„[...] Es geht nicht darum, wie wir darüber denken, sondern es geht darum, wie der Einzelne damit fühlt. Es ist nämlich genau dann als Krankheit definiert, wenn die fragliche Person darunter leidet. [...]
Und das ist nicht meine Meinung, sondern die allgemeine Definition der Psychologie. Die Grenze wird bestimmt durch das Leid des "Patienten" (das Wort kommt übrigens von "Leidend"). [...]
Jein. Was Du hier sehr treffend beschreibst ist eine mögliche Definition von verschiedenen, allerdings nach meinem Wissensstand jüngst betrachtet weniger für die Krankheit an sich, als vielmehr die Therapiefähigkeit, welche in der Tat dann am besten gegeben ist, wenn größtmögliche Krankheitseinsicht (oft mit Leidempfinden verbunden) vorliegt.
Plakativ pauschalisiert: Erst mit einem Leidempfinden geht man zur/m ÄrztIn und erst mit dem Gang zurm ÄrztIn wird man PatientIn, jedoch gibt es auch Kranke, die nicht daran leiden, nicht zur/m ÄrztIn gehen, keine PatientInnen sind...
Beispiel aus der Psychologie/Psychiatrie sind so manche Schizophrenieerkrankten, Süchtigen (wo bspw Körperfunktionen bereits lange vor dem damit verbundenen Leidempfinden maßgeblich beeinträchtigt sein können, s. Leber), teilweise DemenzpatientInnen, aber auch Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, wo fehlende Krankheitseinsicht zuweilen gar nicht beobachtet wird und wo häufig erstmal nur Angehörige leiden.
Die WHO hat deshalb mehrfach versucht, ihre Definition von Krankheit anzupassen, unter anderem kam der gleichsam streitbare Begriff von Alltagseinschränkung auf, welcher sich aber nicht nur auf Arbeit&Co bezieht, sondern auch auf bspw Soziales.
In der Medizin geht man bei der Krankheitsdefinition und Diagnostik vielfach einen Mittelweg zwischen funktionalem und leidempfundenem Krankheitsstadium.
Gerichtliche Verordnungen schließen bei Zwangsmaßnahmen neben der Selbst- auch die Fremdgefährdung mit ein oder befragen zur Einschätzung einer durch manche Krankheiten gemilderten Schuldfähigkeit spezielle Gutachter mit jeweiligen Fachkompetenzen.
Speziell bei der Suchttherapie gibt es noch eine weitere -mE ebenfalls diskussionswürdige - Definition: Wenn man es nicht mehr kontrollieren kann... - hier liegt dann auch die soziologische Begrifflichkeit der Autonomie zugrunde.
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Unterm Strich scheinen mir solche Definitionen alle wenig absolut, sondern immer relativ zur Sichtweise der Behandlung betrachtet werden zu müssen.