„Vom Mythos der Alpha-Menschen
Vorwort
Es gibt Mythen, die durch Aussagen aus wissenschaftlichen Abhandlungen und/oder durch populärwissenschaftliche Texte entstehen.
Während in der Wissenschaft neue Erkenntnisse alte Annahmen irgendwann widerlegt werden (können), bleibt so etwas wie geisterhaftes Wissen in der breiten Bevölkerung. Es gibt jedoch auch komplett falsche Aussagen, die durch Werbung geprägt wurde. Dies kann direkten Einfluss auf die Art und Weise haben, wie wir Dinge betrachten. Kurz: Es gibt Dinge, die sich zwar objektiv als falsch herausgestellt haben (oder einfach bis heute weder be- noch widerlegt werden konnten), die aber subjektiv im Allgemeinwissen der Bevölkerung verhaftet bleiben.
Einige Beispiele:
- Nach dem Essen eine Stunde nicht ins Wasser gehen
- Mit leerem Magen nicht ins wasser gehen
- Bei schlechtem Licht lesen schadet den Augen
- Karotten sind gut für die Augen
- Bei Nasenbluten den Kopf in den Nacken heben
Einige dieser "Weisheiten" stammen z. B. aus den 1950/60ern.
Der Alpha-Mythos
Besonders interessant finde ich die wissenschaftlichen Studien die ungefähr 1950 an Wölfen durchgeführt wurden.
Bei der Beobachtung an den Wölfen wurde nämlich festgestellt, dass die Wölfe eine Hierarchie der Dominanz bildeten.
Der Begriff des Alpha-Wolfes wurde in einem Buch von L. David Mech geprägt. Als neue Studien durchgeführt wurden, die ihn widerlegten, hat er sich gegen den Begriff "Alpha" gewehrt und auf die neueren Studien verwiesen. Bis heute hört man überall vom Alpha-Wolf, aber nicht von der Korrektur.
Dabei gibt es neuere Studien, die auch auf Fehler in der damaligen Beobachtungen hinweisen, die auch der Autor der damaligen Studie heute benennt: Das Ergebnis der Studie aus den 1950ern lässt sich nämlich nur auf Wölfe in Gefangenschaft anwenden.
Ein menschliches Equivalent sind Gefangene im Knast. Die dortigen Strukturen basieren oft auf Dominanz.
Wolfsrudel sind meist familiäre Gruppen - das ist der aktuelle wissenschaftliche Konsens. Geführt wird das Rudel durch das Elternpaar. Blutige Kämpfe um die Herrschaft über das Rudel sind äußerst selten. Die männlichen Wölfe verlassen nach 2-3 Jahren das Rudel auf der Suche nach einem Weibchen - um ein eigenes Rudel zu gründen.
Von Alpha-Männern und -Frauen
Irgendwie wurden diese Mythen auch auf den Menschen bezogen. Es gibt Männer, die sich stolz Alpha nennen und auch Frauen nennen sich so und lassen sich so nennen. Es gibt misogyne Menschen, die sich um diese Begriffe scharen. Diverse Pick-Up Artists verwenden diese Terminologie. INCELs kategorisieren die gesellschaftlichen Strukturen um diese Begriffe herum.
Ich möchte gar keine Wertung in diese Begrifflichkeiten legen, auch wenn ich selbst nichts von diesem Begriff halte und die Verwendung verkehrt und unnötig halte. Dominanz, Stärke, Integrität, Führungsqualitäten usw sehe ich durch ganz andere Merkmale in Menschen. Mich würde aber interessieren wie Ihr das seht.
Meine Fragen an Euch:
- Verwendet Ihr den Begriff Alpha-Mann oder -Frau?
- Bezeichnet Ihr Euch selbst so? Warum?
- Was haltet Ihr von dieser Bezeichnung?
