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Frau zweiter Klasse

**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
[Guten Morgen! Gerade erst wach geworden, da hat es hier schon gefühlt heftig Diskussion. Deswegen ein kleiner Moderationshinweis aus TE-Perspektive.

Liebe Leute: So freundlich das auch gemeint ist, bitte macht euch keine Sorgen um mein emotionales Wohlergehen, wenn jemandem etwas an dieser Geschichte nicht gefällt. Ich weiß eure Sorge zu schätzen. Und ich weiß auch, dass negativ wirkende Kritik manchmal richtig wehtun kann, wenn man in einer Geschichte auch persönliche Elemente einwebt.

Ich habe hier glücklicherweise trotz der persönlichen Erzählweise genug innere Distanz zu diesem Text, um sowohl positives wie auch negatives Feedback mit einem Lächeln zu lesen und mich daran zu erfreuen. Bisher bezog sich alles Nichtpositive netiquette-konform auf die Form des Erzählens, nicht auf mich als Erzählerin. Das finde ich völlig okay und legitim. Ich klicke dann auch jedes Mal auf Danke, sobald mein Kontingent das erlaubt. Wie viel von dem Feedback ich dann einarbeite, ist ja meine persönliche Entscheidung – und vielleicht gelingt die stilistische Rückkehr zum Prolog tatsächlich, und zwar an genau den Stellen, wo ich die Tonalität von dort wieder aufgreifen möchte? *zwinker*

Lasst also bitte Feedback mit direktem Bezug zum Text gegebenfalls einfach stehen, egal ob ihr die Auffassung darin teilt oder nicht. Formuliert ggf. eine andere Auffassung, wenn ihr mögt, oder schreibt eigene persönliche Impulse zur Story, wie Irrelefant es oben getan hat (was für mich wirklich ein unglaublich schönes Kompliment war). Aber ich möchte hier keine Diskussionen darüber, wie man Textfeedback äußern sollte und wie nicht. Dann geht die eigentliche Geschichte zu sehr verloren.

Nichts destotrotz bedanke ich mich bei allen, die sich bisher zu Wort gemeldet haben, und bei allen, die das noch tun werden!

Wer mit mir persönlich und nicht mit der Communitiy über den Text diskutieren möchte, kann mir gern eine PN schreiben und herausfinden, ob ich das gerade auch möchte. In diesen Thread jedoch sehe ich meine bevorzugte Rolle als die der Erzählerin und nicht als Moderatorin oder Diskutandin. Hier möchte ich meine Geschichte zu Wort kommen lassen und als Autorin hinter ihr verschwinden.

Liebe Grüße von der Harfenspielerin, die jetzt erst mal wieder zurückswitchen muss zu dem, was sie als Nächstes in der Story erzählen will]

*******e24 Frau
2.292 Beiträge
Ich lese ultra gerne gespannt weiter *top2*
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
(weiter geht es direkt im Anschluss an die Szene, in der Tara und Felix miteinander ins Gespräch gekommen sind)

Auf dem Weg zum Auto berührt der nebelzarte Januarregen meine Beine in den zu hohen Absätzen und gleitet auf der dünnen Strumpfhose ab. Der eiskalte Nachtwind liebkost meine feuchten Wangen und den Hals. Es ist eine von diesen bitterkalten Partynächten, in denen man beim Abklingen des Rausches am Bahnhof in sich zusammensackt und mit Geistesstärke eine Blase aus Wärme und Geborgenheit um sich herum erschafft, während man auf die Straßenbahn in einer Dreiviertelstunde wartet und jederzeit eine scharfe Bemerkung auf den Lippen hat, um ungewollte Avancen in die Schranken zu weisen.

In dieser Nacht webt Felix eine solche Blase um sich und mich und ich schmiege mich schüchtern hinein. An seiner Seite fühle ich mich anders als sonst. Es ist ein Gefühl, das ich nicht kenne. Ich habe keine Worte dafür. Stolz. Stark. Weich. Verletzlich.

Wertvoll.

Nichts davon beschreibt es wirklich.

Auf der Fahrt fällt mir kaum etwas ein, was ich erzählen kann. Es ist nicht mal so, dass ich nervös wäre. Ich fühle mich zu wohl für Worte. Zum Glück ist Felix ein charmanter Unterhalter. Hier merke ich das noch besser als in der Lounge zwischen den Lautsprecherboxen. Er stellt mir Fragen nach Haustieren in meiner Kindheit, nach der Band, in der ich einmal gesungen habe, nach meinen Zukunftsplänen. Halb im Scherz schlägt er vor, ich solle mein Leben nach Studienende nicht als Angestellte verbringen, sondern mich in meinem Traumberuf selbstständig machen. Als ich lache, erzählt er ein wenig von seinem eigenen komplizierten Weg zum eigenen Unternehmen.

