Etiketten sollte man immer misstrauen, egal, in welche Richtung sie weisen. Das gibt komplexen Situationen einen trügerischen Anschein von leicht zu verstehen. Forendiskussionen haben oft einen ganz bestimmten ungesunden Trend: Wenn man mitdiskutiert, wünscht man sich eine "Lösung", eine Antwort für das Problem, das am Anfang mitgeteilt wurde, Erklärung für das Chaos, das im Diskussionsverlauf entsteht. Mehr noch, man neigt dazu, eigene Erfahrungen in die Situation von Threadstartenden hineinzuprojizieren (und das passiert mir auch gern mal).
- Der Mann klingt so ähnlich wie der eigene Ex, der einem so wehgetan hat? Bestimmt handelt er auch an anderen Stellen so!
• Die Frau liest sich so ähnlich wie die eigene Ex, die einem so wehgetan hat? Bestimmt ist die Situation auch an anderen Stellen ähnlich!
Es gibt so eine Dynamik im menschlichen Leben, die einen danach verlangen lässt, andere Menschen vor dem zu beschützen, was man selbst früher einmal erlebt hat. So, als ob die eigene unverheilte Wunde ein bisschen weniger schmerzt, wenn man andere vor ähnlichen Dingen beschützen kann. In Forendiskussionen geht das besonders leicht. Und das kann hin und wieder durchaus auch mal in die richtige Richtung führen.
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Aber letztlich ist es so, dass die TS niemandem in irgendeiner Form diese "Auflösung" schuldet. Kein "es ist so" oder "es ist anders", kein "ich mache es jetzt so, wie es dein jüngeres Ich gebraucht hätte". Und noch viel weniger schuldet sie es uns, in einer offenbar psychisch aufgewühlten Situation und mit laut eigener Aussage "niedrigem Selbstwertgefühl" eine Moderation zu leisten, die unsere Wünsche befriedigt.
Ich habe beobachtet, dass in dieser Diskussion hier und da schlimme Erinnerungen aufgewühlt werden
(Narzist / Borderline / Gaslighting / Partnerschaften voller Lügen und Manipulation / Partnerschaften mit schlimmem Verhalten des weiblichen Parts / Partnerschaften mit schlimmem Verhalten des männlichen Parts). Und ja, es mag Parallelen geben zu Dingen, die man vielleicht selbst erlebt hat. Aber die Situation der TS ist immer noch mal ganz individuell und ganz persönlich ihre eigene Situation. Sie hat das Recht, dass ihr einziges Ziel ist, ihre eigene Situaion zu lösen und nicht, einen Thread zu moderieren und Fragen zu beantworten, die in eine ganz andere Richtung führen als das, was sie ursprünglich gewollt hatte.
Meiner Ansicht nach tut sie richtig daran, sich vor diesem geballten Ausmaß an Beispielen für extrem toxische Beziehungen zu schützen. Was auch immer bei ihr los ist oder nicht los ist, sie ist bereits in einer Situation, in der sie durch Dinge in ihrer Partnerschaft sehr belastet ist. In solchen Zeiten braucht man eine Umarmung einer Freundin (die vielleicht auch mal Klartext spricht, nachdem die Tränen geflossen sind), aber keine Moderationsverantwortung für die Beziehungsverletzungen von anderen und noch weniger aus allen Richtungen auf sie einprasselnden Fragen, die die eigenen Grenzen noch mehr verletzen.
Ich war, wie andere hier in der Diskussion, auch mal mit einem Narzissten zusammen. Habe damals auch wegen einer Kleinigkeit online um Rat gefragt, und wurde so dermaßen bombardiert mit klugen Ratschlägen, die zwar alle stimmten, in ihrer Summe (zusammen mit den "Der ist genau wie mein gestörter Ex"-Beiträgen) eine unglaubliche Überforderung in mir auslösten. Ich habe damals einfach nur dicht gemacht und war noch mehr darin bestätigt, meinen ach so armen Vergewaltiger gegen die böse Welt und ihre unfairen Vorwürfe zu verteidigen. Dieses Bombardement damals hat meine Situation also noch mal für einige Monate gefestigt, statt mir zu helfen, ganz langsam und schrittweise einen Weg zu finden.
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Also:
Ja, vermutlich gehen in dieser Beziehung einige Dinge schief. Es gibt verletzende und abwertende Aussagen, die auf einer sehr tiefen Ebene verletzen, nicht nur oberflächlich. Und das ist extrem scheiße. Das ist auf eine Weise Scheiße, dass ich zumindest nicht mit gutem Gewissen sagen könnte, mach dies, mach das, vielleicht wird es dann besser.
Mehr als das kann man aber einfach von außen nicht sagen. So schwer das auch ist. Und man wird damit leben müssen, dass es hier vermutlich keine Lösung im Threadverlauf geben wird, und auch keine Wortmeldungen mehr von der TS. Aber vermutlich wird sie trotzdem weitermitlesen, oder in ein paar Wochen wieder hineinschauen.
Deswegen kriegen wir es vielleicht ja trotzdem hin, dass der weitere Threadverlauf keine Frontenbildung wird, sondern vielleicht tatsächlich eher noch mal ein paar Gedanken dazu bringt, wie gute, respektvolle und achtsame Beziehungen funktionieren, wie man normalerweise gute Wege zu Verzeihen und Weitermachen findet, wie gute Beziehungsgespräche ablaufen etc.?
Das könnte nämlich tatsächlich ein wenig echte Hilfe bringen. Kleine Gedanken und kleine Beispiele dafür, wie es laufen kann. Mit der Beziehung. Mit dem Balancing. Mit der gegenseitigen Rücksichtnahme. Mit dem Raum für sich selbst, dem Umgehen mit Eifersucht, mit Lügen, mit Selbstunsicherheit. Mit dem Vertrauen.
Vielleicht wirklich weniger unter dem Aspekt, was sie "tun" soll, sondern mehr "Lernen durch Vorbild"?