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Gedanken einer Beziehungsanarchistin

**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Gedanken einer Beziehungsanarchistin
Das hier soll so eine Art Blog werden. Mal schauen, wie viel ich am Ende wirklich hineinschreibe *g*

*

Ich fange damit an, mich und meinen Hintergrund zu diesem Thema ein wenig vorzustellen. In künftigen Beiträgen werde ich dann periodisch und unsystematisch einzelne Gedanken vertiefen. Wer diskutieren mag, ist willkommen, aber bitte konstruktiv und unter permanenter Berücksichtigung der Netiquette.

*

Was bedeutet Liebe?

Mit dieser Frage setze ich mich auseinander, seit ich mit mit sechzehn verliebt habe. Nicht in den werdenden Mann, mit dem ich zusammen war (und den ich liebte und heute noch liebe), sondern in einen anderen Typen aus seinem Jahrgang. Es war eine verdammt ernste Liebe, aus Sicht einer Teenagerin. Ich verbrachte viele Stunden damit, ihn aus der Ferne anzuschmachten, und ich sparte all mein Geld für die Theater-AG, wo er einmal in der Woche fragte, wem er ein Döner mitbringen sollte. Ich mochte kein Döner, aber ich nutzte voll schüchterner Verlegenheit die Gelegenheit, wenigstens einige Worte mit ihm zu wechseln.

Mein damaliger fester Freund kümmerte sich um die Beleuchtungstechnik, und ich bin mir recht sicher, dass keines dieser Döner-Gespräche bewirkte, dass ich ihn auch nur ein Fitzelchen weniger liebte.

Als er mir nach bald eineinhalb Jahren Beziehung erzählte (oder aus seiner Sicht beichtete), dass er seine beste Freundin geküsst hatte, löste das in mir deswegen auch nur ein mildes Gefühl von Sorge aus: Warum guckte er deswegen so ernst und besorgt? Sie hatte gerade Liebeskummer und konnte ein wenig Zuneigung gebrauchen!

*

Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu lernen, mich im Gewirr nichtmonogamer Beziehungsformen zurechtzufinden. Immer wieder schnappte ich etwas auf, was mir total natürlich und richtig erschien, was aber aus Sicht des Restes der Welt überhaupt nicht war. Offene Beziehung? Super Idee! Polyamory? Freiheit in den Bindungen, die man zu anderen eingeht? Alles irgendwie schön!

Irgendwann lernte ich einen Mann kennen, bei dem es so richtig funkte, und dem erzählte ich dann, dass ich polyamor war, aber aktuell niemanden außer ihm traf. Wir verliebten uns und versprachen, immer ehrlich zu sein. Eine Zeitlang funktionierte es, aber irgendwann verliebte er sich in eine andere Frau und es ging mir wie mit meinem allerersten Freund: Die Liebe zur neuen Frau tötete die Liebe zu mir ab.

Das war schade.

Aber trotz allem Kummer um das Ende der Liebe schien es eine neue Gelegenheit, mich selbst etwas besser kennenzulernen. Inzwischen hatte ich das Wort Beziehungsanarchie kennengelernt. Das beschreibt eine Form des Lebens, in der man bei den Bändern zu einzelnen Menschen keine Schubladen baut: Hier Freundschaft, da Freundschaft plus, dort Beziehung.

Stattdessen geht es um das Ziel und Ideal, jedes Band zu einem anderen Menschen als das zu betrachten, was es wirklich ist.

In meiner Ehe hatte ich herausgefunden, dass das eigentlich mein Ideal ist. Es gab oft Streit, weil ich nicht klar sagen konnte, ob mein Interesse an einem anderen Menschen freundschaftlich oder romantisch sei. In meinem Herz war beides warm und golden.

Für mich fühlen sich solche Schubladen schmerzhaft, unangenehm und einschränkend an.

*

Womit ich damals nicht gerechnet habe, ist Folgendes:

Offenbar übe ich durch mein Ideal und mein Suchen danach eine starke Anziehungskraft auf Männer aus, die keine "richtige" Beziehung wollen. Vielleicht liegt der Grund dafür in einer Beziehung, die zwar sexuell offen ist, emotional aber exklusiv sein soll, vielleicht ist es auch, weil jemand sich "nicht binden" will.

Aus mir wird dann also die Frau, die in die "Sex-und-Freundschaft"-Schublade gestopft wird (am besten noch vor allem Sex), und die dieser Schublade entsprechend fühlen und handeln soll. Andere Schublade, gleiches Prinzip.

"Sei in deinem Bindungsverhalten, deinen sexuellen und emotionalen Bedürfnissen so, wie ich dich haben will – und nicht so, wie du wirklich bist."

So etwas tut weh. Jedes Mal. Egal, ob es um Monogamie, Freundschaft, Sexualität oder Verliebtheit geht.

Wie also kann es funktionieren, Beziehungen aus einer Haltung der Ehrlichkeit, Offenheit und Verletzlichkeit einzugehen, in der Raum für Intensität, Liebe, Sexualität, Freiheit und Zuneigung ist? Für welche Art Männer kann ich die richtige Frau sein, was suche und brauche umgekehrt ich? Wie fasst man es so in Worte, dass neue Verletzungen vermieden werden, dass alle ehrlich sein können und daraus etwas Schönes, Heilsames und Gutes entsteht?

Ich weiß es noch nicht. Es fühlt sich an, als sei ich gerade erst am Anfang dieses Weges.

Am schlimmsten ist, dass ich nicht wirklich mit Menschen darüber sprechen kann, die es verstehen. Die Norm ist immer noch Monogamie. Selbst im Poly-Kontext habe ich zu hören bekommen, dass ich gegenüber der Frau für die "Hauptbeziehung" nicht zu hohe Ansprüche stellen dürfe.

Es ist schwierig, wenn der Anspruch, den man stellt, nicht "eine bestimmte Schublade" ist, sondern "schubladenfrei".

Vielleicht ist eine solche Suche ja auch für andere interessant?

Ansonsten kann ich mir hier beim Schreiben zumindest einbilden, dass es so ist, und mir hin und wieder wie in einem Blog alles von der Seele schreiben *g* .
*****che Mann
41 Beiträge
Mir gefällt Deine Sicht der Dinge und ich finde sie sehr gut nachvollziehbar! Und wo, wenn nicht in diesem Forum, dürftest Du auf "Gleichgesinnte" hoffen?
Ich würde gern sagen, "Ja, für mich ist das genauso", aber ich trau mich nicht ganz, weil ich es emotional zwar genauso empfinde, aber kaum auf reale Erfahrungen zurückgreifen kann, die das untermauern.
Schubladen sind unglaublich schwierig, einerseits versuche ich ständig, mir welche zurechtzumachen, aber drin wohnen kann ich dann doch nie. Genauso, wie ich mich nicht als CIS-Mann empfinde, aber doch nicht inter*trans oder queer. Auch die Geschlechterschubladen drücken immer irgendwo.
Was ich aber sehr gut kenne, ist die Schwierigkeit, poly zu empfinden und in meinem Umfeld nicht mit Menschen zusammen zu sein, die das auch empfinden. Meine Frau hat viel Verständnis dafür, dass ich so bin, aber trotzdem Angst davor, sobald ich mit meiner Geliebten ins Bett ginge. Diese wiederum kann sich meist nicht auf intimen Kontakt einlassen, weil sie meine Frau schätzt und nicht verletzen mag. Ich soll Respekt vor den monogamen Gefühlen meiner Frau (und der Geliebten) haben und möchte niemanden verletzen, aber dadurch dass ich es nicht so frei leben kann, verletze ich mich ständig selbst. Ein verdammter Teufelskreis. Und die große Rücksicht auf meine so geliebten Menschen verhindert eben auch, dass ich (bzw. wir alle) diese Erfahrungen real mache. Alles, was bleibt, ist ein platonischer Anteil meiner Liebe mit gelegentlichem Kitzel in der realen Begegnung.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Springteufel-Frauen
Es ist eine schwierige Sache mit der Rücksicht auf Partner:innen in vormals monogamen Beziehungen. Natürlich haben Menschen Rechte, mit denen man schon lange zusammen ist. Sie haben ein Recht auf Geborgenheit, auf Schutz, auf Loyalität und noch viel mehr.

