--- Klick ---
Ich bin acht Jahre alt, und ich besitze eine Schatztruhe. Sie ist mit Rosenstickern und welchen von Bibi Blocksberg beklebt, und in ihr befinden sich bunte Glassteine, ein alter Ohrring meines Kindermädchens und ein glitzernder Kristall, den ich auf dem Schulhof neben dem Klettergerüst gefunden und mit einem harten Faustschlag gegen einen Jungen aus der Nachbarklasse verteidigt habe. Manchmal lege ich die Schatzkiste auf meinen Schoß, nehme mein Taschenmesser in die Hand und stell mir vor, dass es ein echter Piratenschatz ist. Meiner allein. Erbeutet mit meiner Kraft und meiner Pistole, mit meiner List und Raffinesse und Grausamkeit, und keinesfalls, weil ich wie die Piraten im Kinderbuch stets brav meine Hausaufgaben mache.
Soweit ich weiß, bin ich das reichste Mädchen in meinem Umfeld. Nicht wegen dieser kindhaften Schatzkiste, sondern weil ich echtes Geld besitze. Ich bewahre es in einem Portemonnaie auf, das mir ein Freund meiner Eltern geschenkt hat. Jede Woche bekomme ich zwei Mark Taschengeld, und eine davon spare ich. Manchmal gibt mir die nette Nachbarin Aufgaben in ihrem Garten, für die es fünfzig Pfennig zu verdienen gibt, und manchmal bekomme ich etwas von den Großeltern.
Wenn wir Eis essen gehen und alle zwei Kugeln bekommen, frage ich meine Mutter mit Todesverachtung, ob ich heute das Geld für eine Kugel für mich bekommen kann und dafür nur eine Waffel mit einer Kugel darin.
Es gibt kein festes Ziel, auf das ich spare. Kein Fahrrad, kein Gameboy, kein Buch oder etwas anderes Schönes. Ich spare, um reich zu sein. Eines Tages, das habe ich entschieden, werde ich ganze fünfzig Mark besitzen. Reich wie eine Millionärin werde ich dann sein! Und anders als meine Eltern muss ich nichts von diesem Geld für wichtige Dinge wie Rechnungen ausgeben. Ich werde mich auf mein Mädchenfahrrad setzen, das Taschenmesser griffebereit in der Tasche, um meinen Reichtum zu verteidigen, und dann werde ich durch die Fußgängerzone bummeln.
Eine reiche Frau, die sich leisten kann, was immer sie haben will.
Ich klappe das Taschenmesser auf und zu, während ich das Geld zähle, das ich bereits besitze, und von diesem großen Tag träume. Fünfzig Mark! Es wird eine Ewigkeit dauern. Aber wenn ich sie besitze, dann ist es wirklich und wahrhaftig mein Geld, nicht einfach das Geschenk reicher Großeltern, wie bei anderen Kindern aus meiner Klasse.
Der große Tag wird kommen.
--- Klick ---
Ich bin vierzehn. Meine Mutter und die Nachbarin unterhalten sich über Männer. Heute jedoch nimmt das Gespräch eine neue Wendung, und ich lausche aufmerksam. Denn dieses Mal geht es um Männer, die mehr Geld als Frauen verdienen.
"Warum ist das so?", frage ich. Inzwischen habe ich ein feines Gespür dafür entwickelt, wann ich beim Lesen auf dem abseits stehenden Sessel die Klappe halten sollte und wann meine Neugier willkommen ist.
Die beiden erklären mir, dass Männer egoistischer sind als Frauen. Während Frauen bei ihrer Berufswahl primär danach gehen, dass sie etwas Gutes für die Gesellschaft bewirken wollen und später auch für ihre Kinder sorgen können, achten Männer vor allem auf die Verdienstchancen. Das führt dazu, dass Frauen dann später auch dann bei ihrem Partner bleiben müssen, wenn sie ihn nicht mehr lieben. Sogar dann, wenn sich der Mann als ausgemachtes Arschloch erweist.
"Das Schlimmste ist, dass solche Frauen sich dann für etwas Besseres halten", erklärt meine Mutter. "Das habe ich bei den Elternabenden in der Grundschule gemerkt. Da sitzen dann Frauen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben außer sich einzukremen, zu schminken und die Wohnung vom Geld ihres Mannes einzurichten. Und die bilden sich ein, dass sie was Besseres sind als ich, weil ich nicht dazu komme, euch morgens die Brote zu schmieren und mit Petersilie zu garnieren!"
