Die folgende Geschichte begegnete mir erstmals in jungen Jahren, noch vor einer ersten Partnerschaft. Ich fasste sie aus gegebenen Anlass irgendwann für meine Stieftochter in eigene Worte, finde aber jeder - egal ob Mann oder Frau - kann daraus lernen:
Mein Schatz,
weißt du noch? Damals als wir uns kennen lernten?
Was mir an dir auf Anhieb gefiel, das hast du sicher noch gut in Erinnerung.
Was dir an mir gefiel hast du mir erst gestern wieder gesagt: Meine wilder Übermut, die langen Haare, das Motorrad, die Lederjacke…
Was war das schön damals: Lange Ritte auf dem Bike, dabei immer mal wieder kurze Abstecher ins unbeobachtete Grüne, Tanzen, der eine oder andere Zoff in der Disco, aber auch die Stillen so wunderschönen Stunden daheim.
Wir waren wie füreinander gemacht und so dauerte es nicht lange und es war klar dass wir zusammen ins Leben starten wollten.
Noch vor dem Ausbildungsende kam die Heirat, beide dann gute Abschlüsse und der ernsthafte Start in die Karriere.
Du sagtest: „Schatz, mit der Frisur bekommst du nie den Job den du willst. Schneid dir die Haare ab“.
Also tat ich es, bekam den Job und wir hatten plötzlich mehr Geld als wir damals ausgeben konnten. Und ich, ich hatte ja noch meinen Übermut, das Motorrad und im Privatleben meine geliebte Lederjacke.
Doch schnell kündigte sich unser erstes Kind an. Gewollt oder nicht, schnell waren wir uns einig, dass wir es wirklich haben wollen und ich denke für uns beide gilt, dass wir diese Entscheidung nie bereut haben.
Du sagtest: „Schatz, wir haben jetzt ein Kind, Verantwortung, und sind wir mal ehrlich. Motorradfahren ist schön aber gefährlich. Du weißt schon‚ Nase als einzige Knautschzone und so‘. Bitte melde die Kiste ab“.
Oh ja, du hattest schon irgendwie Recht. Also meldete ich mein Bike ab und wir kauften uns dafür einen Minivan. Nicht schlimm, denn ich hatte ja immer noch meinen Übermut und meine geliebte Lederjacke.
Jahre später, ich flachste grade mit ein paar wildfremden Leuten in der Einkaufszone, sagtest du: „ Ach Schatz, meinst du nicht du solltest langsam mal Erwachsen werden. Ich meine, das geht doch nicht. Du führst einen erfolgreichen Betrieb mit Dutzenden von Mitarbeitern und benimmst dich hier wie irgendwer. Was wenn dich jemand wiedererkennt, was wenn du dadurch Nachteile in der Fa. hast.
Nein, diesmal hattest du nicht Recht. Aber es kriselte schon damals ein wenig. Beruf und vier Kinder hinterlassen Spuren in jeder Beziehung. Also ließ ich dir zu Gefallen meinen Übermut nur noch raus wenn du nicht dabei warst. Außerdem hatte ich ja, auch wenn ich sie nur noch zu seltenen Anlässen tragen konnte, meine geliebte Lederjacke.
Und genau die suchte ich vor drei oder vier Jahren, als wir zu dem Grillfest bei Peter eingeladen waren verzweifelt. Bis du mir erklärtest: „ Schatz? Ach deine Lederjacke. Ich hab das alte speckige Ding in den Keller gehängt. Das kannst du doch bestenfalls noch zum Arbeiten anziehen, aber ganz sicher nicht wenn wir uns mit Freunden treffen.
Dummerweise traf ich damals die Entscheidung unsere Ehe nicht mit einem massiven Streit noch weiter zu belasten, aber seither lebte ich nur noch neben dir weil ich beschlossen hatte mich erst zu trennen wenn das letzte der Kinder aus dem Haus ist.
Doch glücklicherweise muss ich so lange gar nicht mehr warten. Gestern sagtest du mir: Ich finde es wirklich schade, aber es geht nicht mehr. In dir steckt nichts mehr von dem Mann, den ich einst kennen- und lieben lernte. Ich gehe, nein, ich muss gehen.
Nach einer durchwachten Nacht kann ich dir nur sagen: Ja, geh ruhig. Ich gehe auch. Und mein Weg beginnt damit mich wieder auf meine Persönlichkeit zu besinnen. Und der erste kleine Schritt wird mich in den Keller führen, denn da wartet eine geliebte alte speckige Lederjacke auf mich.