.... dazu habe ich mal was geschrieben....
Die Liebe im Herbst des Lebens
„Einen wunderschönen guten Morgen Herr Mück!“ grüßte die junge Frau an der Pforte den betagten Herren, der wie gewohnt gegen 9.15h die Seniorenresidenz verließ und höflich vor ihr den Hut zog und ihr ein bezauberndes Lächeln schenkte.
Zu diesem Zeitpunkt war Herr Mück bereits seit dem Morgengruß aus dem Radio um 7 Uhr wach. Er hatte es sich in all den Jahren nicht abgewöhnt mit den Nachrichten und dem Wetterbericht den Tag zu starten. Gewissenhaft stand er gleich danach auf, betätigte den Schalter, der im Pförtnerraum signalisierte, dass er wohlauf war, nahm die Butter aus dem Kühlschrank, ging ins Bad und gönnte sich jeden zweiten Tag eine Nassrasur, kochte sich auf dem Rückweg in der kleinen Schrankküche einen Tee und kleidete sich , während das Getränk durchzog, an. Dann machte er sich zwei Toast mit selbstgemachter Marmelade, die ihm die Reinigungskraft im Austausch gegen ein gelesenen Buch zusteckte. Wie jeden Morgen setzte er sich nun an den kleinen Tisch am Fenster und genoss sein Frühstück mit dem Blick in den Park. Bevor er sein Geschirr feinsäuberlich spülte, sein Bett aufschüttelte und mit der Reinigung seiner Zähne die Morgentoilette abschloss.
Dem Wetter entsprechend kleidete er sich fertig ein, meist mit Mantel und immer mit Hut, nahm aus dem Nachttisch seine Geldbörse, ging zum Tisch und legte dort eine Kleinigkeit für die Reinigungsdame bereit. Danach verließ er seine kleine Erkerwohnung, schloss ordentlich ab und ging, mal hier und mal dort grüßend, seinen Weg hinunter zur Pforte.
Pünktlichst um 9.28h war er dann am anderen Ende des kleinen Parks angelangt, wo der Stadtbus hielt, für den er bereits abgezählt (immer mit zehn Cent Trinkgeld) das Fahrgeld bereithielt. Auch der Busfahrer grüßte ihn mit Namen und wurde aufs Freundlichste zurückgegrüsst.
Wie jeden Tag fuhr Herr Mück mit dem Bus zwei Haltestellen weiter zu dem kleinen Einkaufszentrum der Kleinstadt, stieg aus und ging zielstrebig auf den Supermarkt zu, wo er auch mit Namen begrüßt wurde. Hier nahm er sich nun das erste Mal am Morgen Zeit für einen kleinen Plausch. Fragte die eine Verkäuferin nach den Kindern, die andere nach dem Hund und den Lehrbuben nach den Ergebnissen der Zwischenprüfung. Im Gegenzug erhielt er Auskunft über die Sonderangebote der Woche oder anstehende Musikveranstaltungen vor Ort. Seinen Einkauf rundete stets ein Bund frischer Schnittblumen ab.
Nun führte sein morgendlicher Weg Herrn Mück hinaus auf die Straße und über die Ampelkreuzung hinüber zu dem mit einer alten efeubewachsenen Mauer eingegrenzten Friedhof des Ortes. Zielstrebig ging er bergan zur Reihe 72, wo er das dritte Grab aufsuchte, um die Blumen auszutauschen. Dazu nahm er den frischen Strauß aus dem Zelophanpapier, legte eine Blüte beiseite, um sie sich später ins Knopfloch des Mantels zu stecken, entnahm den alten Strauß und stellte ihn entweder links oder rechts auf das Nachbargrab, wo jeweils nur selten Besucher kamen und versorgte die zurückgebliebene Vase mit den frischen Blumen. Leise murmelnd unterhielt er sich so mit seiner schon viele Jahre zuvor verstorbenen Frau, die er zu Lebzeiten sehr geschätzt hatte.
Zeitgleich schob am anderen Ende des Friedhofs ein junger Mann, der den Weg des Bundesfreiwilligendienstes eingeschlagen hatte, langsam und gleichmäßig einen Rollstuhl in die parkähnliche Anlage. Ganz sanft, um die gebrechlich wirkende weibliche Gestalt darin nicht durch Schütteln und Stoßen zu beeinträchtigen. Immer gleich war seine Tour bis zu einer bestimmten Bank, neben die er den Rollstuhl schob und sich für eine Weile niedersetzte, um die Dame noch mit einer weichen Decke zuzudecken. Manchmal schob er ihr auch noch eine Strähne des schlohweißen Haares unter der Häkelmütze zurecht und redete leise und liebevoll auf sie ein.
Wenn der junge Mann dann Herrn Mück auf sie zukommen sah, grüßte er mit einem Kopfnicken und zog sich diskret auf eine zwei Plätze weiter stehende Bank zurück, um dort zu lesen oder sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Manchmal hielt er in Sichtweite einen kurzen Schwatz mit einem der Gärtner. So auch heute.
Sanft setzte Herr Mück sich auf die Bank und sprach leise auf die Frau im Rollstuhl ein. Erzählte ihr wie wunderschön der Morgen doch wäre und lächelte dabei selig. Sie war einmal – neben seiner Frau – seine große Liebe gewesen. Gemeinsam durchlebten sie Höhen und Tiefen. Betrauerten Verluste und durchkämpften Schicksalsschläge. Nach dem Tod ihrer jeweiligen Ehepartner war ihnen sogar eine gemeinsame Reise an die See vergönnt gewesen. Hand in Hand wie frischverliebte junge Leute saßen sie damals am Strand und konnten die glutrote Sonne untergehen sehen. Eigentlich wollten sie gemeinsam im Seniorenstift wohnen, doch da schlug das Schicksal unerbittlich zu und sie erkrankte so schwer, dass sie lange Wochen auf der Intensivstation verbringen musste. Dem einfühlsamen Pflegepersonal war es zu verdanken, dass sich die Beiden trotzdem jeden Tag sehen konnten. So wie auch jetzt. Nach etwa einer halben Stunde Beisammenseins kam der junge Mann langsam zurück und besah sich wie jeden Tag dieselbe Szenerie: Sanft strich der alte Herr der Dame über das Gesicht, nahm die Blüte von seinem Mantel, um sie in ihre im Schoss gefalteten Hände zu stecken und sie dann auf die Stirn zu küssen. An guten Tagen – wie heute – hob sie dann etwas den Kopf und lächelte für einen Moment, bevor sie wieder zurück in ihre Lethargie fiel.
Und er würde wiederkommen – solange ihn seine Füße und sein Herz tragen würden.