"Das brauchst du doch auch nicht", sage ich erstaunt. "Du gehst doch morgens früher aus dem Haus als ich, und ich konnte mir meine Brote schon im Kindergarten schmieren."
"Da habe ich aber noch helfen mussen."
Ich schmolle etwas bei der Vorstellung, dass ich je so unselbstständig war, aber vermutlich hat sie recht. "Und solche Frauen halten sich wirklich für etwas Besseres, weil sie nicht arbeiten und du schon?"
Das Nicken der beiden Frauen schockiert mich. Die Vorstellung einer erwachsenen Frau ohne eigenes Bankkonto flößt mir keine Bewunderung ein, sondern Abscheu und Mitleid.
"Die sind schlimmer als Prostituierte", sagt die Nachbarin trocken. "Bei einer anständigen Hure weiß man wenigstens, dass sie es für das Geld tut, und sie belügt darüber nicht die ganze Welt."
Ich verstehe nicht, warum die beiden darüber lachen, aber ich lache mit.
Man hat mir immer gesagt, dass ich klug bin, dass ich es im Leben weit bringen kann, dass ich viele Talente mitbringe. Aber wie viele Frauen kenne ich tatsächlich, die es im Leben weit gebracht haben?
Zum ersten Mal begreife ich, dass ich später kein eigenes Segelboot in der Karibik besitzen werde. Wenn überhaupt, dann wird es ein Mann sein, dem das Boot gehört. Aber wenn ich mich in ihn verliebe, um mitsegeln zu dürfen, bin ich keine freie Piratin mehr, sondern eine Hure.
--- Klick ---
Ich bin vierunddreißig Jahre alt. Es ist beinah Gegenwart, nur noch ein Jahr trennt mich vom Hier und Heute. Der Raum ist eine Fuckup-Night. Ein Event, auf dem Männer davon erzählen, wie sie als Unternehmer große Träume hatten und gescheitert sind.
Frauen dürften bestimmt auch davon erzählen, aber auf der Bühne steht keine. Meinesgleichen hat wohl auch große Träume, aber wir kommen gar nicht erst so weit, dass wir scheitern können.
In der Pause versuche ich zu networken, andere Menschen kennenzulernen und mehr über diese seltsam dynamische Welt voller Learnings, Success und personal Development zu lernen. Die Menschen in dieser Business-Welt sprechen einen seltsamen Slang. Mich beschleicht der finstere Verdacht, dass die Leute genauso Schemata nachbeten wie jeder andere. Hier ist niemand, von dem ich lernen kann, mutig zu sein und meinen eigenen Weg zu gehen.
Oder?
Auf der Damentoilette begegne ich ihr. Sie steht vor mir in der Schlange. Ihr Kleid ist zu kurz, ihr Ausschnitt zu tief, und ihr Make-up ist zu heftig für den Anlass. Während die anderen Frauen den Anschein machen, dass sie vor allem ihren Freund begleitet haben, um ihn zu unterstützen, wirkt diese Frau wild, verzweifelt und dickköpfig. Sie passt nicht zu diesen anderen Frauen, von denen mindestens die Hälfte später die Hauptverantwortung für das Einkommen auf einen Mann abwälzen wird. Die Fremde ist cica zehn Jahre jünger als ich, hat riesengroße Augen und ein Kinn so zart wie das einer Elfe.
Ich will sie an mich ziehen und vor allem Bösen auf dieser Welt beschützen.
"Hallo", sage ich zu ihr. "Findest Du es auch immer so schwierig, auf diesen Networking-Events wildfremde Menschen anzusprechen?"
Sie mustert mich kritisch von Kopf bis Fuß. "Das kommt darauf an, was es für Menschen sind. Ich bin nämlich sehr wählerisch."
In meinen Augen flammt etwas auf. Etwas, was zuletzt in einer Januarmondnacht vor beinah zehn Jahren gebrannt hat, wild und herausfordernd. "Ich auch", ergreife ich ihren Fehdehandschuh und denke an Sex mit dem Universum. "Wer bist du?"