Aber was habe dann ich?

In mir ist manchmal ein wenig Bitterkeit über solche Frauen.

Mir ist inzwischen zu oft die Konstellation begegnet: Frau lässt ihre Beziehung schleifen. Ihr Partner äußert sexuelle Bedürfnisse, aber sie hat keine Lust, sie zu erfüllen (muss sie auch nicht). Aber sie will sich auch nicht damit auseinandersetzen. Irgendwann sagt sie dann: Wenn es dir so wichtig ist, dann hol es dir halt woanders.

Irgendwann wird aus den dahingesagten Worten, die ihn zum Schweigen bringen sollten, eine geöffnete Beziehung. Der Mann trifft (vielleicht) mich und alles, was ich über mich erzähle, klingt wahnsinnig schön. Keine Schubladen. Loyal und authentisch miteinander sein. Verletzlich und offen. Raum dafür, der Mensch zu sein, der er ist, aber ich möchte auch der Mensch sein dürfen, der ich bin. Nein, du musst deine Freundin für mich nicht verlassen, aber ich will keine reine Sexgeschichte. Ich will Commitment und Emotion und Zuneigung, die unglaublich tief werden darf.

"Aber nichts, was meine Beziehung in Gefahr bringt", sagt er dann schnell noch. Weil das war es, was seine andere Partnerin sich gewünscht hat.

"Nicht bloß Freundschaft plus", sage ich. "Ich will Raum dafür, dass sich alles ehrlich und authentisch entwickeln darf."

Der Mann ist einverstanden. "Keine Schubladen. Versprochen. Wir suchen frei und ehrlich."

*

Für mich hat seine Grenze bedeutet: Ich werde nie von ihm verlangen, dass er die andere Frau in seinem Leben für mich verlässt. (Mit einer Bitte um eine solche Entscheidung würde ich nämlich nach meinem Verständnis seine Beziehung in Gefahr bringen. Und das möchte ich überhaupt nicht. Wenn er die andere Frau liebt, gehe ich immer erst mal davon aus, dass sie ne coole Bitch ist.)

*

Menschen sind nicht böse, versteht ihr?

Ein solcher Mann geht da nicht mit der Haltung rein: Na los, benutzen wir die Harfenspielerin mal für Sex ohne tiefere Gefühle, weil für die hab ich ja die Frau zu Hause.

Er mag mich wirklich, das fühle ich. Sonst würde ich mich nicht auf ihn einlassen. Es macht ihn glücklich, wenn ich mich bei ihm wohl und geborgen fühle.

Woche für Woche, Monat für Monat, werden die Gefühle tiefer. Bei beiden. Und schließlich frage ich: "Sag mal, was ist das eigentlich mit uns? Ich habe das Gefühl, es ist echt intensiv geworden, tief und ehrlich committed."

"Ich werde meine Freundin nicht für dich verlassen", sagt er dann. "Ich habe darüber nachgedacht, aber das werde ich nicht."

Dann schaue ich verwirrt. Darum ging es doch überhaupt nicht. "Was fühlst du denn für mich?", frage ich. "Du hast mir schließlich am Anfang versprochen, dass wir ehrlich und authentisch und verletzlich miteinander nach der Form suchen werden, die für uns passt."

Darüber muss er nachdenken, heißt es dann, und dann ...

Dann beginnt für mich die Hölle auf Erden. Denn er weiß natürlich, was er für mich fühlt. Es ist ja in seinen Augen zu sehen. Aber auf einmal ... Auf einmal bin ich es nicht mehr wert, ehrlich mit mir zu sein.

Er weicht mir aus.

Die Intimität bröckelt.

Mein Vertrauen in das Band zwischen uns bröckelt.

Ich versuche, ehrlich und verletzlich zu bleiben. Vertraue immer noch auf das Herz-zu-Herz-Band zwischen uns, denn er ist ein guter Mann. Und tatsächlich gesteht er sich irgendwann ein, dass der Raum, den ich in seinem Herz einnehme, nicht nur der für eine Fuckbuddy ist.

Und er sagt es mir.

Und ich bin dankbar, dass ich ihm all diese Selbsterforschung und diese Mühe wert war. Dankbar für die inneren Kämpfe, die er mit sich ausgefochten hat. Dankbar, von diesem wundervollen Mann geliebt zu werden.

"Vielleicht ist es an der Zeit, mit der anderen Frau in deinem Leben zu sprechen", sage ich dann. "Es kann nur dann etwas Gutes entstehen, wenn auf jeden hier geachtet wird, und sie ist wichtig und wertvoll. Lass uns gemeinsam nach der Form suchen, die für jeden von uns passt, damit wir uns alle sicher und geborgen und angemessen geliebt fühlen können."

*

Und dann. Dann kommt sie wie ein Springteufel aus der Kiste gesprungen.

NEEEEEEEIIIIIIIIN!

Pfui! Du böse!

Du nur für Ficken, du kein Herz!

Tiefere Gefühle sind nicht erlaubt, das hat sie doch von Anfang an gesagt. Das geht nicht. Das packt sie nicht. Sie will auch nicht darüber reden, sich nicht damit auseinandersetzen. Sie hat das alles ohnehin nur ertragen, solange er es von ihr ferngehalten hat, und ...

Nope.

Ist nicht.

Keine Herz-zu-Herz-Muster für die Harfenspielerin.

*

Und natürlich wird er dann immer um das trauern, was mit mir möglich gewesen wäre, dieser Mann, der mir Ehrlichkeit und Verletzlichkeit und gemeinsames Suchen versprochen hat. Aber es ist ja völlig klar, dass die andere Frau an erster Stelle kommt. Sie hat ihm all die Jahre so viel gegeben ...

Was ist mit mir, möchte ich dann schreien. Ich habe mich auf dich eingelassen. Ich habe dir vertraut. Ich war ehrlich und habe mir Ehrlichkeit von dir gewünscht, ich habe nie verlangt oder auch nur in den Raum gestellt, dass du sie verlässt. Im Gegenteil. Als du darüber nachgedacht hast, habe ich dir geraten, dich an all das zu erinnern, was euch verbindet.

Weil ich an die Liebe glaube.

Weil ich glaube, dass es gut ist, wenn man Raum gibt, vertraut und gemeinsam wachsen möchte.

Und jetzt kommt sie an, wie ein hässlicher kleiner Springteufel, und weigert sich mit mir zu sprechen? Sie hat ein Recht auf ihre verdammte Springteufelschublade, und er lässt sich aus Liebe zu ihr wieder in die Schublade pressen – und all die Liebe zwischen uns, die in all der Zeit gewachsen ist, wird rückblickend zu nichts weiter als einer Sexfreundschaft "ohne tiefere Gefühle" degradiert?

*

Ich hasse Springteufelfrauen. Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen. Nicht bereit, anzuerkennen, dass ich ein Mensch bin, mit Gefühlen, verletzlich, vertrauend und voller Bereitschaft, ihr mit Respekt zu begegnen. Nicht bereit, mir den Respekt zu geben, den ich ihr auch unbekannterweise immer gegeben habe.

Bin ich eine Frau zweiter Klasse, weil ich in Freiheit, Vertrauen und Authentizität lieben und anderen Menschen begegnen will?

Darf man mich in die gewünschten und objektifizierenden Schubladen wie Sexfreundschaft zwingen, weil ich die Standardschubladen ablehne und meinem Gegenüber mit all meiner Verletzlichkeit in Freiheit und Authentizität begegnen will?