Ein Hunger wacht in mir auf, für den ich keine Worte kenne. Wie schön das klingt, was er erzählt! Von dieser Verantwortung, von diesem Wissen, was alle Leute brauchen und wie man ihnen den Halt und die Struktur gibt, nach denen sie sich sehnen.

Gleichzeitig lockt er aus mir heraus, dass ich male, Geschichten schreibe und manchmal Songs auf der Gitarre schreibe. Das hat er auch einmal getan, sagt er verträumt. Damals, als er noch nicht so viel arbeiten musste. Manchmal fehlt es ihm.

Mutig beginne ich zu singen. Von einem Menschen, der durch nasse Straßen geht und sich davon nicht aufhalten lässt. Normalerweise traue ich mich das nie in Gegenwart von anderen Menschen, aber ... "Just singin' in the Rain. What a glorious feeling ..."

"I'm happy again", stimmt er ein und schenkt mir ein Lächeln voller Wärme und Faszination. "Tara, du tust mir gut, weißt du das?"

Wieder lache ich. Es klingt so ehrlich, wenn er das sagt. "Hast du Lust, mit mir schwimmen zu gehen? Ich weiß, es ist mitten im Januar, aber ... als kleine Mutprobe? Einfach, um etwas richtig Verrücktes zu tun?"

"Für solche Dinge bin ich immer zu haben." Er strahlt. "Wohin sollen wir fahren?"

Ich überlege. Es gibt einen See, an dem ich in meiner Kindheit und als Teenager häufig geschwommen bin, aber das sind noch mal einige Kilometer Umweg über einsame Landstraßen.

"Kein Problem." Felix lässt das Fernlicht aufblitzen und schaltet zurück auf normales Licht. "Sag mir einfach, wie du fahren willst."

"Meinst du das ernst?"

"Heute Nacht will ich frei sein. Mit dir. Lass uns tun, was immer für uns beide passt."

Ich lache und lotse ihn zum Stadtrand auf eine einsame Landstraße. Neben der Strecke verläuft ein Radweg, auch wenn man das im Dunkeln nicht sieht. Ich kenne sie in- und auswendig. Wir fahren durch die stille Dunkelheit, biegen ab und schlängeln uns durch die engen Straßen eines Dorfes, bis die Straße zwischen den Bäumen so dunkel ist, dass selbst die wenigen Poller nicht mehr bei der Orientierung helfen. Eine schwarze Baumgruppe nach der anderen rauscht vorbei, während ich hochkonzentriert auf die Straße blicke.

"Da vorne", stoße ich schließlich hervor. "Da. Links. Zwischen den Büschen und den Bäumen dahinter führt ein Schotterweg zum Parkplatz."

"Ich habe noch nie eine Einfahrt verpasst." Sicher und souverän nimmt er die fast unsichtbare scharfe Linkskurve. Das Auto holpert über den steinigen, abschüssigen Feldweg. Links von uns wachsen mannshohe Brennesseln, auch wenn ich im Dunkeln nicht erkennen kann, ob sie das auch im Januar tun.
*******e24 Frau
2.292 Beiträge
Bin jetzt si richtig gespannt wie es weiter geht. Die beiden alleine...
***a2 Frau
277 Beiträge
Deine Geschichte fasziniert mich. Vielen Dank. Ich freue mich auf die Fortsetzung.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
--- Klick ---

Ich bin elf Jahre alt. Noch habe ich keine Ahnung, was Sex ist, aber ich verstehe auch nichts von Seefahrt und lese die Schatzinsel. Ich war nie im Internat und lese Hanni und Nanni. In meiner Wohnung gibt es kein Portal in fremde Welten und ich werde nicht von Klingenmonstern verfolgt, aber ich lese Märchenmond. Ich lese im Lexikon der verrückten Erfindungen, im Reader's Digest Jugendbuch, Micky Maus und die umfangreichen historischen Romane im Regal meiner Oma.

Eine Nachbarin leiht meiner Mutter das dickste Buch, das ich je gesehen habe: Die Nebel von Avalon. Ich bin sehr beeindruckt davon, dass es über tausend Seiten hat. Meine Mutter bedankt sich und will es 'bald' lesen, aber am nächsten Tag schlage ich es direkt nach dem Heimkommen von der Schule auf. Schnell bin ich fasziniert. Wer ist diese mysteriöse Herrin vom See, und warum verlässt Igraine ihren doofen Ehemann nicht einfach? Was sind das für Visionen über Menschen, die sich aus vergangenen Inkarnationen kennen, und warum spürt Igraine sofort, dass sie und Uther zusammengehören? Ist das eines der Bücher, die für Kinder noch zu kompliziert sind?

Dann erreiche ich die erste kursiv geschriebene Passage. Sie ist überschrieben mit Morgaine erzählt. Morgaine erzählt davon, wie sie in ihrer ältesten Erinnerung als Kind bereits besseres Wollgarn spinnen kann als ihre Tante, und wie sie sich über ihren kleinen Bruder ärgert, der ihr gegenüber bevorzugt wird.

