Also grundsätzlich verändert Online-Dating und die Möglichkeiten die sich daraus ergeben, uns alle bzw. den Teil der Gesellschaft, der dies nutzt. Daß dies keinerlei Auswirkungen hat, erscheint mir nahezu unmöglich.
Wie bereits angesprochen sind die Menschen durch das Internet heutzutage viel "vernetzter". Wo man vor ein paar Jahrzehnten noch tatsächlich in seinen Kreisen suchen und raus musste, kann man Partnersuche heutzutage vom Sofa aus angehen.
Dadurch stieg die Auswahl enorm. Das wiederum hat einige Nebeneffekte, die vielen Leuten leider nicht bewusst werden. Du hattest es bereits angesprochen, und zwar: Die Leute sind nicht mehr so zufrieden mit ihren Entscheidungen.
Das ist der klassische "Overchoice-Effekt" oder auch "Auswahlparadox" genannt. Als Gleichnis: Man geht in einen Supermarkt und hat Appetit auf eine Tütensuppe. Da sind 30 verschiedene Tütensuppen zur Auswahl. Man steht minutenlang davor, ist unentschlossen, hat die Qual der Wahl und pickt sich am Ende eine heraus. Die Wahrscheinlichkeit, daß man mit seiner Entscheidung hinterher, wenn man zuhause angekommen ist und die Suppe verspeist hat, unzufrieden ist, ist viel höher, als wenn da nur 3 Suppen zur Auswahl gewesen wären. Weil unterbewusst dieser Nagewurm arbeitet und "Was-wäre-wenn"-Fragen stellt und man ja weiß, daß da noch ganz viele andere Suppen gewesen wären. Und es ist nicht nur "viele andere Fische im Ozean", wo man mühselig auf einen Fang gehen müsste, sondern die Suppen waren greifbar, direkt vor der Nase.
Prinzipiell passiert genau das gleiche beim Online-Dating. Und meine Vermutung ist, daß dies generell das Beziehungsleben der Menschen stark beeinflusst hat und es dort, also bei Menschen, die Online-Dating betreiben, heutzutage dadurch auch verstärkt zu Schnelllebigkeit und Wegwerf-Attitüden kommt, weil man schnell unzufrieden ist.
Es werden beispielsweise teilweise wirklich die banalsten Dinge zu NoGos und Red Flags gemacht und es wird gnadenlos weggeworfen und ausgetauscht. Kurzlebiges, ONS, F+ und Situationships boomen und die Halbwertszeit und ich glaube auch die Bedeutung einer Beziehung ist stark zurückgegangen.
Die Menschen sind insgesamt häufig auch weniger bereit, Mühe zu investieren, das etwas funktioniert und an einer Beziehung zu arbeiten. Es ist viel einfacher, die Sache sofort zu beenden und sich etwas Neues zu suchen. Der nächste potentielle Partner scheint ja stets nur wenige Wischgesten entfernt.
Dating per se ist also einfacher geworden. Es war noch nie so leicht und es ging noch nie so schnell, jemanden kennenzulernen, wo auch durchaus (anfangs) alles zu stimmen scheint und dieser Kick da ist (der in der Regel aber schnell verfliegt, wenn man die Person dann "hatte"). Aber es ist - so kommt es mir zumindest vor - im gleichen Zug dadurch auch schwieriger geworden, wenn man eine feste, beständige Bindung sucht.
Mich würden an diesem Punkt auch Statistiken zu Beziehungsformen interessieren. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich habe das Gefühl, daß z.B. offene Beziehungen in diesen Strukturen gedeihen und wesentlich "zeitgemäßer" sind bzw. in das Schema passen, ganz nüchtern und wertungsfrei betrachtet. Und wenn ich raten müsste, würde ich behaupten, daß es zu meiner Zeit wesentlich weniger junge Leute gab, die in dieser schieren Masse in offenen Beziehungen lebten.
Bitte nicht falsch verstehen. Diese ganzen Phänomene gab es immer schon. Nur das Ausmaß erscheint mir ein anderes zu sein.
Was die jungen Männer anbelangt. Ich denke schon, daß sie es schwer haben. Männer haben es generell im Online-Dating schwer, nicht nur die jungen. Das erfordert schon viel Zeit und Mühe, wenn man nicht gerade zu den wenigen Prozent der attraktivsten Kerle gehört.
Es gab da mal vor einigen Jahren sehr interessante Statistiken zu, die von einer größeren Dating-Plattform veröffentlicht wurden (welche das war, ist mir gerade entfallen). Mir wurde da ganz anders, als ich die gesehen habe.