--- Klick ---
Ich bin acht Jahre alt, und ich besitze eine Schatztruhe. Sie ist mit Rosenstickern und welchen von Bibi Blocksberg beklebt, und in ihr befinden sich bunte Glassteine, ein alter Ohrring meines Kindermädchens und ein glitzernder Kristall, den ich auf dem Schulhof neben dem Klettergerüst gefunden und mit einem harten Faustschlag gegen einen Jungen aus der Nachbarklasse verteidigt habe. Manchmal lege ich die Schatzkiste auf meinen Schoß, nehme mein Taschenmesser in die Hand und stell mir vor, dass es ein echter Piratenschatz ist. Meiner allein. Erbeutet mit meiner Kraft und meiner Pistole, mit meiner List und Raffinesse und Grausamkeit, und keinesfalls, weil ich wie die Piraten im Kinderbuch stets brav meine Hausaufgaben mache.
Soweit ich weiß, bin ich das reichste Mädchen in meinem Umfeld. Nicht wegen dieser kindhaften Schatzkiste, sondern weil ich echtes Geld besitze. Ich bewahre es in einem Portemonnaie auf, das mir ein Freund meiner Eltern geschenkt hat. Jede Woche bekomme ich zwei Mark Taschengeld, und eine davon spare ich. Manchmal gibt mir die nette Nachbarin Aufgaben in ihrem Garten, für die es fünfzig Pfennig zu verdienen gibt, und manchmal bekomme ich etwas von den Großeltern.
Wenn wir Eis essen gehen und alle zwei Kugeln bekommen, frage ich meine Mutter mit Todesverachtung, ob ich heute das Geld für eine Kugel für mich bekommen kann und dafür nur eine Waffel mit einer Kugel darin.
Es gibt kein festes Ziel, auf das ich spare. Kein Fahrrad, kein Gameboy, kein Buch oder etwas anderes Schönes. Ich spare, um reich zu sein. Eines Tages, das habe ich entschieden, werde ich ganze fünfzig Mark besitzen. Reich wie eine Millionärin werde ich dann sein! Und anders als meine Eltern muss ich nichts von diesem Geld für wichtige Dinge wie Rechnungen ausgeben. Ich werde mich auf mein Mädchenfahrrad setzen, das Taschenmesser griffebereit in der Tasche, um meinen Reichtum zu verteidigen, und dann werde ich durch die Fußgängerzone bummeln.
Eine reiche Frau, die sich leisten kann, was immer sie haben will.
Ich klappe das Taschenmesser auf und zu, während ich das Geld zähle, das ich bereits besitze, und von diesem großen Tag träume. Fünfzig Mark! Es wird eine Ewigkeit dauern. Aber wenn ich sie besitze, dann ist es wirklich und wahrhaftig mein Geld, nicht einfach das Geschenk reicher Großeltern, wie bei anderen Kindern aus meiner Klasse.
Der große Tag wird kommen.
--- Klick ---
Ich bin vierzehn. Meine Mutter und die Nachbarin unterhalten sich über Männer. Heute jedoch nimmt das Gespräch eine neue Wendung, und ich lausche aufmerksam. Denn dieses Mal geht es um Männer, die mehr Geld als Frauen verdienen.
"Warum ist das so?", frage ich. Inzwischen habe ich ein feines Gespür dafür entwickelt, wann ich beim Lesen auf dem abseits stehenden Sessel die Klappe halten sollte und wann meine Neugier willkommen ist.
Die beiden erklären mir, dass Männer egoistischer sind als Frauen. Während Frauen bei ihrer Berufswahl primär danach gehen, dass sie etwas Gutes für die Gesellschaft bewirken wollen und später auch für ihre Kinder sorgen können, achten Männer vor allem auf die Verdienstchancen. Das führt dazu, dass Frauen dann später auch dann bei ihrem Partner bleiben müssen, wenn sie ihn nicht mehr lieben. Sogar dann, wenn sich der Mann als ausgemachtes Arschloch erweist.
"Das Schlimmste ist, dass solche Frauen sich dann für etwas Besseres halten", erklärt meine Mutter. "Das habe ich bei den Elternabenden in der Grundschule gemerkt. Da sitzen dann Frauen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben außer sich einzukremen, zu schminken und die Wohnung vom Geld ihres Mannes einzurichten. Und die bilden sich ein, dass sie was Besseres sind als ich, weil ich nicht dazu komme, euch morgens die Brote zu schmieren und mit Petersilie zu garnieren!"
