ging mir wie mit meinem allerersten Freund: Die Liebe zur neuen Frau tötete die Liebe zu mir ab.
Das war schade.
Aber trotz allem Kummer um das Ende der Liebe schien es eine neue Gelegenheit, mich selbst etwas besser kennenzulernen. Inzwischen hatte ich das Wort Beziehungsanarchie kennengelernt. Das beschreibt eine Form des Lebens, in der man bei den Bändern zu einzelnen Menschen keine Schubladen baut: Hier Freundschaft, da Freundschaft plus, dort Beziehung.
Stattdessen geht es um das Ziel und Ideal, jedes Band zu einem anderen Menschen als das zu betrachten, was es wirklich ist.
In meiner Ehe hatte ich herausgefunden, dass das eigentlich mein Ideal ist. Es gab oft Streit, weil ich nicht klar sagen konnte, ob mein Interesse an einem anderen Menschen freundschaftlich oder romantisch sei. In meinem Herz war beides warm und golden.
Für mich fühlen sich solche Schubladen schmerzhaft, unangenehm und einschränkend an.
*
Womit ich damals nicht gerechnet habe, ist Folgendes:
Offenbar übe ich durch mein Ideal und mein Suchen danach eine starke Anziehungskraft auf Männer aus, die keine "richtige" Beziehung wollen. Vielleicht liegt der Grund dafür in einer Beziehung, die zwar sexuell offen ist, emotional aber exklusiv sein soll, vielleicht ist es auch, weil jemand sich "nicht binden" will.
Aus mir wird dann also die Frau, die in die "Sex-und-Freundschaft"-Schublade gestopft wird (am besten noch vor allem Sex), und die dieser Schublade entsprechend fühlen und handeln soll. Andere Schublade, gleiches Prinzip.
"Sei in deinem Bindungsverhalten, deinen sexuellen und emotionalen Bedürfnissen so, wie ich dich haben will – und nicht so, wie du wirklich bist."
So etwas tut weh. Jedes Mal. Egal, ob es um Monogamie, Freundschaft, Sexualität oder Verliebtheit geht.
Wie also kann es funktionieren, Beziehungen aus einer Haltung der Ehrlichkeit, Offenheit und Verletzlichkeit einzugehen, in der Raum für Intensität, Liebe, Sexualität, Freiheit und Zuneigung ist? Für welche Art Männer kann ich die richtige Frau sein, was suche und brauche umgekehrt ich? Wie fasst man es so in Worte, dass neue Verletzungen vermieden werden, dass alle ehrlich sein können und daraus etwas Schönes, Heilsames und Gutes entsteht?
Ich weiß es noch nicht. Es fühlt sich an, als sei ich gerade erst am Anfang dieses Weges.
Am schlimmsten ist, dass ich nicht wirklich mit Menschen darüber sprechen kann, die es verstehen. Die Norm ist immer noch Monogamie. Selbst im Poly-Kontext habe ich zu hören bekommen, dass ich gegenüber der Frau für die "Hauptbeziehung" nicht zu hohe Ansprüche stellen dürfe.
Es ist schwierig, wenn der Anspruch, den man stellt, nicht "eine bestimmte Schublade" ist, sondern "schubladenfrei".
Vielleicht ist eine solche Suche ja auch für andere interessant?
Ansonsten kann ich mir hier beim Schreiben zumindest einbilden, dass es so ist, und mir hin und wieder wie in einem Blog alles von der Seele schreiben .