Ich bin erleichtert, ohne zu verstehen, dass ich vorher unruhig war. Offenbar dürfen Kinder dieses Buch lesen, denn es handelt von Kinderdingen. Mich lobt man auch immer für meine Handarbeit, wenn auch eher dafür, was für schöne Kleider ich für meine Barbies designt und genäht habe. Meine Schwester wird mir gegenüber ebenfalls hin und wieder bevorzugt, genau wie Morgaines Geschwisterkind. Diese Heldin ist wie ich. Das heißt wohl, dass ich das Buch lesen darf.

Morgaine muss nicht in eine normale Schule gehen. Sie wurde in ein Kloster gegeben und wurde eine mächtige Zauberin, hat Thomas Mallory erzählt. Das würde ich auch gern sein, aber erst mal lese ich, wie sie die Ausbildung auf Avalon durchläuft ... und irgendwann, nach dem Einsetzen ihrer Periode, in einem machtvollen Ritual den Schritt vom Mädchen zur Frau durchläuft.

Meine Periode wird bald einsetzen, habe ich im Bio-Unterricht gelernt. Aber in meiner Welt plant niemand ein magisches Ritual für einen Übergang, weder jetzt noch in den kommenden Jahren. Habe ich da etwas verpasst? Hält man mir etwas vor, oder gehört das zu den Dingen, die man erst erfährt, wenn es so weit ist?

--- Klick ---

Ich bin sechzehn und tragen einen knallbunten Wickelrock, den ich selbst genäht habe. Weil der Stoff knapp war, zeigt er mehr Bein als das Original, deswegen ziehe ich ihn in der Schule nicht an. Aber hier, an diesem Wochenende, ist er genau richtig für den Weg von der Matratze im Campingbus zu den Toiletten und dann wieder zurück.

In diesem Bus ist es passiert. Mein Übergang. Das erste Mal Sex. Das zweite Mal, das dritte, fünfte und wahrscheinlich auch das siebte Mal. Ich habe nicht mitgezählt in diesem Taumel aus Lust und Freude, den ich an diesem viertägigen Wochenende mit meinem Freund entdecke. Wir haben es beide noch nie getan, aber jetzt können wir nicht mehr damit aufhören. Zwischendurch schlafen wir ein oder zwei Stunden, essen etwas, gehen ein paar Schritte allein zu den Sanitäranlagen, aber dann wird es Zeit für einen neuen Versuch.

Es ist so schön wie in den Angélique-Büchern, die meine Stiefmutter mir vor drei Jahren geschenkt hat.

Am Samstag machen wir einen Spaziergang zur Talsperre. Sie ist nicht besonders interessant, aber wir haben das Gefühl, dass wir etwas Offizielles zum späteren Erzählen brauchen. Wenn wir heimkommen, wird man uns garantiert fragen, wie es war. Es gibt Dinge, von denen es richtig ist, dass sie nur uns gehören. Talsperren dagegen sind Allgemeingut.

"Man sagt, dass die Welt danach eine andere sei", sage ich, während ich durch eine Wolke aus Endorphinen und Pheromonen schreite. Ich gehe eingehakt und stütze mich auf meinen Freund, weil meine Beckenbodenmuskeln mir inzwischen kaum noch erlauben, einen Schritt vor den anderen zu setzen.

Er schmunzelt. Vermutlich geht es ihm kaum besser als mir, auch wenn sein Muskelkater an anderen Körperstellen lokalisiert ist als meiner. "Ist es so?"

Ich blicke mich um. Ich fühle mich um. Kleine Hecken trennen lastwagengroße Domizile von Dauercampern voneinander, die im Jogginganzug auf Gartenstühlen sitzen und Zeitung lesen. Junisonne brennt auf meine Nase, während der Wind mich streichelt und zärtlich mit mir ist. Er duftet bereits ein wenig nach dem Wasser der naheliegenden Talsperre, auch wenn man dort nicht schwimmen darf.

Es ist eine gute Welt.

Aber das war sie vorher auch.

"Ich liebe dich", ziehe ich mich aus der Affäre.

--- Klick ---

Ich bin dreizehn, und meine Periode fließt von Anfang an im regelmäßigen 28-Tage-Takt. Darauf bin ich stolz, auch wenn die Schmerzen mich oft zwei Tage ans Bett fesseln. Die hippe Künstlerin aus der Nachbarwohnung hat mir eines ihrer alten Kleider geschenkt. Es ist das Kleid einer erwachsenen Frau, kein Kinderkleid wie die anderen in meinem Besitz. An mir sieht es großartig aus, sagt sie. Vanillegelb, mit dünnen grauen Streifen, rundem Ausschnitt und T-Shirt-Ärmeln.

