Eigentlich sollte es mich nicht mehr überraschen, wie einseitig Beiträge gelesen, einzelne Punkte aufgegriffen und Facetten durch ein Vergrößerungsglas betrachtet werden und anschließend für den einen oder anderen Position bezogen wird.
Die TE schreibt, dass sie beste Freunde waren, dass irgendwann mehr daraus wurde und dass sie lange gebraucht habe, das sagen zu können, weil sie sich in dem, was sie tut, sicher sein will. Daraus schließe ich ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach Sicherheit und einer Transparenz, die ihr dieses Sicherheitsgefühl vermittelt.
Wenn ich den Eröffnungsbeitrag lese, dann denke ich, dass der Grundstein für die Probleme der Beziehung schon beim Start gelegt wurde. Ihr Störgefühl, dass er „hinter ihrem Rücken“ noch mit seiner Ex schreibt, rationalisiert sie zwar („solange man nicht zusammen ist, kann jeder machen was er will“), aber sie gesteht sich nicht ein, dass in ihrem Denken damit eine Doppelmoral besteht. Davon, dass sich auch beste Freunde selten alles erzählen, mal abgesehen (gilt für beide Seiten).
Zumindest hat sie ihr Störgefühl so weit kommuniziert, dass sie ihn fragte, wie er es finden würde, wenn sie das täte. Dieses Warnsignal hat er nicht in vollem Umfang realisiert. Damit, dass sie in ihrem überdurchschnittlichen Sicherheitsbedürfnis später zu Mitteln greift, die bei ehrlicher Kommunikation nicht nötig sind und Gegenüber die Ehrlichkeit absprechen, und dass er einiges zunächst abstreitet, um unangenehmen Gesprächen oder Auseinandersetzungen zu entgehen oder weil es ihm peinlich ist, haben beide eine Spirale aus Kontrollzwang und Verheimlichen in Gang gesetzt.
„Kein Problem, darüber zu sprechen“ (er) und „verständnisvoll zugehört“ (sie), nachdem es immer wieder eskaliert ist? Der beschriebene Lauf der Dinge lässt mich eher darauf schließen, dass eine „Verbesserung“ in den Verhaltensmustern kultiviert wurde — besser verstecken/verheimlichen und intensiver kontrollieren, um Stress in der eigenen Gefühlswelt und in der Beziehung zu vermeiden. Je besser sie darin wurden, desto heftiger holt sie das ein.
Liebe TE, wenn Du für Dich zulässt, dass Du nicht nur ein Problem mit seinen Lügen bzw. Verheimlichen als Vermeidungsstrategie hast, sondern dass Du da unglücklicher Weise ein ebenso großes spiegelbildliches Problem mit Deinem Kontrollbedürfnis hast, könnte Dir das helfen. Ihr mögt damit zwar beide das Ziel verfolgen, Eure Gefühlswelt zu schützen und Eure Beziehung zu erhalten, aber das treibt Euch auf diesem Weg wohl langfristig auseinander.
Aktuell siehst Du Dich wegen seines Lügens im Recht und setzt ihn damit ins Unrecht. Das hat er wohl erkannt und will etwas tun. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die andere bist Du. Mit den notgedrungen hingenommenen Eingriffen in seine Sphären bist Du eigentlich nicht mehr im Recht. Wenn Du auch etwas tun und das Gemeinsam willst, könnte es helfen, das gemeinsam aufzuarbeiten. Eine Möglichkeit wäre, die angedachte Therapie zu nutzen, und zwar sowohl jeder von Euch einzeln als auch Ihr beide gemeinsam bei demselben Therapeuten (dann bekommt er das zusammen und kann optimal mit Euch arbeiten).