Schwieriges Thema. Sehr schwierig, wenn man genauer hinschaut.
Ich halte mich für sehr loyal. Freunden, Familie, Partner gegenüber. Auch beruflich.
Aber natürlich kann meine Loyalität enden, wenn dieser Mensch etwas tut, was weit außerhalb meines Wertekanons liegt.
Ich kann auch gut mir anvertraute Geheimnisse hüten. Auch Menschen gegenüber, denen ich mich zur Loyalität verpflichtet fühle. Vorausgesetzt, ihnen erwächst daraus kein Schaden. Dann gilt es für mich abzuwägen und ggf. mit demjenigen, dessen Geheimnis ich kenne, darüber zu reden.
Und dann kam ich vor Jahren in eine Situation, die mich in dem Kontext bis heute diesbzgl. an meine Grenzen gebracht hat.
Ich war mit einer Frau befreundet, eine Freundschaft auf sehr große geographische Distanz. Diese Freundschaft ging im Streit auseinander. Wenige Monate später meldete sich ihr Mann bei mir per Messenger. Ich dachte erst noch, dass er versuchen wollte, den Streit zu schlichten und die Freundschaft wieder zu kitten.
Es stellte sich jedoch heraus, dass er mit mir ins Bett wollte.
Er hatte sogar schon die passende Gelegenheit ausgewählt: Auf einer Messe, zu der er seine Frau begleitete, während sie den Abend mit Freundinnen im Restaurant verbrächte.
Er bot mir also quasi deren Hotelbett an.
Ich war sprachlos und wusste nicht, was ich tun sollte.
Der Mann, von dem besagte Frau emotional abhängig war, wollte also seine Frau betrügen. Und so, wie er sich mir dahingehend genähert hatte, erhielt ich den Eindruck, dass es nicht das erste Mal war. Kurz gesagt: Ich bekam den Eindruck, dass er sie öfter betrügt, sofern er die Gelegenheit dazu bekommt.
Was tun?
Zu der ehem. Freundin gehen, es ihr erzählen und letztlich selbst in die Schusslinie zu geraten, weil sie aufgrund ihrer Abhängigkeit von ihm (und aufgrund des unschönen Endes unserer Freundschaft) es so dreht, als wollte ich einen Keil zwischen die beiden treiben?
Oder die Verantwortung auf mich nehmen, eine Frau zerbrechen zu sehen, deren Psyche so labil ist, dass sie letztlich auf diesen Mann angewiesen ist?
Schweigen und das miese Gefühl ertragen zu wissen, dass er sie hintergeht, während sie gerade ein Haus kaufen und in die Reproduktion übergehen wollten?
Ich habe mich fürs Schweigen entschieden.
Und bis heute weiß ich nicht, ob es richtig war. Mein Loyalitätsgefühl hat sich davon nicht mehr erholt. Und ich wüsste auch nicht, was geschähe, wenn man irgendwann noch mal voreinander stünde. (An dem Punkt bin ich froh um die große Distanz zwischen uns. Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass das passiert.)
Es ist leicht zu sagen, dass man "stets loyal" sei.
In der Theorie mag das stimmen.
Die Realität enthält jedoch zu viele Grautöne, wie ich lernen musste.
"Loyal, aber ..." trifft es wohl am ehesten.