"Heute fahre ich an den See", sage ich beiläufig zu meiner Mutter. Mein Herz klopft. Es ist eine Strecke von acht Kilometern. Das weiß ich, weil ich die Tachoanzeige auf den Autofahrten mit Familie oder ihren Freundinnen auf dem Weg dorthin verfolgt habe. Wird sie es mir verbieten?

"Viel Spaß", sagt sie nur. "Kannst du abschätzen, wann du zurück bist? Sollen wir mit dem Abendessen auf dich warten, oder willst du was mitnehmen?"

Ich bin erstaunt, aber stolz. Offenbar traut sie mir zu, auf diese Weise allein die Welt zu erobern. Sicherheitshalber frage ich sie um Rat, was ich mitnehmen könnte, belege mir zwei Brote und koche zwei Eier. Dazu noch ein Apfel und eine Wasserflasche, Handtuch, Badeanzug, Buch ...

Es passt alles in den Korb meines Fahrrads und ich radele los. Neben der Landstraße verläuft ein Radweg, auf dem ich mich wie die Königin der Welt fühle. Meine braungebrannten Beine kämpfen mit der Pedale, vor allem, wenn es aufwärts geht, aber was wäre ich für eine Königin, wenn ich vor dieser Herausforderung zurückschrecken würde?

Tatsächlich finde ich den Weg zum See, obwohl ich vorher etwas besorgt war. Bisher bin ich die Strecke nur als Beifahrerin gefahren, meist von der Rückbank aus. Der steinige Feldweg am Ende ist mit dem Rad viel schwerer zu fahren als mit dem Auto, aber die hohen Brennesseln am Wegrand müssen auf ein anderes Opfer warten.

Auf dem Parkplatz steht ein Eiswagen und ich ärgere mich, dass ich kein Geld eingepackt habe.

Ganz allein suche ich einen Platz für mein Handtuch. Ganz allein wechsele ich von Kleid zu Badeanzug und suche mir barfuß einen Weg zum nach Algen duftenden Wasser. Schließlich tauche ich ein und wasche mir den Schweiß der acht Kilometer ab. Ich schwimme quer auf die andere Seite, wie es meine Mutter sonst immer tut, und schaffe mit letzter Kraft den Weg zurück. Dann lege ich mich in die Sonne.

--- Klick ---
*******e24 Frau
2.292 Beiträge
Das versetzt mich tatsächlich zu manchen Ausschnitten meiner Jugend. DANKE! *knutsch*
Ich rieche diese Sommer nach, bis auf den Campingbus. Wieder wunderbar geschrieben.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Nachdem der Motor verstummt ist, ist die Nacht für einen Moment so still, dass ich mein Herz schlagen zu hören glaube. Das Mondlicht zeichnet Schatten und enthüllt die rostige Schranke zwischen Parkplatz und Badesee. Felix scheint meine Unsicherheit zu teilen. Eben waren wir noch in der Großstadt, Nachtclub, laute Musik und zu viele Menschen auf zu engem Raum. Jetzt ist es still. Noch umgibt uns das Auto wie eine warme, schützende Hülle, während draußen die feuchte Januarnacht und der kalte See unter dem Sichelmond auf uns warten.

"Sollen wir das wirklich tun?", frage ich unsicher. Das Wasser ist in meiner Vorstellung kälter geworden, seit die Autoheizung nicht mehr läuft. Ich sorge mich, dass Felix enttäuscht sein könnte, weil ich ihn an diesen Ort gelockt habe.

"Wir können auch einfach ein wenig spazieren gehen", beruhigt er mich. "Es ist lange her, dass ich bei Mondlicht an einem See war."

Seine entspannte Stimme zeigt Wirkung. Die Anspannung fällt von mir ab. Ja, hier im Auto ist es warm, aber ich möchte jetzt mit ihm ans Wasser gehen. Ich möchte herausfinden, wie der Sommersee meiner Kindheit sich anfühlt, wenn ich in meinem Geburtstagsmonat bei Mondlicht in ihn eintauche.

Gleichzeitig öffnen wir unsere Autotür und steigen aus. Meine Lederjacke ist viel zu dünn für die Nachtkälte, aber das wäre sie auch gewesen, wenn ich mit dem Zug nach Hause gefahren wäre. Eine seltsame Magie trägt mich auf meinen hohen Blockabsätzen über die Risse und Steine im Boden, sodass ich das Gefühl habe, zu schweben. Felix reicht mir seinen Arm, aber ich würde ihn nicht brauchen. Irgendetwas in mir ist aufgewacht, dem die Kälte und der sanfte Nieselregen nichts mehr anhaben können.

Ich zeige Felix den Weg an der rostigen Schranke vorbei auf die Wiese, an deren Rand Bäume stehen. Eine steile Böschung führt hinab zum mondbeschienenen Baggersee. Der Himmel ist bedeckt mit schlierigen Wolken, die hier und da Sterne und Mond erkennbar werden lassen. Auf den Gräsern liegt Feuchtigkeit, aber in diesem Augenblick regnet es nicht.

