Raven - Episode 3
Kapitel 4: There and back again
„Das sind die Zeichen meiner Ehrwürdigkeit und unendlichen Weisheit, die ich mit Stolz trage!“ Diesmal scheint er mich nicht aus-, sondern anzulachen. Ich habe offenbar den richtigen Ton getroffen. „Ich bin bereit, Deine Huldigung entgegenzunehmen,
Raflygg!“
Dougal verdreht die Augen. „Ich glaube, für den Moment hast Du Deinen legendären Charme hinreichend unter Beweis gestellt, Zastro“, sagt er kopfschüttelnd. „Lass uns heimfliegen, Julia. Ich habe für heute genug von der Bande.“
„Zu Dir oder zu mir?“ Gibt es eigentlich eine klischeebeladenere Frage?
„Bei ihm sieht es aus wie im Saustall“, wirft einer der jüngeren Raben hilfreich ein. „Überall leere Pizzakartons und Bierdosen…“
„Ach, halt den Schnabel, Unstad!“
Plötzlich wirkt Dougal tatsächlich ein bisschen dünnhäutig. Ob an der Beschreibung etwas dran ist? Hat er sich gehen lassen, sein Haus vernachlässigt? Cleo hat mir ja erzählt, dass es ihm nicht gut ging nach meiner Verwandlung. Sie hat sich Sorgen um ihn gemacht. Und meine Nachbarin mit der Luchs-Natur neigt eigentlich nicht zu melodramatischen Übertreibungen. Hat das schlechte Gewissen ihn tatsächlich ein Stück aus der Bahn geworfen? Ich gebe mir Mühe, keinen dieser Gedanken auch nur andeutungsweise in
Malstrun zu übersetzen.
„Na gut, dann los!“, bestimme ich stattdessen. „Mein Haus hat stabile Backsteinwände und Fensterläden, an denen sich gefiederte Spione die Schnäbel stumpf hacken dürften. Und es gibt eine Tür, die man abschließen kann.“
Nach ein paar Hüpfern lege ich einen einigermaßen annehmbaren Start hin.
„Ihr habt es gehört“, ruft Dougal seinen gefiederten Kumpanen zu, bevor er sich mühelos in die Luft schwingt. „See you later, Ihr Galgenvögel!“
Schweigend legen wir das kurze Stück bis zu meinem Haus zurück. Es ist keine unangenehme Stille. Doch die Leichtigkeit unserer ersten Flugminuten ist noch nicht wieder zurück. Zu viel spukt durch unsere Köpfe. Fragen. Rätsel. Ängste. Und noch mehr Fragen.
Ich betrachte die Kollektion der Unklarheiten eine Weile und ziehe dann eine der angenehmeren aus dem Hut: „Würdest Du das wirklich machen?“
Er weiß genau, was ich meine. Den verbalen Vibrator für meine Gedanken.
„Was glaubst Du wohl?“ Seine Antwort hängt in tausend schwarzglänzenden Facetten zwischen uns in der Luft. „Ist der Papst katholisch?“
Auch wenn ich mich einer derart öffentlichen Provokation im Moment nicht gewachsen fühle, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Eines Tages…
„Lass uns dieses Spiel mal im Auge behalten“, spiegelt er meine Empfindungen. „Im Moment ist mir auch nach ein bisschen mehr Privatsphäre. Wir müssen ja auch ausprobieren, wie es mit unserer Rückverwandlung klappt. Und dabei hätte ich ungern Zuschauer.“
Gutes Argument. Auch wenn wir erstmal vor einem näherliegenden Problem stehen. Unser Aufbruch von der Lichtung war zugegebenermaßen etwas überstürzt. Und erst jetzt fällt mir auf, dass ich dabei nicht alles bedacht habe. Unsere Klamotten zum Beispiel, die wir bei unserer Verwandlung so mühelos abgeschüttelt haben, liegen dort noch immer in zwei unordentlichen Haufen im Gras. Inklusive des Hausschlüssels in meiner Hosentasche.
„Warum schließt Du denn auch ab?“ Dougal wirkt nun doch leicht genervt.
„Darf ich Dich daran erinnern, dass gewisse Leute neulich unvermutet in meinem Schlafzimmer standen?“, gebe ich zurück. „Danach habe ich das für eine gute Idee gehalten.“
„Na gut. Wie auch immer. Dann kriechen wir also durch die Katzenklappe?“ Sein Sportsgeist ist offenbar erwacht.
„Sorry, aber da gibt’s keine. Allerdings… Ja, das könnte gehen: Am Giebel oben ist so eine kreuzförmige Öffnung im Gemäuer. Da könnten wir vielleicht durchpassen.“
„Na also! Wenn man fliegen kann, sollte das ja kein Problem sein.“
Tatsächlich erweist sich das Unterfangen als weniger schwierig, als ich es mir vorgestellt habe. Die Flügel und Krallenfüße gehorchen mir inzwischen schon deutlich besser als vorhin. Und so dauert es nicht lange, bis ich neben Dougal auf einem Balken sitze. Der große Dachboden dieses Hauses mit seinem alten, aber stabilen Gebälk hat mich schon immer fasziniert. Aber von hier oben wirkt der Raum nochmal ganz anders. Wie der Schauplatz einer alten Geschichte, über deren Ausgang das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
„Was nun?“, frage ich etwas unsicher. Gut, es ist meine Idee gewesen, die Lavaströme anzuzapfen. Die Macht der Ekstase zu nutzen, um unsere tierische Seite zu wecken. Offenbar haben wir tatsächlich eine Möglichkeit gefunden, unsere Verwandlung gezielt herbeizuführen. Wir haben uns sozusagen in ein Federkleid gevögelt. Ganz ohne Vollmond. Die Frage ist nur: Wie kommen wir wieder zurück?
„Tja“, macht Dougal. „Ich weiß auch nicht recht. Müssen wir jedes Mal Sex haben, wenn wir uns verwandeln wollen?“
„Klingt nicht sehr erotisch, oder? Mehr so nach Pflichtprogramm.“
„Och…“ Er schweigt vielsagend, und ich muss zugeben: Jetzt gerade bin ein einem neuen Versuch alles andere als abgeneigt. Und wenn wir erst mehr Erfahrung haben, können wir ja vielleicht auch gedanklich auf die Lavaströme zugreifen. Nicht nur in flagranti. Tatsächlich wäre ich diesen Schnabel jetzt wirklich gerne wieder los. Mir fehlt die Möglichkeit, sinnlich zu lächeln. Mit Lippen, die vor Erwartung schon ein wenig anschwellen…
... Fortsetzung folgt ...
© Kea Ritter, Mai 2024