*

Ganz ehrlich, liebe Springteufel-Frauen, ihr seid feige Bitches. Kein Wunder, dass ihr von feigen Männern geliebt werdet.
*****che Mann
41 Beiträge
Danke!!! Du schreibst großartig und mir kommen so viele Gedanken, Fragen, Bestätigungen und Widersprüche in den Kopf, das muss ich erstmal sortieren. Vielleicht bin ich ziemlich feige (aus Gründen), vielleicht auch nur ein fürchterlich lieber Mensch, der nie jemandem weh tun mag und das dadurch erst recht tut. Nicht zuletzt sich selbst.
Das Leben zwischen den Schubladen kann auch verdammt anstrengend sein, das weißt Du gut genug. Polyamore auch.... und der Weg der Entwicklung erst recht *zwinker*
******ane Frau
758 Beiträge
Danke für deine großartigen Worte. Ich kann sehr gut verstehen, was du fühlst. Du hast es wunderbar in Worte gefasst. Und auch wenn es weh tut, nie würde ich tauschen wollen mit diesen Frauen, ich selbst und echt zu sein ist viel zu wertvoll *herz2*
*********in365 Frau
1.499 Beiträge
Liebe @**********lerin,

versuche es nicht allzu persönlich zu nehmen, denn was da geschieht hat vielmehr mit der Angst der anderen Beiden zu tun, als mit dir und deiner Liebe.

Die Liebe ist da, sie ist echt und spürbar, zwischen dir und ihm und sehr wahrscheinlich auch zwischen ihm und seiner Springteufelfrau ... aber da ist eben auch Angst vor dem Unbekannten und diese ist mächtig.

Du hast sehr früh erfahren, dass du mehrere Menschen Lieben kannst, bist geübt darin, ohne den festen Rahmen einer Schublade, Sicherheit empfinden zu können und das ist etwas sehr Kostbares ... was dir Keiner nehmen kann ... dein Herz liebt offen und frei ...

Es sind die Erwartungen, welche enttäuschen und du kannst nicht erwarten, dass die Anderen ebenso vermögen zu lieben ... sie haben andere Erfahrungen gemacht, sind anders geprägt ... sie kennen das Leben jenseits der Schublade (noch) nicht ...

Es steht dir frei, sie für ihre Angst zu verteufeln, aber das scheint mir nicht der Weg des Herzens, sondern vielmehr der Weg, den deine Angst nimmt.

Bedeutet Liebe nicht auch, den Anderen anzunehmen, wie er ist? Geduld zu schenken, wenn klar ist, dass er ein anderes Tempo hat? Grenzen zu respektieren?

Du kannst seine oder ihre mögliche Entwicklung nicht erzwingen, ihre Grenzen nicht versetzen ... du kannst nur für dich bestimmen, wie weit du gehen willst, wieviel Leid, du dir zumutest, wo du einen Schlußstrich brauchst ...

Auch ich habe Menschen schon verloren, weil ihnen meine Liebe Angst machte ... schuld war weder die Liebe, noch meine Offenheit oder ihre Angst davor ...
letztlich erkannte ich in solchen Momenten nur, dass es eben nicht so gut passt, wie ich glauben wollte ...
So ist Enttäuschung nichts, als das Ende einer Täuschung ...

Fühl dich sanft umärmelt
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Wow, das ist viel Feedback, ich bin gerade positiv überrascht, erfreut und etwas nervös!

Vielen Dank für eure Worte, auch die PNs.

Eine Sache vielleicht trotzdem: Das hier ist kein Thread im Partnerschaftsforum, wo zu einer bestimmten Frage Rat, Unterstützung oder Ähnliches bei einer Lösungsfindung gesucht wird. Dieses Schreiben hier ist meine "Lösung". Ich nutze das Gedanken-Unterforum, um meine Gedanken beim Aufschreiben zu sortieren. Das kann und darf zu Austausch führen, aber die Schwerpunktsetzung ist hier tatsächlich ein recht egoistisches "Ich nehme mir den Raum für mich, meine Gedanken und Gefühle, und wer will, darf daran teilhaben und eigene Gedanken und Impulse beisteuern".

Ich muss hier nicht den Weg des Herzens gehen, sondern darf den Weg der Angst gehen. Oder der Wut. Oder des Spotts. Weil all das mein Weg ist, wenn es sich gerade danach anfühlt. Und weil ich entschieden habe, mir hier an dieser Stelle den Raum genau dafür zu nehmen.
*****che Mann
41 Beiträge
Zitat von **********lerin:
Ich nutze das Gedanken-Unterforum, um meine Gedanken beim Aufschreiben zu sortieren. Das kann und darf zu Austausch führen,

So nehme ich das auch wahr. In diesem Sinne wollte ich, durch Deine sehr anregenden Gedanken, was beisteuern. Dass ich 'sortieren' muss, wie ich gestern schrieb, hat genau den Hintergrund, dass ich nicht zu persönlich werden möchte, nicht konkteten Beziehungsrat suchen möchte (dafür haben wir eine wunderbare Paartherapeutin und ich auch eine Psychotherapeutin, die mir den JoyClub empfahl), aber natürlich vom Persönlichen ausgehend was eher Übergeordnetes sagen möchte. Genau wie Du schreibst, im Blog (oder meinem Beitrag dazu, der von Deinen Gedanken ausgeht) Gedanken sortieren, präzisieren, weiterdenken. Und ich finde es eine sehr gute Idee von Dir, Dich in dieser Form damit auszudrücken. Diese Art zu schreiben kann entlasten und auch weiter bringen. Dich - und auch andere. Es tut einfach gut, zu wissen, dass zwar jede*r ganz einzigartig ist, aber doch nicht völlig allein und einsam mit seinen*ihren Gedanken, Gefühlen, Sorgen, Problemen (übrigens genau das, was meine Therapeutin, die ich nur alle paar Monate treffe, meinte, als sie mir JC empfahl)
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Ich suche Schutz am Wasser
Es ist ein Horrortag. Er liegt schon ein wenig zurück, aber ich fühle ihn noch, als wäre es heute.

"Warum hast du meine Grenze nie beschützt?", frage ich, obwohl es längst zu spät ist für solche Gespräche. "Wir haben so viel Zeit damit verbracht, darüber zu sprechen, welche Form es haben kann. Ich habe Vorschläge gemacht, aber bei allen hast du Nein gesagt. Weil solche Worte Schubladen sind, sagtest du. Weil du keine Schubladen für Menschen magst."

"Wie kann es sein, dass wir uns so sehr missverstanden haben", sagt er. "Ich habe dich all die Zeit so verstanden, dass du diejenige bist, die auf Schubladen drängt."

Schweigen. Das Entsetzen in mir geht zu tief für Worte. Allmählich begreife ich.

"Das war der Versuch, mich zu schützen", sage ich leise. "Das Vertrauen zwischen uns, das war so lange gewachsen ... Ich hatte so wenige Worte ... Aber ich habe darauf vertraut, dass du das ernst meinst. Du warst der erste, der ..."

"Der was?", fragt er sanft.

"Der mich da beschützt hätte", quetsche ich hervor. "Damit, dass ich von außen vorgegebene Schubladen nicht ertrage, dass sie mir wehtun, dass sie meine Seele verletzen! Du hattest gesagt, Suchen im Sein, nicht in Schubladen. Und dann geht sie hin und sagt: Es muss aber Schublade sein, und zwar die, und nicht die ... Und auf einmal gilt das nicht mehr, was du mir versprochen hast. Dass du mich beschützt."

Das Entsetzen in seinem Gesicht ist so ehrlich und tief wie meins. Denn es ist zu spät. Er hat ihr gesagt, dass er das mit mir beendet hat. Weil ich mit "Freundschaft plus" nicht einverstanden war, weil ich gesagt habe, ich ertrage es nicht, wenn es keine Liebe sein darf, wenn sie auf einmal sagt, "Polyamory" ist ausgeschlossen, die und die Schublade ja, die und die nein, aber genauer will und wird sie nicht hinschauen.

