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Die Selbstregulation ist eine höchst komplexe Fähig- und Fertigkeit.
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... bei der schon Gesunde ab und zu Unterstützung bzw. Hilfe brauchen, weil die wenigsten Menschen so sicher und fest in sich ruhen, dass sie es (im Wesentlichen) immer und in jedem Fall selbst hinbekommen.
(Aber um die Gesunden geht es hier nicht - zumindest solange, wie sie alles auf irgend eine Weise hinbekommen.)
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Das große Problem - sie ist zu einem bestimmten Anteil zwar Teil der Erziehung, aber eben auch teilweise physiologisch vorhanden. Sprich - manche Menschen bedürfen keiner großen Erziehung in der Bewältigung dieser Selbstregulation. Und dann werden Fertigkeiten eben auch noch durch Erziehung beigebracht. Dadurch liegt vielen Menschen die Schlussfolgerung schon quasi im Blut, der Betroffene lasse sich gehen, wolle einfach nicht sich zusammenreißen und angemessen handeln, strenge sich nicht genug an.
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Ich würde das Ganze noch etwas erweitern:
Manches Problem, was andere feststecken lässt, kann auch durch den Lauf des Lebens erst akut geworden sein.
Dort war es dann nicht möglich, mit den eigenen Möglichkeiten vorzubauen oder gegenzuhalten.
Nicht jedes große Problem besteht im Grunde schon von Anfang an und zeigt sich vielleicht nur erst später.
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Das macht es für jeden Außenstehenden (im Sinne von nicht IN der betroffenen Person) Profi oder Laie so unglaublich schwer nachzuvollziehen und zu beurteilen. Weil viele es von selbst können und automatisch machen.
Ein nicht gelähmter Mensch, kann auch nicht nachempfinden wie es ist ein Körperteil einfach nicht bewegen zu können.
Eine tiefgreifende Störung wie es psychische Erkrankungen sind, ist einfach unmöglich nachzuempfinden und ihre tatsächlichen weitreichenden Konsequenzen zu überblicken.
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Es kommt da vielleicht auch etwas auf das Herangehen und die Umstände an:
Wie viel Zeit habe ich, mir ein Urteil zu erarbeiten?
Wie befangen oder beidseitig offen gehe ich an etwas heran?
(Mit "beidseitig offen" meine ich, etwas einfach mal aus verschiedenen, gedachten Perspektiven bzw. Möglichkeiten zu sehen.)
Wie viel konnte ich auch vom Betroffenen selbst dazu erfahren und sein Verhalten damit in Beziehung setzen?
Um welche Probleme oder Störungen geht es genau? (Weil dies auch einen Unterschied macht, wie weit welche Möglichkeiten für wen gegeben sind.)
Ist bei bestimmten Problemen es aktuell gerade üblich, von außen schnell zu einer bestimmte Einschätzung/Einordnung zu kommen?
Habe ich als Nichtprofi entsprechende, notwendige Informationen vom Profi erhalten?
Wie geht der Betroffene mit dem Problem um: Macht er "dicht" und mauert oder ist er im Rahmen seiner Möglichkeiten mir (halbwegs) offen gegenüber?
Verkneife ich es mir (hoffentlich), den Betroffenen als Nichtprofi therapieren zu wollen?
Wie weit habe ich ein bestimmtes Problem selbst erlebt oder gar durchlebt?
Wie sehr neige ich zu schnellen und festen (Vor-) Urteilen?
Wie sehr maße ich mir an, etwas sicher beurteilen zu können - oder wie sehr lasse ich es offen und beziehe meine Grenzen in die eigene Beurteilung mit ein?
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Vor allem steht und fällt viel mit der Fähigkeit der Betroffenen ihre Einschränkungen zu erkennen, zu reflektieren, kausal in Beziehung zu setzen und überhaupt zu verbalisieren! Diese Fähigkeit ist so komplex und auch wieder extrem störanfällig.
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Ich würde fast davon ausgehen, dass bei bestimmten Problemen der Betroffene gerade nicht in der Lage ist, die Lage und die Notwendigkeiten richtig einzuschätzen, weil das bei manchen Problemen ggf. schon ein Teil der Lösung wäre. (Trifft natürlich stellenweise auch wiederum nicht zu - je nach Problem.) Trotzdem kann es dabei sein, dass der Betroffene das will - aber eben nicht schafft. Dann sind die Möglichkeiten und Fähigkeiten des Umfelds gefragt, zu passenden Einschätzungen und Hilfsmöglichkeiten zu kommen.
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Wenn es also der Person, die in erheblichen Verhaltensweisen und Denkweisen und Emotionen immens gestört ist, nicht gelingt, dies nach Außen zu bringen, weil es schon im Innen nicht bewusst oder klar oder ausdrückbar erfasst werden kann, wie bitte schön soll das dann eine andere Person?
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- Weil ggf. Außenstehende etwas sehen, was dem Betroffenen selbst nicht auffällt.
• Weil manche Außenstehende in Verbindung mit dem Problem vielleicht mehr Erfahrungen oder mehr Wissen über Zusammenhänge haben. Bevorzugt bei Profis. Ich würde aber die Möglichkeiten mancher Nicht-Profis nicht als nebensächlich ansehen. Den größten Vorteil den Nicht-Profis gegenüber Profis haben, ist der wesentlich umfangreichere Umgang mit dem Betroffenen und der dadurch bessere Abgleich zwischen kurzer Darstellung/Vorstellung und dem längeren Erleben. Im Optimal-Fall arbeiten Profis und Nichtprofis zusammen.
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Das ist für einen ausgebildeten, erfahrenen und versierten Psychiater und Psychologen so gut wie unmöglich. Aber Brody, für einen unwissenden, wenn auch belesenen Laien und Nahestehenden ist es einfach größenwahnsinnig anzunehmen, dass tatsächlich einschätzen zu können. Auch im Einzelfall.
Kommt das nicht auf das jeweilige Problem (die jeweilige Erkrankung) an?
Auf die Zusammenarbeit mit den Profis?
Auf die gegenseitige Zuarbeit zwischen Profis und Nichtprofis?
Dass für jeden (Profi oder nicht) bei so manchen dieser Probleme eine Restunsicherheit in der Beurteilung bleibt, halte ich für normal.
Weil man niemanden in den Kopf sehen kann und nicht gerade selten so manche Zusammenhänge (noch) nicht kennt oder an verschiedene Möglichkeiten nicht denkt.
In so einer Lage würde ich mich auch fragen, ob ich überhaupt helfen kann, ob das Miteinander weiter möglich ist, wem welche Schäden und Belastungen drohen - und ob überhaupt Hilfe usw. gewünscht ist.