"Sollen wir es tun?", frage ich. Die Nachtkälte ist etwas geworden, was mich nur an der Außenseite berührt. In mir drin ist es heiß und lebendig. Etwas brennt, was schon mein ganzes Leben hätte brennen sollen und das endlich erwachen darf.

"Ich mach es, wenn du es auch machst." In seiner Stimme liegen Faszination und Freude an dieser Nacht, die so anders verläuft, als wir es beide geplant hatten.

"Also gut." Lachen steigt in mir auf. Ich löse mich von seinem Arm, mache eine Pirouette auf Glasscherben und Feldwegsteinen, und gehe zum Rand der Böschung. Der See scheint sich bis zum Horizont zu erstrecken, so sehr verändert die Nacht die Wahrnehmung.

Die Lederjacke ziehe ich zuerst aus und lege sie so auf den Boden, dass die eingefettete Seite auf den nassen Gräsern liegt. Darauf deponiere ich mein Baumwolljäckchen, mein Shirt, den BH, den kurzen Rock und die Strumpfhose. Als ich kurz zu Felix hinübersehe, ist er dabei, sich den Slip auszuziehen. Sein Körper wirkt im Nachtlicht bleich. Ich ziehe mein Höschen ebenfalls aus und richte mich auf. Das hier bin ich. Tara. Nackt. Unschuldig. Frei. Einfach nur ich.

Felix nimmt meine Hand. Seite an Seite gehen wir den sandigen Hang nach unten bis an die Stelle, wo eine kaum wahrnehmbare Linie aus feinen, angeschwemmten Ästchen und Blätterresten den Übergang zwischen matschsandigem Land und Wasser nachzeichnet.

Ich tauche meine Zehenspitze ins Wasser und umfasse Felix' Hand fester, als ich die Kälte spüre. Tief Luft holen, tief ausatmen. Wie beim Yoga. Noch mal, und noch mal. Dann lasse ich Felix los. Ein Schritt nach vorn, flüssige Kälte bis zum Knie. Noch ein Schritt. Und noch einer. Nach drei Schritten reicht mir das Wasser bis zu den Oberschenkeln und ich will schreien, weil es so kalt ist. Doch das Feuer in mir glüht heißer. Ich. Ich bin ich. Ich lebe. Ich bin wild. Frei. Stark und verloren zugleich.

Einfach nur ich.

Ich stürze mich nach vorn, tauche ein in das Wasser, berge mein Gesicht in dieser flüssigen Schockfrostung und mache den ersten Schwimmzug ins Ungewisse.
********lara Frau
6.515 Beiträge
Zitat von **********lerin:

Ich stürze mich nach vorn, tauche ein in das Wasser, berge mein Gesicht in dieser flüssigen Schockfrostung und mache den ersten Schwimmzug ins Ungewisse.

Wunderbare Metapher!🥰
*******e24 Frau
2.292 Beiträge
Wieder mal ein Hochgenuss zu lesen. Ich kann es mir so gut vorstellen. *knicks* *top2*
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Ich tauche ein in das Wasser wie Eva in den Fluss Pischon von Gan Eden, wie Morgaine in den Spiegelteich von Avalon und wie Tara in den Baggersee unter dem Sichelmond. Es ist kalt. Eiskalt. Januarwasser.

Mein Körper ist stärker, befehle ich mir. Ich öffne Arme und Beine für einen Schwimmzug, anstatt mich zur Embryoposition zusammenzuballen. Die Kälte ist ohnehin überall. Warum mich schützen, wenn sie Leben und Freiheit bedeutet?

Ein kurzer Blick nach hinten zeigt mir, dass Felix auch ins Wasser gekommen ist. Er bespritzt sich Arme und Bauch mit Wasser, anstatt wie ich direkt nach vorn zu fallen und einzutauchen. Dann blicke ich nach vorn. Das Wasser glitzert im Mondlicht. Die Büsche und Bäume auf der anderen Seite des Sees zeichnen schwarze, geheimnisvolle Linien. Ich kenne diesen Ort, aber nicht bloß aus meiner Kindheit. Vielleicht gibt es in uns allen eine uralte Sehnsucht danach, hierher zurückzukehren. In das Wasser bei Mondlicht, das uns reinigt und alten Schmutz von uns abfallen lässt.

Ich mache den nächsten Schwimmzug. Jeder Armschlag erfordert Selbstdisziplin und Mut. Die Kälte ist höllisch. Sie zeichnet ein unsichtbares Brandzeichen auf meinen ganzen Körper, das bleiben wird. Der Mond wird erst in vielen Jahren zurückkehren, in einer Nacht über dem Gletschersee, der noch keinen Namen hat, deswegen hebe ich mein Gesicht zu ihm und mache einen dritten Schwimmzug.

Felix wirft sich prustend nach vorn. "Du meine Güte", presst er hervor. "Wir sind doch verrückt."