Ich begreife, und ich will schreien vor Angst.

Harfenspielerin stellt immer wieder neue Forderungen, hat er gedacht. Egal, was man ihr gibt, es ist nie gut genug.

"Du hattest versprochen, meine Grenze zu beschützen", sage ich leise. "Dass es keine Schubladen sein sollen. Aber schon zwei Monate später bist du doch wieder mit Schubladen angekommen. Hast du das nicht bemerkt?"

Er schluckt. "Das war mir nie klar, dass es so rüberkam. Aber ich verstehe, wie der Eindruck entstanden ist. Jetzt ergibt das Bild Sinn."

Ich habe Angst, aber ich sage es trotzdem. "Das ... Das waren keine Forderungen von mir, all die Zeit. Das war der entsetzte Versuch, die Ordnung in einer verrücktgewordenen Welt zu schaffen. Ich habe nur versucht, es euch recht zu machen. Wenn es schon Schubladen sein müssen, wenn du mich nicht mehr beschützt mit all diesem unsicheren Sein in mir ... Dann nimm doch wenigstens eine, die etwas besser passt, dann lass uns doch wenigstens im Meer der Kategorien suchen, welche für uns die richtige ist, mit ein bisschen Feintuning und nicht nur die ganz groben Kategorien."

Er schließt kurz die Augen und blickt mich dann an. "Ich mag keine Schubladen für Menschen, das habe ich dir immer gesagt."

Warum wollt ihr mich dann eine quetschen, will ich schreien. Wie könnt ihr es wagen? Wie konntest du mich in eine solche Falle locken, wenn ich dir vertraue, weil ich die Wahrheit in deinem Blick sehe, wenn du das sagst – und dann tust du es trotzdem?

Ich bleibe höflich, so höflich ich kann. "Das hast du mir gesagt, aber warum nicht ihr?"

Das Entsetzen in mir ist ein Schrei, der nicht mehr aufhören will. Er mag keine Schubladen für Menschen. Deswegen habe ich ihm vertraut. Aber sie, die blöde, beschissene Springteufelfrau, braucht sie, um sich sicher zu fühlen. Und er hat nie begriffen, dass es nicht ihre Bindungsbedürfnisse zu ihm waren, vor denen ich mich gefürchtet habe, sondern all die ausgesprochenen und unausgesprochenen Schubladen, die sie fordert und die er trotz all seiner Bekenntnisse gegen Schubladen zu mir trägt. So subtil, dass ich es nie greifen konnte, weil nie klar war, was von ihr kam und was von ihm.

Doublebind.

Der Mann, bei dem ich Schutz vor einer Welt voller Schubladen gesucht habe, der mich gelehrt hat, daran zu glauben, dass Authentizität im Sein statt in Schubladen möglich sein könnte, hat mir die Schubladen seiner Springteufelfrau aufgezwungen und mir damit unendlich wehgetan.

Schlimmer noch, er glaubte irgendwann, dass meine hilflosen Verteidigungsversuche dagegen daher kamen, dass ich selbst es war, die plötzlich Schubladen verlangte.

Er begreift es ebenfalls und ich sehe den Schmerz und die Scham in seinen Augen. Ich schäme mich auch.

Wie sehr wir doch beide versagt haben.

Ich drücke den Aus-Knopf auf meinem Rechner und töte sein Bild. Packe meinen Badeanzug, mein Handtuch, und fahre an den Fluss, will schreien, kotzen, mich mit einem scharfen Messer auseinanderschneiden, damit ich aus den zerstörten Fetzen etwas Normaleres und Schubladisiertes formen kann. Mein Körper ist nicht länger meins. Ich falle ins Wasser, schwimme raus, kalt, ich spüre das Kalte nicht, es riecht nach Moder, nach feucht, nach Sommer, aber es ist zu kalt für Sommer. Das Wasser trägt mich, wo es der feste Boden nicht mehr tut.

Ich hole tief Luft, lege das Gesicht ins Wasser und schreie, so laut ich kann.

Hole neu Luft und schreie erneut. Es ist die Panik eines ganzen Lebens, die ich hinausschreie. Ich habe es doch versucht, will ich schreien, aber es sind keine Worte mehr da. Ich habe es wieder und wieder versucht. All diese Schubladen. Monogamie. Freundschaft. Freundschaft plus. Spielbeziehung. Ds-Verhältnis. Künstlerfreundschaft. Sie haben nie gestimmt, sie haben jedes Mal neu etwas von mir abgeschlagen.

Was bleibt noch von mir außer diesem Bündel Entsetzen, das im Fluss treibt und erneut den Kopf hebt, unter Wasser drückt und schreit, Wasser einatmet, Wasser hinausschreit, auftaucht, schluchzt und unterzugehen droht, weil es am ganzen Körper geschüttelt wird vor Entsetzen?
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Zwei ganz besondere Männer
Nachdem ich aus dem Wasser gekommen bin, sitze ich zwischen Wolken und Sonne und lasse mich vom Wind abtrocknen. Es ist kalt, entsetzlich kalt, aber ... Etwas hat sich gelöst. Ich will immer noch schreien, aber aus der absoluten, seelenzerfetzenden Panik ist etwas Leiseres geworden. Es fühlt sich wie Tränen an, die seit Jahrzehnten in mir eingeschlossen sind und sich Bahn brechen wollen, aber sie finden keinen Weg.

Und dann frage ich mich:

Warum zur Hölle habe ich gerade solche Angst verspürt? Was ist da in mir aufgebrochen?

*

Ich sitze am Flussufer und tauche tief ein in meine Vergangenheit. Die Reaktion eben war zu heftig, das habe ich selbst gemerkt. Was für eine krasse Angst!

In meiner Erinnerung finde ich Fetzen davon, wie ich mich zu stark an andere Menschen angepasst habe. Ich habe die möglicherweise seltsame Gabe, dass es mir leicht fällt, zwischen anderen Menschen und mir Gemeinsamkeiten zu finden. Wie oft ist es mir schon passiert, dass dann jemand sagte und ausstrahlte: Ah, du bist genau wie ich, nach dir habe ich schon immer gesucht!

Aber ich war nie genau wie der andere.

Oder wie die andere.

Das geht ja gar nicht.

Es kommt mir so natürlich vor, in anderen Menschen das zu suchen, was uns verbindet. So sehr, dass es mir nie klar genug war, dass ich mich bei einer so wunderschönen Gabe zur Verbindung mit anderen Menschen auch davor schützen muss, dass sie mich unausgesprochen mit ihrem Wollen vereinnahmen. Denn ich bin natürlich immer noch ich und an manchen Stellen ganz anders als sie.

Die coolen Leute in meinem Leben, die, die seit zwanzig Jahren und länger wertvoll für mich sind (wie mein erster Freund und langjähriger, bewährter und in allen Lagen zuverlässiger Exfreund) haben mich auch immer so gesehen und gemocht. Es scheint also durchaus möglich zu sein, an manchen Stellen mit mir verbunden und sehr ähnlich zu sein und an anderen dann wieder ganz anders.

*

In Partnerschaften wurde es bei anderen Männern als diesem Ersten immer wieder neu zum Problem. Irgendwie entstand in diesen Menschen innerlich jedes Mal ein Bild davon, wie eine idealisierte Harfenspielerin aussah. Die Frau, die der perfekte Gegenpart zu allen inneren Bedürfnissen in Bezug auf eine Partnerschaft ist.

Vermutlich fällt es anderen Menschen leichter als mir, da dann sanft abzugrenzen: Sorry, mein Liebling, an der Stelle stimmt dein Bild von mir nicht ganz. Ich bin eigentlich so und so, aber ich liebe dich trotzdem. In mir entsteht dann immer der Impuls, es dem anderen recht zu machen. Dann werde ich halt ein wenig mehr so wie sein Bild von mir, was ist schon dabei? Das ist ja auch ein Teil von mir, dieser Wunsch, ihn nicht zu enttäuschen.

