VORSICHT: SPOILER!
"Absurde Männerdominanz in der heutigen Gesellschaft?"
Wo genau hat man das in dem Film denn gesehen? Barbie-World ist KOMPLETT in weiblicher Hand. Es sind die Barbies, die dort regieren, die alles können und alles wissen. Es sind die Barbies, die Präsidentin, Anwältin, Nobelpreisträgerin sind. Die Kens sind buchstäblich "nur Ken", was sogar in einem Song auf die Schippe genommen wird. Herrgott, es ist sogar der Werbeslogan des Films.
"She's everything. He's just Ken."
Die Kens - insbesonders unser Haupt-Ken Ryan Gosling - existieren nur als Eye-Candy für die Barbies. Sie haben nichts zu melden, sie haben keinerlei Karrieren, keinerlei Interessen, keinerlei Lebensinhalt außer "beachen" - also am Strand rumstehen. Während die Barbies jeden Abend eine Fete feiern - Mädelsabend - dürfen die Kens nichtmal daran teilnehmen. Barbie-World ist ein komplett dystopisches Matriarchat, und Kens sind absolut nachvollziehbar nicht sonderlich glücklich darin. Haupt-Ken wird permanent von Haupt-Barbie zurückgewiesen, die nie offen damit umgeht, dass sie sich nicht so für ihn interessiert, wie er für sie und ihn daher permanent am Haken zappeln lässt.
In der realen Welt trifft Barbie dann auch auf reale Probleme. Ja, sie erlebt Sexismus (und wehrt sich mit einem Faustschlag dagegen). Aber sie erlebt auch, wie ihr von einer weiblichen Person - einem Teenager-Mädchen - der Kopf gewaschen wird, die überhaupt keinen Bock auf die von Barbie verkörperten, stereotypen Eigenschaften hat, sie sogar eine Faschistin nennt (was gelinde gesagt bekloppt ist). Und wo genau findet sich in der realen Welt "absurde Männerdominanz"?
Ken stolpert in der realen Welt zufällig auf Werbeinhalte, die Männer positiv darstellen. Und erlebt, dass Menschen sich für ihn interessieren. Dass sie ihn ansprechen, ihn um Informationen bitten. Etwas, das er aus seiner Welt nicht kennt, wo er "nur Ken" war. Einer von vielen. Kann man ihm ein wenig Überschnappen tatsächlich übel nehmen, wenn man bedenkt, wo er herkommt und welche Zustände in Barbie-Welt herrschen? Endlich nimmt ihn jemand wahr, endlich erfährt er, dass auch Männer wichtig sind. Er schnappt das Wort "Patriarchat" auf, ohne zu wissen, was es eigentlich bedeutet (hat nichts mit Pferden zu tun, shice aber auch) und glaubt, Männer würden die Welt regieren. Dass dem nicht so ist - sie also nicht absurd dominant sind - erlebt er bereits in der nächsten Szene, als er ein Krankenhaus besucht und Arzt werden will. Er wird nach seiner Qualifikation gefragt, und antwortet damit, dass er doch ein Mann sei. Er glaubt, das würde reichen, Männer regieren schließlich die Welt. Und wird nicht nur abgewiesen, ihm wird sogar die Security auf den Hals gejagt. Von wegen absurde Männerdominanz. In der realen Welt regieren Männer genauso wenig wie in Barbie-World.
Zurück in Barbie-World bricht er aus aus seiner völligen Passivität und Submissivität und steckt die anderen Kens damit an. Klar, das Patriarchats-Gedöns hat er komplett falsch verstanden und verwurstet es zu etwas gewollt Absurdem und Lächerlichem, aber schauen wir uns doch mal ehrlich die Veränderungen in Barbie-Welt an:
Plötzlich interagieren Barbies und Kens interessiert miteinander. Sprechen über Filme. Kens zeigen Barbies Sportarten, bringen ihnen Golf bei. Eine Barbie sagt sogar ganz offen, dass sie froh darüber ist, diese ganze Verantwortung einmal hinter sich lassen zu können.
Komisch, dass in dieser "Ken-Welt" irgendwie größere Harmonie zu herrschen scheint, als vorher in der Barbie-Welt. Wenn die Verantwortlichen für den Film hier ganz ernsthaft ein negatives Patriarchats-Bild zeichnen wollten, dann sind sie grandios damit gescheitert. Selbst Kens Mojo Dojo Casa House verkauft sich in der realen Welt plötzlich wie warme Semmeln und die einzigen, die deswegen einen Nervenzusammenbruch bekommen, sind die überzeichneten (männlichen) Idioten von Martell (inklusive Ober-Idiot Will Ferrell, der hier einfach nur dieselbe Rolle spielt, wie er sie überall spielt), die sich über die Umsatzzahlen eigentlich freuen sollten. Aber nein, ihr Aushängeschild ist BARBIE, sie dürfen nicht zulassen, dass Ken sie plötzlich in den Schatten stellt!
Die einzige, die überhaupt keine Freude an der neuen Harmonie in Barbie-Ken-World hat, ist die verrückte Barbie, eine Außenseiterin, die plötzlich behauptet, die Barbies seien einer Gehirnwäsche unterzogen worden und jetzt müsse man alle Barbies aus diesem "Albtraum" befreien. Und so leiert man ihnen irgendein Fourth-Wave-Feminism Gelaber von wegen "Du hast es so schwer als Frau!" runter, um sie aus dem schrecklichen, schrecklichen Zauber zu befreien. Und das Ende der Geschichte? Ken darf seine eigenen Interessen haben und außerhalb von Barbies Aufmerksamkeit existieren, aber ins Parlament darf er trotzdem nicht. Kein Ken darf das. Man will ja nix überstürzen.
Barbie will ein richtiges Mädchen werden und hat ihren ersten Termin beim Gynäkologen. Vorhang zu.
Will man wirklich irgendeine soziokulturelle Gesellschaftskritik in diesem Film hineininterpretieren, würde er eher von toxischer Weiblichkeit handeln, als von absurder Männerdominanz.
Aber das tue ich nicht. Es ist ein Spaßfilm, wer den ernstnimmt und andere damit sogar noch belehren will, hat eh verloren.