Ich drehe mich mit schwungvoller Bewegung auf den Rücken, die Brüste silbrig hell im Mondlicht, und mit einem weiteren Schwung zurück auf den Bauch. "Ist es dir zu kalt?" Ich lache fröhlich. Überdreht. Der Adrenalinrausch hält mich gefangen.

Seite an Seite machen wir einen weiteren Schwimmzug, dann dreht er um. Jetzt gehört der glitzernde Wasserspiegel mir allein. Er breitet sich unendlich weit vor mir aus. Diese vier Schwimmzüge haben meinen Körper bereits an den Rand seiner Kräfte gebracht. Das kalte Wasser scheint von allen Richtungen auf mich einzuströmen, in mich hinein, es fordert meine Willenskraft und meinen Mut heraus, aber es bedeutet Leben. Wachstum.

Reinheit.

"Hilf mir", fordere ich den Mond auf und mache den nächsten Schwimmzug. Ich will ganz weit hinaus, in die Mitte des Sees, ich will frei sein. Alles Böse, was je an mir geklebt hat, soll abgespült werden. Aller Schmutz, der mich je gequält hat, wird hinter mir zurückbleiben, wenn ich stark genug bin, von diesem Wasser getragen zu werden und unter dem magischen Schutz dieses Silbermonds Freiheit zu finden.

Beim sechsten Schwimmzug sticht plötzlich ein brutaler Schmerz durch meinen unteren Bauch. Er ist links und rechts lokalisiert, da, wo ich einmal meine Eierstöcke zu visualisieren gelernt habe. Plötzlich begreife ich, warum Felix schneller umgekehrt ist als ich. Ich trete Wasser und lege ganz kurz die Handflächen zusammen, beuge ganz leicht den Kopf vor dem Mond, unter dessen Schutz ich so tief ins Wasser schwimmen durfte, und dann kehre ich um.

Es kommt mir vor, als wäre ich tatsächlich weit, weit, weit in die Mitte des Sees vorgedrungen. Die sechs Schwimmzüge haben mich weit fort vom sicheren Ufer getragen. Hätte ich mir Kräfte für den Rückweg aufheben sollen?

Aber wäre ich dann so weit gekommen?

Felix wartet am Ufer des Sees, auf dem nachtnassen Sand, der unter meinen Füßen plötzlich so viel wärmer ist als das Wasser der Seemitte. Er reicht mir die Hand, als ich mit tauben Beinen das letzte Wegstück stolpere, und zieht mich an sich. Seine Haut ist eiskalt wie meine, doch ich fühle mich gewärmt und beschützt.
*******e24 Frau
2.292 Beiträge
In meiner Vorstellung ist es ein unbeschreiblich wunderschöner Anblick: Der See in Mondlicht getaucht, das Glitzern... Kann es fast wie real vor dem inneren Auge sehen. Tolle Umschreibung, wie bisher auch *top2*
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Dieser Beitrag wurde als FSK18 eingestuft.
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Ich ziehe den Hut vor so viel wunderbarem Selbst-Wert.
Die Spannung ist ja kaum auszuhalten, *g* .
*******e24 Frau
2.292 Beiträge
Kann es auch kaum erwarten weiterzulesen! Großartig!
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Dieser Beitrag wurde als FSK18 eingestuft.
Zur Freischaltung

**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Und jetzt also Felix. Etwas, was mir besonders gefällt.

Wenn er nur wüsste, wie viele Jahre ich geschwiegen und mich geschämt habe!

Doch in diesem Augenblick spielt das keine Rolle mehr. Die Januarkälte hat den dumpfen Mief vergangener Scham und Verlegenheit weggebrannt. Der Mondsee, der früher mein sommerlicher Baggersee war, riecht nicht länger nach Algen. Er hat alles fortgewaschen, was an mir falsch war, was mich zu einer Frau zweiter Klasse degradierte, deren Wünsche und Fantasien einfach nicht in die Realität gehören durften.

All das ist vorbei. Der Schmutz ist von mir abgefallen. Ich fühle mich rein und unschuldig. Das hier, das bin ich. Teil der Erde. Teil des Himmels, Teil des sanft herabfallenden Nieselregens, durch Kälte und Wasser gereinigt.

Ich nehme Felix' Hand, führe sie sanft an meinem Hals entlang zu meiner Brust und presse sie fest darauf. "Tu mir weh", flüstere ich.

Seine Augen leuchten auf und er drückt zu.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Felix drückt meine Nippel zusammen. Etwas Heftiges fließt durch mich hindurch, was ich noch nie zuvor wahrgenommen habe. Es ist krass. Intensiv. Heilig.

Das hier, das bin ich.

Die heiße Welle aus Lust und Schmerz vertreibt die Angst aus mir, dass das mit dem Masochismus nur eine seltsame Fantasie war, die die Begegnung mit der Realität nicht aushält. Ich schmiege mich hinein in das, was Felix mir gibt, und verbrenne bis auf den Kern meines Seins. Der eiskalte See hat bereits abgewaschen, was hart und bäh und schmutzig an dem war, was ich mitgebracht habe. Jetzt verbrennt das Phönixfeuer den Rest.