Früher oder später, dachte ich jedes Mal, wird der Typ schon wieder "normal" werden.

So, wie der allererste Partner, der mich sowohl in Beziehung wie auch in Trennung immer als mich selbst gesehen, bedingungslos akzeptiert und sich an mir erfreut hat, ohne je selbst den Anspruch zu haben, deswegen so wie ich zu werden.

Das ist nur nie bei einem späteren Partner passiert. Aus seiner Sicht war er ja "normal", warum hätte er etwas ändern sollen?

*

Ich frage mich, ob mein erster Partner mein Bild dafür verdorben hat, wie ein "normaler" Umgang miteinander in einer Partnerschaft aussieht. Mein eigener Vater ist schließlich auch so ein Mann, und die beiden haben meine Vorstellung davon geprägt, wie Männer sind. Logisch, denke ich, rein chronologisch auf meine Lebenslinie projiziert. Mein Vater akzeptiert andere Menschen auch bedingungslos, ruht in sich, erfreut sich an anderen und Gemeinsamem und würde trotzdem nie auf die Idee kommen, den anderen in irgendeine Form pressen zu wollen.

Ist das nicht das, wie Männer normalerweise sind?

War es nicht jedes Mal nur ein bedauernswertes Missverständnis, wenn andere Männer nicht so waren?

Oder haben diese beiden ersten Männer in meinem Leben einfach mein Bild dafür verfälscht, was "normal" ist, weil sie an der Stelle in Wahrheit etwas sehr Besonderes sind – etwas, was ich dann als "normal" verinnerlicht habe und auch anderen entgegenzubringen bereit bin?

*

Vermutlich ist es so, wird mir am Flussufer klar. Das, was ich da für "normal" gehalten habe, ist in Wahrheit außergewöhnlich. Menschen, die Schubladen für andere Menschen brauchen, sind der Regelfall.

Wenn mich jemand so behandelt, dann ist das überhaupt keine unerträgliche Respektlosigkeit, die mich entmenschlichen soll und mir jeden Wert abspricht, sondern vermutlich das, was er selbst als "normal" gelernt hat.

Ich sitze da und zittere und friere, während die Welt sich zurechtschiebt. Sie wird dunkler. "Normal" ist eine Haltung Menschen gegenüber und eine Form des Umgangs, von dem ich gelernt habe, dass es zutiefst hässlich und respektlos ist. So was tut man nicht. Pfui. Bäh. Das ist böse! Lass das! Keine Schubladen. Schau hin, wie der Mensch wirklich ist.

So wurde ich erzogen, so war meine erste Liebe.

Aber so muss es sein, begreife ich. Mein Leben, all diese Schubladenerfahrungen, all dieser Schmerz ... Aus dieser Perspektive ergibt es Sinn. Menschen sind fähig, sich selbst für gute Menschen zu halten, für respektvoll, achtsam, liebevoll, und trotzdem ganz selbstverständlich in ihrem Kopf Schubladen zu haben, in die sie Menschen innerlich einsortieren und wo sie ausgesprochen oder unausgesprochen erwarten, dass das so funktionieren wird.

Und niemand hat ihnen erklärt, wie viel Angst sie mir damit machen, weil das so anders ist als das, wie sich Männer "normalerweise" mir gegenüber verhalten (haben).
*********vibus Mann
1.017 Beiträge
Zitat von **********lerin:
Mein Leben, all diese Schubladenerfahrungen, all dieser Schmerz ... Aus dieser Perspektive ergibt es Sinn. Menschen sind fähig, sich selbst für gute Menschen zu halten, für respektvoll, achtsam, liebevoll, und trotzdem ganz selbstverständlich in ihrem Kopf Schubladen zu haben, in die sie Menschen innerlich einsortieren und wo sie ausgesprochen oder unausgesprochen erwarten, dass das so funktionieren wird.

Und niemand hat ihnen erklärt, wie viel Angst sie mir damit machen, weil das so anders ist als das, wie sich Männer "normalerweise" mir gegenüber verhalten (haben).
Das menschliche Gehirn ordnet, was ihm begegnet, vergleicht, steckt in Schubladen. Ich vermute, es kann nicht anders. Insofern mag es eine Fehlkonstruktion sein, aber eine die sich im Großen und Ganzen bewährt hat.
Individueller und deswegen ein sinnvollerer Gegenstand von Kritik als eine Ordnung in Schubladen erscheinen mir die Zuordnung zu einzelnen Schubladen und die Bewertung ihres Inhalts. Auch "Beziehungsanarchistin" ist eine Schublade. Entscheidend ist, womit ich sie verknüpfe und wo in meinem Schrank ich sie einordne.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Zitat von *********vibus:
Auch "Beziehungsanarchistin" ist eine Schublade.

Hierzu passen vielleicht ein paar Gedanken, die ich heute im Rahmen einer Diskussion in der Gruppe "Beziehungsanarchie" ausformuliert habe und die ich (weil passend) hier ebenfalls teile:

Mir hilft das Label tatsächlich sehr, um meine "Beziehungsform" zu erklären. Viel zu oft begegne ich Menschen, die aufgrund einer gewissen Grundsympathie und von mir durchaus so empfundenen Ergebnisoffenheit daraus dann genau die Form pressen wollen, die sie sich wünschen, anstatt gemeinsam ein fluides Miteinander des sich-zurecht-Fließens zu erleben.

Das kann dann je nach individuellem Wünschen die Liebe des Lebens, der Satellit fürs exklusive kleine Sex-Abenteuer, die perfekte Lückenbüßerin für all die Defizite der Nestbeziehung sein.

Aber was ist mit meinem Wunsch, das Miteinander nicht an Schubladen zu orientieren, und auch nicht an vorgefertigten Erwartungen ("füllst du meine Defizite, dann fülle ich deine"), sondern aus einem sanften, sich aus der tatsächlich vorhandenen Wahrnehmung von dem, was gefühlt, gewollt und gegeben wird, die individuell passende Kombination aus Nähe und Autonomie, Bindung und Freiheit, Sex und Herzenswärme und Sapiosexualität zu finden?

Dieser Wunsch von mir, dass es sich auf diese Weise entwickelt, und zwar nicht nur in der Anfangszeit für eine Suchphase bis zur "passenden Form", sondern für den Rest meines Lebens immer wieder neu, nicht aufgrund eines Mangels, sondern aufgrund einem bewussten Bekenntnis zur Fluidität aller menschlichen Bindungen aus einer Haltung von Respekt, Ehrlichkeit und Vertrauen ...

Für den brauche ich ein Label, sonst wird er verformt und in die Wünsche anderer hineingepresst, die gar nicht gemerkt haben, dass sich mein Wunsch hier von ihrem unterscheidet und meine Offenheit gar nicht bedeutet "Harfenspielerin will genau das Beziehungsformat, was ihr Gegenüber als Idealform im Kopf hat". Wenn ich da nicht mit einem passenden Label schütze, dann heißt es auf einmal "Ja, jetzt wo du BDSM mit ihm machst, ist doch klar, dass seine 'Primärpartnerin' ihre Rechte auf sein Herz geltend macht und er nicht mehr die tiefe Herzenswärme von früher für dich empfinden darf, die völlig okay war, solange wir das Label 'Freundschaft' hatten".

Ich brauche ein Label, um mich zu schützen, um mich dahinter zu verstecken, weil ich diese Verletzlichkeit, die Authentizität im Finden und Fühlen für mich bedeutet, anders noch nicht verteidigen kann. Für mich ist diese Art des Fühlens, Findens und Suchens eigentlich zutiefst natürlich, weich und sanft und will keine Label, aber in einer Welt, in der andere damit nicht so achtsam umgehen wie ich mit ihnen umgehen möchte, bietet ein Label genau dafür zumindest ein Minimum an Schutz.
*****che Mann
41 Beiträge
Zitat von *********vibus:
Individueller und deswegen ein sinnvollerer Gegenstand von Kritik als eine Ordnung in Schubladen erscheinen mir die Zuordnung zu einzelnen Schubladen und die Bewertung ihres Inhalts.