Interessantes Lesematerial
L. David Mech - "The Wolf: Ecology and Behavior of an Endangered Species", 1970
L. David Mech und Luigi Boitani - "Wolves: Behavior, Ecology, and Conservation", 2022
Oh bei Deinen Betrachtungen würde ich noch viel weiter zurückgehen, als auf Untersuchungen von 1970 zurückzugreiffen! Und zwar bis in die Steinzeit und in die Zeit der Völkerwanderungen. Hier ging es ums nackte Überleben und das Durchsetzen von Populationen, wenn man sich auf den Menschen bezieht. Da wurden richtige Anführer gebraucht. Anführer, die aber wohl oftmals so weise waren und einen "Rat" um sich hatten, um sich auszutauschen. Was in Naturvölkern lange so geblieben ist.
Spätere Zeiten haben dann Anführer anderer Art hervorgebracht: Kaiser / Pharaonen ect.. Hier war schon eher die Macht Hintergrund des Auftretens.
Noch später gab es dann Kirchenfürsten, Adelshäuser, Rittergeschlechter und aus diesen Gruppen unterstütze Wissenschaftler / Forscher / Weltentdecker, die sich ihre Leitfigurenposition auch mitunter als Sonne der Macht und sich selbst als Zentrum dieses "Sonnensystems" gesehen haben.
In der Neuzeit sollte jedem bekannt sein, welche Personen sich zum Alphatier gemacht hatten oder gerade eines sind. Auch was damit angerichtet wird, ist tagtäglich in den gängigen Nachrichtensendungen zu verfolgen.
Kommen wir zum wirtschaftlichen Kontext: In meiner beruflichen Laufbahn durfte ich kleine Betriebe kennenlernen, wo sich der / die Alpha durchaus auf seinen Rat gestützt hat. Auch habe ich Einblick in sehr große Unternehmen bekommen dürfen: Bei dem Einen haben sich in unterschiedlichen Abteilungen MöchtegerneAlphas hervorgetan, wo sich bei genauem Hinsehen sehr schnell die Spreu vom Weizen getrennt hat - da war Wissen macht und ohne Wissen gab es nur heiße Luft. Bei dem anderen Unternehmen gab es eine erarbeitete Hirarchie, die mit Menschen besetzt war (ist heute nicht mehr so), die durch ihr Wissen diese Hirarchie bestimmt haben, sicher aber nicht als Alphas aufgetreten sind. Und dann habe ich Einblicke in ein mittelständische Unternehmen, bei dem es einen Senioralpha gibt, der sich zwischenzeitlich schon seinen Juniorjunioralpha heranzieht ... ABER ... mit einem Netz aus Rat und Familie. Da gibt es Ziele, Werte und Firmenbedarfe - danach wird gehandelt.
Im privaten Kontext musste ich einmal mehr über einen Beitrag von
@********noxx schmunzeln, weil sie mit Ihrem Beitrag hier so prägnant den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Es gibt - gerade im BDSM Bereich - Menschen, die unangenehm laut auftreten. Raum für sich fordern. Aber nicht liefern. Okay, vielleicht noch heiße Luft, aber das war es dann. - Und dann gibt es aber auch Menschen, die sind leise, bescheiden und stützen sich auf Wissen = Lebenserfahrung. .... Meine Lebenserfahrung zeigt: Wenn man nicht im Strahlenkranz der Sonne eines Möchtegernealphas verglühen will, dann sollte man sehr genau hinschauen, abwarten, hinterfragen und vorsichtig einschätzen. Denn nicht jede Stammtischparole ist Lebensweisheit!
Nun, im Tierreich gibt es sicherlich Hirarchien, die schlichtweg dem Überleben dienen. Wenn man da genau hinschaut, dann sind die Positionen dort wohl aber auch erarbeitet, genetisch bedingt und finden mit einem weiteren Umfeld statt (weg von den Wölfen, hin zu den Bienen oder Erdmännchen, die sich eine Königin, die als Einzige Nachwuchs auf die Welt bringen kann, leisten können; auch bei den Elefanten spricht man von einer Leitkuh.... das Weibchen mit der meisten Lebenserfahrung).
Bis auf die Beispiele aus dem Tierreich habe ich mich absichtlich nicht weiter zum Geschlecht geäussert, denn ich habe echte Leitfiguren in jeder Geschlechtergattung kennengelernt.... genauso wie Möchtegerns und welche die daran zerbrochen sind. Letztere gibt es nämlich auch.