Auf diese Weise gereinigt, was kann die Welt mir dann noch antun?

Alles, was bleibt, ist dieser Kern. Dieses Fließen. Weich, leise und unendlich groß, wiedergeboren zwischen den Sternen, dem nassen Gras und dem sanft herabnieselnden Januarnebeltropfenschauer.

Felix vögelt mich, sanft und kontrolliert, pausiert und knetet meine Brüste erneut an der Schwelle zwischen Lust und Grausamkeit. Die Feuerwoge in mir lodert höher und höher, hin- und hergerissen zwischen zwei Arten von Freude, die Felix mir schenkt. Hingabe. Lust. Schmerz. Ich darf alles sein, dieses herrlich weiche Explodieren, ich werde gehalten und geschützt und gewollt dabei.

Wer hätte so etwas je für möglich gehalten?

Ich bin richtig. Absolut richtig. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass ich je anders war. Alles, was bleibt, ist der Kern meines Sein, und Felix berührt und liebkost ihn und pusht ihn höher und höher, bis er schließlich die Hand auf meinen Hals legt, sanft zudrückt, tiefer und härter in mich stößt und ich komme.

Es ist ein Höhepunkt, wie ich ihn nie zuvor erlebt habe. Er umfasst meinen ganzen Körper, mein ganzes Sein, und ich habe keine anderen Worte dafür als eine gigantische Welle voller Energie, die aus der Erde bis in den Himmel durch meinen Körper strömt und alles fortspült, was je böse gewesen ist. Ich werde weich wie Nektar und Ambrosia, die durch den Himmel der Götter fließen, und jede Metapher versagt dabei, es zu erklären.

Nachdem die letzte Welle durch mich hindurchgelaufen und verebbt ist, zieht sich Felix aus mir zurück und ejakuliert auf meinen Bauch. Es ist ein neuer Regen aus Licht und Freude, der mich erfüllt und wärmt, und wenn es nach mir ginge, würde ich für den Rest meines Lebens hier liegenbleiben. Vollkommen aufgelöst, vollkommen glücklich.

Felix ist vernünftiger und erinnert mich daran, dass die Kälte nach wie vor existiert. Er drängt mich sanft, mich wieder anzuziehen, und verspricht mich hinten in seinem Auto eine Decke mit ein paar Hundehaaren darauf, in die wir uns gleich gemeinsam kuscheln können. Bei eingeschalteter Autoheizung. Das sei doch bestimmt viel besser als See und Nachtkälte?

Er hilft mir beim Gehen, denn alles in mir ist weich hingegossen, er kümmert sich um die Autoheizung, und dann komme ich angekuschelt an sein Herz wieder zu mir. Es ist, als würde er ein Feld ausstrahlen, das mich schützt, in diesem Augenblick, in dem ich all die alten Lügen über mich und mein Sein verloren habe und bereit bin, einen neuen Weg zu wählen und ich selbst zu werden.
Wahnsinn.
Ich kenne seit jeher nur die Ahnung, mich schützen zu müssen. Wurde halt so vermittelt.
Für ein "sich geschützt fühlen" hat es nie gereicht.
(Keinen Leidensdruck deswegen, einfach nüchtern).

Ich bin so froh um deine Geschichten-
richtiger: freue mich!
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Ich bin wohl eingenickt, denn als ich wieder zu mir komme, bin ich immer noch eng an Felix geschmiegt. Es ist immer noch Nacht, doch irgendwo in der Blaudunkelheit verbirgt sich bereits eine Ahnung vom nahenden Ende der Schwärze.

"Guten Morgen", flüstere ich Felix ins Ohr, der sich genau wie ich irgendwie in dieser verknäuelten Position zurechtfinden muss. "Bist du auch eingeschlafen?"

Er küsst mich auf die Wange und streichelt mich, zieht mich wieder enger an sich, denn überall, wo wir uns nicht berühren, ist es kalt. "Ein wenig. Und ein wenig habe ich dir beim Schlafen zugehört."

"Ich hoffe, ich habe nicht geschnarcht."

"Wenn, dann bin ich zu sehr Gentleman, um es dir ins Gesicht zu sagen."

Wir lachen miteinander. Ich schmiege mich enger an seine Schulter. Diese Nacht soll nicht enden, ich bin noch nicht bereit dafür. "Erzähl mir etwas von dir."

"Was möchtest du hören?"

"Hm ..." Ein Grinsen huscht über mein Gesicht. "Ich weiß, wie du vögelst, aber sonst so gut wie nichts über dich. Was machst du noch mal beruflich?"

"Das habe ich dir doch vorhin erzählt."

"Könnte sein, dass das danach meine Erinnerung überschrieben hat."