Das scheint mir auch so. Allerdings, wenn ich es schaffe, keine Bewertung vorzunehmen und jede Zuordnung fließend sein soll, wie Harfenspielerin mir aus der Seele schreibt, müsste ich mich dann nicht wirklich vom Schubladensystem verabschieden?
Mein Hintergrud für Beziehung (im engeren Sinne) ist die Liebe. Und ich habe gerade in den letzten, gesundheitlich finsteren Monaten, gemerkt, dass sich gerade meine Liebe (zu drei Personen) jeder Wertung entzieht. Ich liebe jede der drei Frauen auf eine eigene Art und keine ist weniger wichtig. Nur anders. Wenn es um die darauf basierenden Beziehungen geht, liegen Wertungen auf der Hand, denn sie sind qualitativ sehr unterschiedlich und während ich in diesem Jahr eine gar nicht sah, die sndere einmal, sah ich die "Hauptbeziehung" jeden Tag. Das sagt aber nichts über die Intensität der Gefühle aus. Alle drei haben mir sehr gut getan. Ich möchte meine Beziehungen nicht schubladisieren, weil es meiner Liebe nicht entspricht.
*********vibus Mann
1.017 Beiträge
Zitat von *****che:
Allerdings, wenn ich es schaffe, keine Bewertung vorzunehmen und jede Zuordnung fließend sein soll, wie Harfenspielerin mir aus der Seele schreibt, müsste ich mich dann nicht wirklich vom Schubladensystem verabschieden?
Unser Denken scheint mir ein steter Abgleich von, ein stets Abarbeiten an Erfahrungen zu sein. Das Vergleichen gebiert in gewissem Maß Schubladendenken. Aber die Schubladen müssen - um im Bild zu bleiben - keine starren Begrenzungen haben. Manche Erfahrung kann auch in der Mitte zwischen verschiedenen Schubladen eingeordnet werden, "fließend sein", wie Du es nennst.

Gar keine Bewertung vorzunehmen, halte ich für unmöglich. Das kann unser Gehirn nicht. Es baut immer Verbindungen auf zu Erfahrung oder schon vorhandenem Wissen und wertet damit auch. Denn in jedem Vergleich steckt Wertung.
*****che Mann
41 Beiträge
Zitat von *********vibus:
Gar keine Bewertung vorzunehmen, halte ich für unmöglich. Das kann unser Gehirn nicht. Es baut immer Verbindungen auf zu Erfahrung oder schon vorhandenem Wissen und wertet damit auch. Denn in jedem Vergleich steckt Wertung.
...womit Du wohl auch recht hast. Ich kann nur versuchen - und glaube, das klappt auch meistens - im Moment da zu sein, wo ich bin. Und mit dem Gegenüber in die Schublade zu hüpfen, in der wir gerade die größte Gemeinsamkeit sehen. Heute war ich für eine Geliebte die "beste Freundin", auch wenn ich gewöhnlich als Mann gelesen werde und mich selbst gewöhnlich auch so sehe. Fließend sein...
*****Zwo Mann
388 Beiträge
Zitat von **********lerin:
Ich brauche ein Label, um mich zu schützen, um mich dahinter zu verstecken, weil ich diese Verletzlichkeit, die Authentizität im Finden und Fühlen für mich bedeutet, anders noch nicht verteidigen kann. Für mich ist diese Art des Fühlens, Findens und Suchens eigentlich zutiefst natürlich, weich und sanft und will keine Label, aber in einer Welt, in der andere damit nicht so achtsam umgehen wie ich mit ihnen umgehen möchte, bietet ein Label genau dafür zumindest ein Minimum an Schutz.

Ich habe große Zweifel, dass man "Schubladendenken" dadurch begegnen sollte, immer mehr, und immer ausdifferenziertere Schubladen zu definieren. Menschen sind nun mal sehr verschieden, mit ganz unterschiedlichen Erwartungen, Bedürfnissen, Wünschen und Träumen. Das führt eben oft zu Enttäuschungen und Konflikten. Diese Ambivalenzen kann man aber nicht wegdefinieren, sondern muss eben immer wieder aufs Neue damit umgehen.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
"Ich passe mich an"
Es ist ein First Date. Der Typ könnte was taugen. Vielleicht. Ich mag, wie er redet, wie er mich zum Lachen bringt und wie seine Augen blitzen.

"Du weißt, dass ich Beziehungsanarchistin bin", habe ich vor dem Treffen gefragt. "Es bedeutet, dass es in meinem Leben auch noch andere Menschen gibt, mit denen ich Zuneigung teile, und dass ich da nicht entlang von externen Beziehungskriterien danach differenziere, ob es sich da um Freundschaft, Romantik, Sexualität, BDSM oder all den anderen Kram handelt. Nur danach, was zwischen mir und den jeweiligen Menschen richtig ist. Und so wird es auch weiterhin sein."

So oder so ähnlich habe ich es ausgedrückt.

Er hat sich noch einmal dafür bedankt, dass ich das so sage, weil Transparenz und Ehrlichkeit immer eine gute Grundlage sind. Oder was auch immer. Ich krieg es gerade nicht mehr zusammen.

Seine Reaktion mochte ich jedenfalls: Er hat nachrecherchiert und festgestellt, dass er bis dahin ein falsches Vorurteil gegen Beziehungsanarchie bzw. -anarchismus hatte. Dass es dabei darum ginge, keine Regeln zu haben – obwohl es in Wahrheit bedeutet, die Regeln zwischen allen beteiligten Menschen einvernehmlich, respektvoll und verbindlich entlang der eigenen Bedürfnisse und nicht entlang von gesellschaftlich üblichen Mustern festzulegen. Selbst dann, wenn auf diese Weise etwas entsteht, was nicht einhundertpro das ist, was man auf den ersten Blick geplant oder erwartet hätte.

Ganz ehrlich, so eine Reaktion ist sexy.

*****

Beim Treffen plaudern wir über alles Mögliche. Das Gespräch fühlt sich natürlich und entspannt an, springt von einem Thema zum nächsten und mäandert. Ein bisschen sapiosexuell bin ich ja schon, und das ist kein Widerspruch dazu, dass es mir gefällt, wenn jemand darüber hinaus auch noch gut aussieht.

Irgendwann reden wir auch über Schubladen. Und meine Angst davor.

"Anarchismus bedeutet an der Stelle für mich auch nicht wilde Rebellion oder so, fickt das System, brennt alles nieder", erkläre ich. Obwohl ich manchmal durchaus sehr leidenschaftlich sein kann, fühle ich mich an der Stelle eher unsicher und verletzlich. Und beim Erzählen begreife ich etwas Neues, von dem ich hier erzählen möchte.

Ich bin nämlich eigentlich keine Rebellin. Ich bin eher jemand, der anderen Menschen gefallen will. Ich mag es, wenn die Menschen, die ich mag, sich bei mir wohlfühlen. Und dann passiert es oft, dass jemand ... Der sieht zuerst einen bestimmten Teil von mir, ja? Und da ist auch völlig egal, welcher Teil das ist. Ich hab ja verschiedene Facetten, es kann also bei jeder davon passieren. An einer bestimmten Stelle entsteht Resonanz.

Dieser Mensch baut sich auf der Grundlage dieser Resonanz ein Bild von mir, das er mag. Und weil ich diesen Menschen mag, versuche ich, so zu werden wie dieses Bild von mir. Nicht mal als bewusste Entscheidung, einfach nur, weil ich nicht genug aufpasse und Harmonie möchte, weil ich gemocht werden möchte, weil ich jemanden selbst mag.

