Ich lebe seit gut 13 Jahren in einer sehr glücklichen Fernbeziehung (250 km, 3,5 Std Autofahrt, 6 Std mit Öffis). Anfangs war ich beruflich ortsgebunden und er beruflich oft über Wochen, manchmal Monate, in anderen Gegenden der Welt interkontinental unterwegs. Er wohnt alleine auf dem Land in einem Einfamilienhaus, das ihm gehört, ich anfänglich ebenfalls, nur dass mein Haus gemietet war. Mit meinem Eintritt in den Ruhestand (er arbeitet auch danach nach wie vor noch, da selbständig, und seine Arbeit macht ihm Freude und bringt Geld ins Haus) stand selbstverständlich auch das Zusammenziehen zur Debatte. Wir haben uns dagegen entschieden, ich zog zwar um, aber in die mir nächst gelegene Stadt, in der ich seit Studientagen sozial gut vernetzt bin, wo ich die kulturellen Angebote intensiv nutze, all das in leicht erreichbarer Entfernung habe, was für meinen Alltag wichtig ist, und für uns passt das so.
Ich lebe in einer gemieteten, ruhigen, zentral gelegenen, Drei-Zimmer-Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, er möchte sein Haus und die großzügige Wohnsituation nicht aufgeben, nicht zuletzt deshalb, weil er dort zu jeder Tages- und Nachtzeit seine Instrumente spielen kann, was ihm wichtig ist und wobei er sich am besten regenerieren kann von seiner anspruchsvollen und altersbedingt immer anstrengender werdenden Tätigkeit. Ich dagegen möchte nicht auf dem kleinen Dorf wohnen, wo ich niemand kenne und man erst 5 km mit dem Auto zur nächsten S-Bahn fahren muss und dann damit nochmals 50 Minuten ins Zentrum von München braucht.
Wir besuchen uns gegenseitig häufig, aber unregelmäßig, verbringen mal nur ein Wochenende miteinander, mal mehrere Wochen der Monate am Stück, entweder bei mir, bei ihm oder in meiner Ferienwohnung. Urlaube verbringen wir gemeinsam. Erotisch sind wir ausschließlich gemeinsam unterwegs, wobei wir gelegentlich unsere Intimität auch für einen weiteren Mann öffnen. In den Zeiten, wo wir alleine sind, telefonieren wir mehrmals täglich und es gibt Morgen- und Abendrituale, die wann immer möglich eingehalten werden. Jeder hat genügend Zeit alleine, um die Dinge zu tun, die den Partner nicht so interessieren, oder Leute zu treffen, mit denen der andere wenig anfangen kann. Und in Zeiten, wo es drauf ankommt, dass der Andere da ist und unterstützt, erhält das selbstverständlich Priorität: wir waren beide schon mehrfach längere Zeit schwer krank und mussten mit schwierige Operationen und deren Konsequenzen und gesundheitlichen Einschränkungen zurecht kommen, da war der jeweils andere ohne wenn und aber verlässlich vor Ort und tat alles, was zu tun und hilfreich war, damit die Situation gemeinsam möglichst gut überstanden werden konnte.
Wir sind beide gut integriert in die jeweiligen Familien- und Freundeskreise, sind als festes Paar akzeptiert, werden gemeinsam eingeladen und besuchen Feste etc. auch gemeinsam. Aber alle wissen auch, dass es sein kann, dass wir zu einer Verabredung dann eventuell alleine auftauchen, weil eben der andere gerade nicht da ist, warum auch immer, und das wird akzeptiert. Das ist alles sicherlich u.a. auch dem Umstand geschuldet, dass wir als wir uns kennenlernten (übrigens hier im JC), bereits 60 bzw. 65 Jahre alt waren, also in einer Lebensphase, in der es nicht mehr um Karriere- und Familiengründung oder Kinderaufzucht ging, und dass wir beide bereits längere Zeit alleine gelebt hatten und damit gut klar kamen bzw. dies genossen. Wir können uns gut auch alleine beschäftigen und besuchen kulturelle Veranstaltungen auch alleine oder mit Freunden, wenn der Partner nicht da ist. Wir sind sehr, sehr gerne zusammen und genießen die Gesellschaft des anderen sehr, aber wir wissen und haben bereits erfahren, dass wir uns selbst versorgen und auch alleine einen Haushalt führen können und jeweils auch ohne einander lebensfähig sind. Das scheint mir ein wichtiger Gesichtspunkt zu sein, auch im Hinblick darauf, dass wir alle sterblich sind und naturgemäß einer von uns beiden als erster sterben wird und der andere dann mit dieser neuen Situation ja auch weiterleben muss.
Es ist absehbar, dass wir mit zunehmendem Alter irgendwann nicht mehr in der Lage sein werden, die derzeitige Situation so beizubehalten, spätestens dann, wenn einer von uns beiden nicht mehr Auto fahren kann oder das viele Fahren zu anstrengend wird. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir dann gemeinsam wieder eine Lösung finden werden, mit der wir erneut beide gut leben können.