Jetzt ist er es, der lacht. "Ich bin Unternehmer. Ich habe meine eigene kleine Firma gegründet, und inzwischen habe ich ein paar Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Es läuft nicht schlecht."

"Wow." Ich bin beeindruckt. "Das hört sich traumhaft an. Dafür muss man sicher sehr mutig sein, oder?"

"Man muss auf sich selbst vertrauen, ja." Er richtet sich ein wenig auf. "Irgendwo in dir muss es eine Kraftquelle geben, die dir sagt: Ich gehe meinen eigenen Weg, und dieser Weg ist richtig. Wenn man das nicht schafft ..."

Ich höre gebannt zu. "Was ist dann?"

Nicht, dass ich es zugeben will, aber etwas in mir rattert. Diese Sache mit dem eigenen Weg ... Mein ganzes Leben lang kenne ich nur Menschen, die im Angestelltenverhältnis arbeiten. Der eigene Weg, das ist so was wie eine Pilgerreise nach Santiago de la Compostela im Sabbat-Jahr. Es ist nicht die Entscheidung, beruflich die Hauptverantwortung für sich und andere zu tragen. Bis heute wusste ich nicht, dass so etwas geht, dass eine Firma etwas anderes ist als eine riesige und anonyme Aktiengesellschaft, bei der Menschen nichts weiter sind als austauschbare Rädchen im Getriebe.

"Es gibt Macher-Menschen, und es gibt Mitläufer-Menschen", erklärt Felix mir, und zwischen meinen Beinen wird es feucht, so stolz und gelassen blickt er dabei. "Im Grunde läuft es auf die Frage hinaus, was davon man sein möchte."

Ich will mehr hören, und er erzählt, und ganz allmählich spüre ich, wie es zwischen seinen Beinen wieder hart wird, wie meine Haut sich wieder in ein Instrument des Empfangens verwandelt und wie die ausgesprochenen Worte an Bedeutung verlieren. Wir werden es noch einmal tun, begreife ich. Die beste Nacht meines Lebens, und sie ist tatsächlich noch nicht vorbei.

Es soll nie vorbei sein.

Aber damit es eine Wiederholung geben kann, auch nach dieser sich ankündigenden zweiten Runde ...

"Sag mal", taste ich mich an die Frage heran, die ich stellen will. "Deine Freundin und du ... habt ihr eigentlich eine offene Beziehung? Oder ist das hier eine von diesen magischen Nächten, bei denen man hinterher so tut, als hätten sie nie stattgefunden, weil sie so vollkommen fernab jeder Realität sind?"
*******e24 Frau
2.292 Beiträge
Ich kann gut verstehen warum sie nicht will das es endet. Ich würde es auch nicht wollen! *top2*
********lara Frau
6.515 Beiträge
Ist es nicht das Missverständnis schlechthin, dass der weibliche Part mit einer Menge Emotionen startet und am Ende auch viel mehr will als der männliche Part zu geben bereit ist?
Ich bin sehr gespannt auf die Antwort!
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Und jetzt bin ich erwachsen. 35 Jahre alt, stehe kurz vor der wichtigsten Entscheidung meines Lebens, und ich halte eine frisch geschliffene Schere in der Hand.

Spoiler: Es geht weder um Liebe noch um Sex.

Es geht um verdammt viel Geld.

Um genau zu sein geht es um meine ganze, jahrzehntelange, verfickte berufliche Zukunft bis zu dem Tag, an dem ich in Rente gehe. Also etwa genauso viele Jahre, wie ich bereits gelebt habe. Das hier ist wichtig, okay? Etwas muss enden. Für immer. Ich ertrage es nicht länger.

Ich kämme die Fäden meines Lebens durch, sortiere sie wie eine Webmaschine nach links und rechts und entscheide, was fort muss. Beinah zärtlich fahre ich durch meine langen Haare und weiß, dass nicht sie es sind, die ich abschneiden werde. Es ist etwas anderes. Etwas Hässliches und Abstoßendes. Es passt nicht zu mir, okay? Natürlich, wenn ich meine bisherigen Worte lese, erinnere ich mich gut an das Kribbeln unterhalb des Bauchnabels. Um die heftigen Wellen der Erregung, die bis heute nachwirken. Wenn ich könnte, würde ich diese Mondnacht zurückholen und sie immer wieder neu abspielen.

Sie und alles, was danach kam.

Ganz egal, was die Welt dann über mich denkt.

Aber ich muss diesen Teil von mir abschneiden. Er ist falsch. Ich muss ihn loswerden. Für immer. Ganz egal, welchen Preis ich dafür bezahle. Es geht um meine Zukunft.

Ich fahre mit der scharfen Scherenklinge über die weiche Innenseite meines Oberschenkels und erinnere mich daran, wie Felix mich dort ganz ähnlich berührt hat ...
*********Mojo Paar
212 Beiträge
Herrlich!!!
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