Und früher oder später bin ich dann nicht mehr 'ich'. Ich verliere allmählich an Leuchten und Lebensfreude. Wenn ich die unerwünschten Facetten irgendwann doch raushole, heißt es: Du warst früher ganz anders. Wenn ich sie anderswo zeige, entstehen Brüche in meinem Leben: Hier bin ich so, dort so, dort wieder anders. Und dann können sich die einzelnen Bereiche meines Lebens nicht begegnen, weil ich jedes Mal ein anderer Mensch zu sein scheine, weil ... Weil ich mich anpasse, einfüge, gefallen möchte, glücklich machen will.

Das ist nicht gut für mich, glaube ich. Viele Menschen halten es für ihr eigenes Leben ähnlich, aber für die ist es vielleicht auch nicht gut. Keine Ahnung. Das geht mich im Grunde nichts an.

Ich möchte eigentlich nur ich selbst sein. Und ich weiß oft gar nicht, was das genau ist. Manchmal bin ich mutig, manchmal ängstlich. Manchmal stark und kreativ, manchmal schwach und innerlich leer. Manchmal stolz, manchmal bescheiden. Ich mag unglaublich viele Dinge tun und trotzdem liege ich einfach gern auf dem Rücken und schaue in die Sterne. Mein 'Ich selbst sein' ist auch kein Abziehbild, keine vorgefertigte Schablone: Aha, sie ist so und so.

*****

Mein Gegenüber lächelt und ich merke plötzlich, dass ich keine Ahnung habe, mit welchen Worten ich diese Gedanken in mir transportiert habe. Sie kamen erst im Gespräch mit ihm zu mir, aber ich mag sie. Und ich mag, dass er mich dazu bringt, auf diese Weise zu denken und zu fühlen. Ich mag, wie er mich währenddessen anschaut.

"Ich habe ja gesagt, dass ich dann im Zweifelsfall einfach in meinem Kopf eine eigene Schublade für dich baue", sagt er. "Und sie nimmt langsam Gestalt an. Griff, Seitenwände und so ... Boden fehlt noch. Äh, ist die Metapher jetzt richtig?"

"Mit Boden unter den Füßen haben bin ich eh nie so gut, ich bin zu verträumt dafür." Ich zwinkere und das Gespräch geht in eine neue Richtung.

Am Ende des Dates fühle ich mich bei ihm sicher genug, dass ich mich von ihm einladen lasse (und mir wünsche, beim nächsten Treffen ihn einladen zu dürfen) und zu ihm ins Auto steige, damit er mich heimbringt. Ohne ein Foto von seinem Nummernschild und seinem Führerschein zu machen und es an eine Freundin zu schicken, obwohl er mir das von sich aus anbietet.

Irgendetwas in mir hat sich an diesem Abend gelöst. Es ist zu leise, um es mit diesen Worten hier wirklich zu beschreiben. Aber ich mag es, dieses Weiche, was da plötzlich in mir ist.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Menschen verformen
Manchmal ist es eine ganz seltsame Sache mit den eigenen Idealen. Im Moment denke ich viel darüber nach, wie ich mich früher im Leben bei der einen oder anderen Gelegenheit Herzmenschen gegenüber verformt habe.

"Verformen" ist ein Begriff von meinem Reisebegleitungs-Freund, den wir mal gemeinsam definiert haben. Wir wollten die unterschiedlichen Arten genauer anschauen, wie Menschen Einfluss aufeinander nehmen. Ich glaube, der Ausgangspunkt war damals die Erkenntnis in ihm und in mir: Manchmal, ohne es bewusst zu wollen, entfalten wir ein gewisses Charisma, das auf andere Menschen wirkt. Im Larp machen Menschen dann dumme Dinge, um ihn oder mich zu beeindrucken.

Kann man verhindern, dass Menschen dumme Dinge tun, um einen selbst zu beeindrucken oder es einem selbst recht zu machen?

Kann man verhindern, dass man selbst dumme Dinge macht, um andere zu beeindrucken oder es ihnen recht zu machen?

Das war der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen.

*

Wir haben damals festgestellt: Manchmal ist es gut, Einfluss auf andere zu nehmen. Wir haben analysiert und festgestellt, dass er durch den Kontakt zu mir mehr er selbst wird, in einer schönen Art und Weise. Und gleichzeitig wurde ich durch den Kontakt zu ihm mehr ich selbst. Das ganze passierte durch eine Mischung aus Abgucken-vom-Vorbild (da, wo der/die andere Stärken hat, in die man selbst erst reinwachsen kann/will) und dadurch, dass der andere (nach der Erlaubnis dazu) tatsächlich auch hier und da Impulse gab.

Das mit dem Impulse geben kenne ich auch aus anderen Kontexten: Man stelle sich eine Freundin vor, deren Partner ihr ständig erzählt, dass sie nichts wert ist. Ich selbst sehe aber, dass sie eine Menge wert ist, klug, gut in ihrem Job und Respekt verdient. Und das erzähle ich ihr immer mal wieder, und ich erzähle ihr auch, dass ich der Ansicht bin, dass ihr Partner sich irrt, wenn er sie als wertlos und nutzlos betrachtet ...

All das sind Dinge, die mein Reisebegleitungs-Freund und ich als "formen" benannt haben. Man nimmt Einfluss auf einen anderen Menschen, verändert dadurch etwas, und die Veränderung ist etwas Gutes und hilft dem Menschen, mehr er/sie selbst zu sein.

*

Es gibt jedoch einen ganz schleichenden, gleitenden Übergang zu dem, was wir dann in Abgrenzung dazu als "verformen" bezeichnet haben. Dann, wenn man Einfluss auf einen anderen Menschen nimmt, damit der mehr so wird, wie man selbst ihn haben möchte, obwohl das für diesen Menschen gar nicht das Beste ist (oder sogar insgesamt ziemlich ungesund). Ein krasses Beispiel dafür wäre natürlich genau dieser Partner einer Freundin, der ihren Selbstwert in übler Weise untergräbt.

Verformen geht jedoch auch leiser als das.

Oft sind Menschen, die andere verformen, sich dessen gar nicht bewusst. Sie leben einfach ihr Leben, sie haben ihre Vorstellungen davon, was richtig ist (frühes Aufstehen oder spätes Schlafengehen, ganz harmlos, ganz klein). Du hast das, ich habe das, jeder Mensch hat das. Daran ist nichts Schlimmes – eigentlich. Vor allem, wenn man fähig und bereit ist, zu reflektieren, wenn man damit in Kontakt kommt.

Aber ... Es passiert oft schleichend.

Oft merkt man selbst gar nicht, dass man sich selbst gerade verformt, um sich an einen anderen anzupassen. Die Frage ist unglaublich schwierig auch nur zu erkennen, weil die Nuancen so fließend ineinander übergehen. Bis wo ist etwas ein Kompromiss, der ein Zeichen von Reife und Respekt ist? Bis wo ist es sinnvoll, einem anderen Menschen entgegenzukommen? Und ab welcher Stelle ist es verformen?

Es ist ein gleitendes Spannungsfeld, und es ist eines, was mir immer wieder Angst macht. Wenn ich zu viel Zeit mit einem einzigen Menschen verbringe (was man in monogamen Partnerschaften oft tut), dann ... dann verforme ich mich. Für diesen anderen Menschen. Ohne, dass der das möchte, ohne, dass er damit eine böse Absicht verfolgt.

Ich tue es einfach nur, weil ich gemocht werden möchte. Beeindrucken. Zufriedenstellen. Dieses eine ganz besondere Lächeln sehen.

*

Wie schützt man sich davor, frage ich mich. Wie schützt man sich davor, sich selbst zu verformen, wenn man trotzdem weich und empfänglich bleiben möchte und offen für das, was man von anderen Menschen empfängt.

