Ich weiß es nicht, es ist nur eine Vermutung, aber für manche ist das Wissen, dass jemand mal anatomisch anders war und es biologisch betrachtet vielleicht noch (ein bisschen) ist, so stark, dass es alle anderen Eindrücke einfach überlagert.
Ich fürchte, das ist zutiefst menschlich. Wir alle haben das in bestimmten Bereichen. Für manche ist es zum Beispiel so, dass sobald sie wissen, jemand hatte mal mit Drogen zu tun, dass sie denjenigen dann einfach nicht mehr in einem anderen Licht sehen können, obwohl sie ihn als clean und ganz normal kennengelernt haben. Bei anderen verändert es total die Wahrnehmung, wenn sie wissen oder herausfinden, jemand hat eine bestimmte Krankheit (AIDS, Epilepsie, Gendefekt etc.) Es gibt so viel, was bei diesem oder jenem einfach einen sehr großen Einfluss auf die Wahrnehmung hat. Vorstrafen, sexuelle Vorgeschichte oder fehlende sexuelle Erfahrung, Herkunft, Einstellung und so weiter.
Ich selber kann mich auch nicht davon frei machen. Ich glaube, niemand kann das. Jeder hat bestimmte Dinge, wenn sie die von einem anderen erfahren, ändert es komplett ihre Wahrnehmung dieser anderen Person. Man kann nur sein bestes geben und an sich arbeiten, sich hinterfragen und seine eigene Wahrnehmung nicht als totale Wahrheit begreifen. Das ist nicht immer einfach.
Ist das blöd, wenn einen jemand als Mann wahrnimmt, obwohl man alles mögliche dafür getan hat, um keiner zu sein? Sicher. Ich finde es auch blöd, wenn jemand mich als "behindert" wahrnimmt und entsprechend behandelt, obwohl ich es nicht bin, zumindest nicht auf die Art, wie diese Menschen Behinderung verstehen. Dann habe ich mehrere Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Meistens reagiere ich gar nicht, weil ich es zwar blöd finde, wenn die Kassiererin im Supermarkt mich duzt und den Kunden vor und hinter mir nicht, aber ich es noch viel blöder fände, mich da öffentlich aufzuregen. Manchmal aber, wenn jemand fragt, kläre ich auf, ruhig und sachlich. Ob das hilft, wer weiß. Aber besser als wütend zu werden.
Es ist so schwer, die Wahrnehmung eines anderen zu ändern, erst recht, wenn es um eine Sache geht, die so fest im Kopf verankert ist. Solange der andere nichts ändern will, wird er sich nicht ändern.
Wenn da nun jemand ist, in dessen Wahrnehmung man eben keine Frau ist, vielleicht, weil in seinem Kopf der Gedanke "Das ist ein Mann!" so stark ist, dass er alles überlagert, dann ist das natürlich schade. Können wir das ändern? Nein, zumindest nicht so adhoc und ohne Veränderungswillen desjenigen. Man kann höchstens im Dialog versuchen, herauszufinden, woran derjenige das festmacht und ihm andere Kriterien zeigen, falls derjenige dazu bereit ist.
Falls nicht, kann man denjenigen nur darauf hinweisen, dass selbst, wenn er es anders sieht, es höflich und respektvoll ist, denjenigen als Frau anzusprechen, mit dem richtigen Namen und so weiter, selbst wenn man die Person selber nicht als Frau sieht.