„Ist BDSM heute weiter verbreitet als in früheren Zeiten?
Hallo in die Runde,
vielleicht liegt es nur an meiner Wahrnehmung, aber ich habe in den letzten Jahren beim Onlinedating und auch auf Erotikportalen allgemein für mich festgestellt, dass Männer zum grossen Teil deutlich bis teilweise extremst dominant eingestellt sind.
Ständig ist die Rede davon eine Frau zu "benutzen", "vorzuführen", sie zu "bespielen" o.ä. Harte bis sehr harte Praktiken werden bevorzugt, so zumindest steht es in nicht wenigen Profilen zu lesen.
Ich frage mich : woher kommt das ? Ist das ein Phänomen, das durch die moderne Pornoindustrie befeuert wird ?
Wenn ich z.Bsp. erotische/pornografische Darstellungen und Texte aus vergangenen Tagen (teils auch 200+ Jahre alt) anschaue/lese ist (bis auf de Sade) nie die Rede von Unterwerfung, Atemspielen, Auspeitschen usw. De Sade war, soweit mir bekannt ist, in seiner Zeit so ziemlich der einzige weit und breit, der mit seinen sehr speziellen Vorlieben bekannt wurde. Casanova widerum war offenbar ein empathischer und liebevoller Lover, die Frauen liebten ihn nicht umsonst, vermute ich ohne ihn zu kennen.
Daher erscheint mir das Bedürfnis der Männer zu dominieren irgendwie "modern".
Wie seht Ihr das ? Bin gespannt auf Eure Beiträge.
Also, zuerst einmal ist das, was du beschreibst, nur ein kleiner Teil von BDSM. Ich fühle mich grad an Alice Schwarzer erinnert, die im letzten Jahrhundert propagiert hat, weiblicher Masochismus sei "Kollaboration mit dem Feind". Und was ist mit schwulen oder lesbischen BDSM-Beziehungen? Was ist mit FemDom- bzw. FLR-Beziehungen, in denen die Frau das Sagen hat? Und die Switcher, wo bleiben die?
Dann ist BDSM noch so sehr viel mehr als DS, Dominanz und Submission (Unterwerfung). Es ist auch Sadismus und Masochismus, wobei durchaus der masochistische Partner das Sagen haben kann. Oder es ist einfach "nur Bondage", wo der eine den anderen in seine Seile nimmt, und beide sind glücklich damit, ganz ohne Machtgefälle.
Weiters: Auch dominante Männer wollen nicht einfach eine Frau vorführen und benutzen. Das kann dazu gehören, muss aber nicht. Die Frau muss sowieso zustimmen - oder zumindest vorher eine Zustimmung geben zu dem, was er mit ihr machen wird - und kann diese jederzeit zurückziehen. Wie bei Sex auch, ganz ohne BDSM. Und für alles, was jemand will, gibt es jemanden, der das auch will. Sonst findet es nicht statt. (Und wenn doch, ist es einfach eine Straftat, kein BDSM.) Sobald es alle Beteiligten wollen, geht es auch niemanden mehr was an.
Und zu guter Letzt noch auf deine Frage:
Nein, ich glaube nicht, dass BDSM so viel mehr geworden ist. Nicht von dem her, was die Leute wollen. Es ist mehr in die Wahrnehmung geraten, vor allem durch das Internet (unter anderem hier). Aber auch seit den 1990ern mit Film und Fernsehen, das war schon lange vor 50 Shades of Grey: 9 1/2 Wochen, Basic Instinct, Tokyo Decadence waren Filme mit viel BDSM drin. Die haben Leute zum Nachdenken gebracht und ihnen Lust gemacht. Dann Fernsehsender mit Spätnachtprogrammen, in denen Swinger und andere Völkchen gezeigt wurden, unter anderem auch BDSM. Oder sogar Talkshows in den Nachmittagsprogrammen.
Somit ist "ein bisschen BDSM" im Mainstream angekommen, wie es heute ganz normal ist einen Swingerclub zu besuchen, wenn man Lust drauf hat. Man muss ja deswegen nicht swingen. Und beim BDSM muss man nicht vorführen oder verleihen. Immer das, was einem Spaß macht und wo alle (natürlich erwachsenen) Beteiligten freiwillig und einvernehmlich dabei sind!
PS. De Sade hat mit der Realität so gut wie nichts zu tun. Das ist Fiktion, ebenso wie die Geschichte der O oder eben 50 Shades of Grey. Es gibt ja auch eine BDSM-Version von Dornröschen ...
Wenn du Erfahrungsberichte lesen willst, die wirklich passiert sind, dann lies die Bücher von Claudia Varrin oder Sina Aline Geißler. Oder hier im Forum bzw. in den BDSM-Gruppen.
Andrew Tate hat übrigens ebenfalls absolut nichts mit BDSM zu tun - den könnte man tatsächlich mit de Sade vergleichen. Nur dass er heute lebt.