Ich habe keine Ahnung, was die Antwort ist, aber ich mag die Frage *g*

Es ist eine wunderschöne Frage, um damit durch die Welt zu gehen, Menschen anzulächeln und sich an ihrer Form zu erfreuen und einfach zu spüren: Das hier, das bin ich, und das dort, das bist du.

Ob ich je eine Antwort finden werde, in der echte Sicherheit liegt, oder ist das hier die Art Frage, die immer ein wenig offen und ungeklärt bleiben muss, damit sie funktioniert?
*********vibus Mann
1.017 Beiträge
Zitat von **********lerin:
Oft merkt man selbst gar nicht, dass man sich selbst gerade verformt, um sich an einen anderen anzupassen. Die Frage ist unglaublich schwierig auch nur zu erkennen, weil die Nuancen so fließend ineinander übergehen.
(...)
Ich tue es einfach nur, weil ich gemocht werden möchte. Beeindrucken. Zufriedenstellen. Dieses eine ganz besondere Lächeln sehen.
(...)
Wie schützt man sich davor, frage ich mich.
Die Grenze zwischen (menschlich-sozial erforderlichem, sinnvollen) Sich-Anpassen und (nicht mehr "gesundem") Verformen ist fließend. Das sehe ich genauso. Ich befürchte, man bemerkt den Übergang erst, wenn es zu spät ist, wenn man fühlt, es ist/wird zu viel. Daher glaube ich nicht, dass man sich davor schützen kann. Das scheint mir aber auch nicht nötig. Solange es einem gut dabei geht, ist es vermutlich noch kein Verformen. Optimal wäre, Konsequenzen zu ziehen, wenn offenbar wird, es ist zu viel, ich verforme mich. Das dürfte allerdings leichter gesagt sein als getan.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Die Einsamkeit beim Verlust
Es gibt Tage, an denen sollte man nicht allein sein. Der Tod eines geliebten Haustieres gehört dazu. Schlimmer noch: Der Tag, an dem man diese Entscheidung fällen muss, obwohl das Tier immer noch so lebendig wirkt, Anteil nimmt, Zuneigung zeigt und sogar Spielangebote macht. Der Tag, an dem man durch diese Fassade des so lebendig wirkenden Tiers blicken muss und begreift: Es ist so weit. Wir müssen Abschied nehmen, und ... es wird eine Entscheidung sein, die ich treffen muss. Eine Entscheidung, die nur noch einige Tage Unterschied machen wird.

Obwohl man bis zum Vortag noch dachte, dem geliebten Haustier geht es gut.

Die Welt hat Codes und erprobte Abläufe für so etwas. Partnerkonstellationen, in denen einer den Part der Emotionen übernimmt und der andere rationaler erklärt, dass man dem Tier damit Leiden erspart. Ein Hin und Her, ein Anlehnen, ein Angelehntwerden, eine Beruhigung, die darin liegt, dass man im Angesicht des Absoluten und des Todes und der Verantwortung dafür nicht völlig auf sich gestellt ist.

Ich hatte so etwas nicht.

Ich war allein.

Obwohl eine Freundin vorbeikam, an diesem letzten Abend im Leben meines geliebten Flauschmonsters, mit einer Tüte mit Lebensmitteln und zuckerhaltigen Getränken, damit ich die beim Weinen verlorenen Elektrolyte nachfüllen konnte, obwohl sie anbot, am nächsten Abend wieder zu kommen. Obwohl ein Nachbar mit mir zum Tierarzt fuhr und bei der Beerdigung half. Obwohl andere Freunde mich einluden, auf Besuch zu kommen, Zeit mit mir verbrachten, mir beim Trauern halfen.

Bei dieser Entscheidung über Leben und Tod, die so furchtbar ist, wo es nur falsch und falsch gibt ...

Da war ich allein.

Und darin liegt etwas, was zu furchtbar für Worte ist.

*

Brauchen wir Paarbeziehungen deshalb? Nicht wegen dem Alltag, nicht wegen der Balance aus Autonomie und Freiheit, nicht wegen dem Glück des Gemeinsam-Aufwachens und um keine blöden Blicke bei Familienfeiern zu bekommen ... Sondern einzig und allein, damit wir jemanden haben, an dem wir uns mit unserer Panik und Verlorenheit festhalten können, wenn der Tod in unser Leben einbricht?
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Worte, die Angst machen
Das Wort "Freundschaft" macht mir Angst. Wir sind nur gute Freunde. Freundschaft plus. All diese hübschen, schützenden Formulierungen, die eine unpassende Wahrheit dahinter verbergen sollen.

Angst ist eine seltsame Sache.

In jüngster Zeit frage ich mich manchmal: Wie viel von meiner Angst, meinem Unbehagen, meinem Missbehagen bei Schubladen kommt daher, dass ich tief in mir dieses Ideal des freien, weichen Fließens habe? Und wie viel kommt, weil ich tatsächlich (wie viele Menschen) Dinge erlebt habe, vor denen man durchaus Angst haben kann?

Liebe macht mir Angst, Monogamie macht mir Angst. Aber ist das, weil ich einem so edlen und freien Ideal folge wie meinem inneren Abbild von freier Beziehungsanarchie, oder kommt es daher, dass ich einmal erlebt habe, wie ein wirklich böser, toxischer Mensch mir systematisch den Kontakt zu meinem Freundeskreis zerstört hat, um mich in eine Position finanzieller und emotionaler Abhängigkeit zu bringen und meine Grenzen auch sexuell nicht länger beachten zu müssen, weil niemand mehr da war, der mich getröstet und mir den Marsch geblasen hat, wenn ich seinetwegen geweint habe?

Das Label "Freundschaft" macht mir Angst. Aber ist das so, weil ich mehr Präzision brauche, Sandkastenfreundschaft, Schreibfreundschaft, Hobbyfreundschaft, Künstlerfreundschaft? Oder kommt es daher, dass ein anderer böser Mann dieses Wort mir gegenüber übelst missbraucht hat, indem er mir erst eine Beziehung versprach und dann nach dem Herstellen einer neuen emotionalen Abhängigkeit plötzlich eigenmächtig alles umdefinierte zu einer "Freundschaft", in der man sich hin und wieder für heimlichen Sex traf?

Freiheit, die sich aus Angst speist, ist keine Freiheit.

Bin ich also frei oder laufe ich weg?

Werde ich freier, indem ich mir solche Gedanken mache, sie verschriftliche, mit ihnen ringe um dahinter ganz langsam, ganz allmählich, zwischen Schichten der Sorge und der Verformung, ein bisschen mehr von der wahren Form meines Ichs zu entdecken?

**

Ich mag keine Podeste, auf die man mich stellt. "Du bist der freiste Mensch, den ich kenne", wurde mir kürzlich gesagt. "Radikal humanistisch. Gottseidank. Wenn du mit deinen Fähigkeiten auf die dunkle Seite wechseln würdest ... Gut, dass du so stark bist und an deinen Werten festhältst."

Aber ich bin nicht stark. Ich habe schlimme Dinge erlebt, vor beinah zwanzig Jahren, und die Bruchstellen haben geschwärt, statt zu heilen.

Ich mag auch nicht, wenn man mich zum Opfer macht. Das erhöht die Helfer, aber es erhöht nicht mich. Auch, wenn ich einmal, in einer ganz furchtbaren Zeit meines Lebens, Opfer war und es immer noch nicht verarbeitet habe.

Ist meine Sehnsucht nach guter Freiheit und authentischer Berührung von anderen Menschen nur ein Weglaufen davor? Speist sich so viel meines Seins aus dieser dunklen, vergifteten Quelle? Oder war die Sehnsucht nach einer guten Form von Freiheit mein Stern von Bethlehem, an den ich auch in schlimmen Zeiten glauben konnte und wegen dem ich durchhalten konnte?

**

Worte machen mir Angst. Sie werden zu Labels, die viel zu leicht missbraucht werden können.

Und vielleicht merke ich dann zu spät, dass man in Wahrheit nicht nur das Wort missbraucht, sondern mich.
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