Ich versuche mich mal an einer Antwort. Vorneweg möchte ich darauf hinweisen, dass Dominanz ein Persönlichkeits-Merkmal auch im normalen Alltag ist. Wenn ihr einen Chef habt und dieser einen unordentlichen Schreibtisch hat und in Meetings dazu neigt Leute zu unterbrechen oder andere Dinge nebenbei zu machen, dann sind die Chancen hoch, dass dieser ein eher ausgeprägtes Dominanz-Merkmal hat (wer mehr wissen mag, kann sich die vier Farben Merkmale nach DISG ergoogeln). Dominanz ist also erstmal Persönlichkeitsmerkmal wie Stetigkeit oder Gewissenhaftigkeit, dass bei jedem unterschiedlich ausgeprägt ist, und weder gut noch schlecht ist. Es kann auch nicht verändert werden, aber man kann lernen damit umzugehen.
Was bedeutet es für mich, dominant zu sein?
Um nun zu Dominanz im sexuellen Bereich zu kommen, muss ich erstmal auch wieder eine Trennung vornehmen. Viele haben sofort Bilder von Menschen mit Peitsche im Latexanzug vor Augen. Das ist sicher auch nicht immer falsch, aber doch nur eine mögliche Facette von BDSM und nicht automatisch mit Dominanz gleich zu setzen.
Dominant zu sein bedeutet für mich also erstmal nur, den Wunsch und die Bereitschaft zu haben, die Dinge voranzutreiben, Grenzen zu setzen, Horizonte zu erweitern, Möglichkeiten auszuloten und Entscheidungen zu treffen. Und das Wichtigste: Dominanz bedeutet für mich, Verantwortung zu übernehmen! So wie es für meine Partnerin bedeutet, zu vertrauen und Verantwortung abzugeben. Wenn ich entscheide bin ich auch für das Ergebnis verantwortlich, also sollte ich tunlichst genau darauf achten, wie gut meine Entscheidungen für beide, also meine Partnerin und mich sind.
Dominanz auszuüben bedeutet somit, die "Macht" zu haben. Evtl. muss man sogar noch präziser sein und sagen, es bedeutet, die Macht übergeben zu bekommen. Denn erst die Partnerin, die mir vertraut und mir die Kontrolle überlässt, ermöglicht es mir, mein Verlangen nach Dominanz auszuleben.
Die Partnerin ist also ein ganz wesentliches Element. Es gibt Menschen, die es unheimlich erregt hilflos und ausgeliefert zu sein und die bereit sind die Kontrolle an jeden abzugeben, der bereit ist, sie zu nehmen. Da ist es leicht dominant zu sein. Aber ich denke, in den meisten Fällen ist die Bereitschaft zur Abgabe der Kontrolle weniger wahllos. Die meisten devot veranlagten Menschen suchen doch jemandem, der bereit ist die Macht zu nutzen aber nicht über Gebühr zu missbrauchen.
Was mir daran gefällt?
Das ist schwer in Worte zu fassen und in diesem Fall extrem subjektiv. Sicher ist die Macht und Kontrolle ein Faktor. Aber das ist für mich sind das Mittel um mein Ziel zu erreichen. Und mein Ziel (ist bei anderen dominanten Personen sicher ein anderes) ist das erzeugen und steigern von Lust und Verlangen. Das ausloten von tief liegenden Gelüsten, die meine Partnerin sich selbst evtl. nie zugestehen würde, die aber da sind und ihr Freude bereiten. Und ich kann als eine Art Katalysator fungieren. Als Beispiel, wenn sie eine exhibitionistische Ader hat, die aber unter einer Decke aus Moral und Anstand begraben ist, dann kann ich mit Anweisungen ihr die Entschuldigung geben, diese auszuleben ohne dass sie dafür die Verantwortung tragen muss.
Wenn wir Spiele spielen fühle ich mich manchmal wie ein Vampir. Ich trinke so zu sagen von ihrer Erregung und ihrer Lust, bis ich davon so betrunken bin, dass ich selbst kaum noch Kontrolle habe und mir nehme, wonach mir gerade der Sinn steht.
Aber auch im Alltag, der sich oft kaum von dem anderer Paare unterscheidet, kommt es zu Situationen in denen ich klar meine Wünsche zum Ausdruck bringe und meine Partnerin diesen oft nachkommt, weil für sie das Argument mich damit zu erfreuen ein zusätzlicher Grund ist, eben diesen Wünschen nachzukommen. Und ich schreibe bewusst
oft weil es eben durchaus auch ok ist, wenn die Partnerin mal nicht meinen Wünschen nachkommen will. Aber das kann natürlich dann wieder für das nächste Spiel als Grund für eine "Strafe" (im gegenseitigen Einvernehmen) herhalten.
Kurz: es ist so komplex, dass es schwer in Worte zu fassen ist.
Ob ich beides kann?
Eher nicht. Ich beneide (nicht mit Missgunst verwechseln) Menschen, die beides können, aber mir fällt es schwer, die Kontrolle abzugeben. Das gelingt mir nur in sehr wenigen Szenarien.
Wo ist die Grenze zwischen Dominanz und Gewalt?
Dominanz ist ein Persönlichkeitsmerkmal, dass die Bereitschaft zur Machtausübung und zur Herrschaft beinhaltet. Gewalt ist der tatsächliche oder angedrohte Gebrauch von physischer oder psychischer Kraft oder Macht um auf einen Menschen beeinflussend, verändernd oder schädigend einzuwirken.
Also gehen Dominanz und Gewalt Hand in Hand.
Ich glaube die Frage zielt aber mehr auf schädigende psychische oder physische Gewalt. Und da würde ich gerne auf meine vielen Vorredner verweisen. Der entscheidende Punkt ist hier das Einverständnis. Ein Beispiel: Wenn ich zum Arzt gehe, um mir eine Spritze geben zu lassen, so übt der Arzt oder seine Vertretung Gewalt gegen mich aus. Genau genommen ist das stechen mit der Nadel eine Körperverletzung - also klar Gewalt. Die Rechtswidrigkeit entfällt jedoch, wegen meiner Einwilligung.
Und genau darauf kommt es auch bei Gewalt in Beziehungen an. Wenn man ganz genau sein will, ist jede Äußerung schon eine Form von Gewalt, wenn sie einen anderen dazu bringen soll, etwas zu tun. Aber solange die zweite Person damit kein Problem hat, ist alles fein. Und wenn die Person kein Problem mit Peitschenstriemen auf dem Rücken hat, dann ist es zwar sicher Gewalt, aber nicht automatisch negativ. Erst wenn etwas für einen der Beteiligten eine Grenze überschreitet, wird es negativ und ist damit nicht mehr akzeptabel. Und da kommt eben wieder die Verantwortung ins Spiel. Denn wenn man Grenzen auslotet und austestet, dann besteht das Risiko der Überschreitung. Darum braucht es aus meiner Sicht sehr viel Vertrauen hier.
Und nein, Dominanz kann man nicht lernen. Man kann versuchen wie ein Zirkusdirektor eine Rolle zu spielen, aber man wird sich damit nicht wohl fühlen, wenn es nicht Teil der eigenen Persönlichkeit ist.