"Das brauchst du doch auch nicht", sage ich erstaunt. "Du gehst doch morgens früher aus dem Haus als ich, und ich konnte mir meine Brote schon im Kindergarten schmieren."
"Da habe ich aber noch helfen mussen."
Ich schmolle etwas bei der Vorstellung, dass ich je so unselbstständig war, aber vermutlich hat sie recht. "Und solche Frauen halten sich wirklich für etwas Besseres, weil sie nicht arbeiten und du schon?"
Das Nicken der beiden Frauen schockiert mich. Die Vorstellung einer erwachsenen Frau ohne eigenes Bankkonto flößt mir keine Bewunderung ein, sondern Abscheu und Mitleid.
"Die sind schlimmer als Prostituierte", sagt die Nachbarin trocken. "Bei einer anständigen Hure weiß man wenigstens, dass sie es für das Geld tut, und sie belügt darüber nicht die ganze Welt."
Ich verstehe nicht, warum die beiden darüber lachen, aber ich lache mit.
Man hat mir immer gesagt, dass ich klug bin, dass ich es im Leben weit bringen kann, dass ich viele Talente mitbringe. Aber wie viele Frauen kenne ich tatsächlich, die es im Leben weit gebracht haben?
Zum ersten Mal begreife ich, dass ich später kein eigenes Segelboot in der Karibik besitzen werde. Wenn überhaupt, dann wird es ein Mann sein, dem das Boot gehört. Aber wenn ich mich in ihn verliebe, um mitsegeln zu dürfen, bin ich keine freie Piratin mehr, sondern eine Hure.
--- Klick ---
Ich bin vierunddreißig Jahre alt. Es ist beinah Gegenwart, nur noch ein Jahr trennt mich vom Hier und Heute. Der Raum ist eine Fuckup-Night. Ein Event, auf dem Männer davon erzählen, wie sie als Unternehmer große Träume hatten und gescheitert sind.
Frauen dürften bestimmt auch davon erzählen, aber auf der Bühne steht keine. Meinesgleichen hat wohl auch große Träume, aber wir kommen gar nicht erst so weit, dass wir scheitern können.
In der Pause versuche ich zu networken, andere Menschen kennenzulernen und mehr über diese seltsam dynamische Welt voller Learnings, Success und personal Development zu lernen. Die Menschen in dieser Business-Welt sprechen einen seltsamen Slang. Mich beschleicht der finstere Verdacht, dass die Leute genauso Schemata nachbeten wie jeder andere. Hier ist niemand, von dem ich lernen kann, mutig zu sein und meinen eigenen Weg zu gehen.
Oder?
Auf der Damentoilette begegne ich ihr. Sie steht vor mir in der Schlange. Ihr Kleid ist zu kurz, ihr Ausschnitt zu tief, und ihr Make-up ist zu heftig für den Anlass. Während die anderen Frauen den Anschein machen, dass sie vor allem ihren Freund begleitet haben, um ihn zu unterstützen, wirkt diese Frau wild, verzweifelt und dickköpfig. Sie passt nicht zu diesen anderen Frauen, von denen mindestens die Hälfte später die Hauptverantwortung für das Einkommen auf einen Mann abwälzen wird. Die Fremde ist cica zehn Jahre jünger als ich, hat riesengroße Augen und ein Kinn so zart wie das einer Elfe.
Ich will sie an mich ziehen und vor allem Bösen auf dieser Welt beschützen.
"Hallo", sage ich zu ihr. "Findest Du es auch immer so schwierig, auf diesen Networking-Events wildfremde Menschen anzusprechen?"
Sie mustert mich kritisch von Kopf bis Fuß. "Das kommt darauf an, was es für Menschen sind. Ich bin nämlich sehr wählerisch."
In meinen Augen flammt etwas auf. Etwas, was zuletzt in einer Januarmondnacht vor beinah zehn Jahren gebrannt hat, wild und herausfordernd. "Ich auch", ergreife ich ihren Fehdehandschuh und denke an Sex mit dem Universum. "Wer bist du?"
--- Klick ---