Können und wollen wir lernen, bessere Beziehungen zu führen?
Wie gut können wir Beziehungen führen? Lässt sich das erlernen? Müssen oder wollen wir hier überhaupt besser werden? Wie viele Menschen kennst du, die gut darin sind, Beziehungen zu führen? Wie viele kennst Du, die sich hier aktiv weiterbilden?Vor kurzem habe ich ein Interview der Gottman Doktoren gesehen, zwei miteinander verheiratete Experten die sich dem Thema Beziehungen widmen. Sie haben über 40 Bücher und über 200 Publikationen geschrieben. Viele Ratschläge, die sie im Interview gegeben haben, sind leicht umzusetzen, teilweise sogar recht banal und trotzdem können sie den großen Unterschied zwischen einer guten oder einer schlechten Beziehung ausmachen. Zum Beispiel: Wenn der Partner etwas sagt und man selbst gerade beschäftigt ist, wenigstens kurz darauf regieren mit einem "bin gleich für dich da" oder "bin beschäftigt, können wir das später besprechen?".
Gute Beziehungen führen zu können ist nicht jedem Menschen gegeben. Einige Menschen sind von Natur aus empathisch, es fällt ihnen sicherlich leichter, diese Kunst zu erlernen. Und die anderen? Wo und wie haben sie gelernt, Beziehungen zu führen? Learning by Doing oder besser gesagt: Learning by feedback - was auch mal so aussehen kann: "Du kannst mir ruhig mal zuhören, das hab ich dir schon tausend Mal gesagt!"
Lange Zeit haben wir Beziehungen geführt, weil wir es mussten, weil Mann und Frau einander brauchten oder gar verheiratet wurden. Wir hatten überhaupt keine anderen Wahl und mussten uns aufeinander einlassen. Wir waren abhängig voneinander.
Liebesbeziehungen sind für uns heute völlig natürlich, doch noch vor 100 Jahren (und auch davor) waren sie eher eine Seltenheit, eine Ausnahme.
Heute sind wir frei zu entscheiden, mit wem wir eine Beziehung eingehen möchten. Manchmal ist sogar die Auswahl schon viel zu groß, so überwältigend, dass wir gar nicht wissen, wen wir wählen sollen und doch lieber alleine bleiben.
Wenn wir dann den richtigen Partner finden, stellen wir schnell fest, dass ein Zusammenleben gar nicht immer so schön romantisch ist, so leicht, so unbeschwert wie wir es gerne hätten. Viele Menschen haben die Fähigkeit gar nicht erlernt, eine gute Beziehung zu führen. Wir lernen es nicht in der Schule, im Studium und selbst Kurse hierzu sind selten. Dabei ist Beziehung so wichtig und kann so erfüllend sein, wenn man weiß, wie es geht.
Das erste Mal habe ich mich mit dem Thema aus beruflichen Gründen beschäftigt. Da ging es um Geschäftsbeziehungen, um guten Vertrieb und gute Projektleitung. Schnell wurde mir klar, dass dieses Wissen auch auf private Beziehungen übertragbar ist. Gutes zuhören, Ich-Botschaften bei Konflikten, reden über gemeinsame Ziele und Werte, Vorstellungen und Erwartungen und vieles mehr. Es ist ein sehr großes Feld und es gibt vieles zu lernen im Umgang miteinander.
Für mich ist es heute völlig natürlich einen Menschen zu fragen, welche Ziele er verfolgt, was ihn bewegt, wie es ihm wirklich geht, was ihn gerade beschäftigt. Ich höre dann aufmerksam zu, stelle Rückfragen, fühle ggfs. mit, überlege, wie ich ihm am ehesten Helfen kann, wenn ich es kann und welche Chancen es für ein gemeinsames Wachstum oder gemeinsame Erfahrungen gibt. Ein gutes Gespräch ist für mich wie ein Tennisspiel, wo der Ball hin- und her gespielt wird. Ein abwechselnder Schlagabtausch wo man etwas sagte und auf die Reaktion des Gegenübers wartet und danach mein Gegenüber etwas sagt und auf meine Reaktion wartet.
Das alles ist für mich ganz normal und in Fleisch und Blut übergegangen und doch stelle ich fest:
1) Ich kann immer noch sehr viel lernen, wenn es darum geht, gute Beziehungen zu führen. Es ist ein riesen Thema und man kann sich lange damit beschäftigen. Auf einer Skala von 1-10 wobei 1 der Beginner ist und 10 der Profi liege ich wohl irgendwo bei 6-8.
2) Ein Großteil der Menschen haben nach meiner Erfahrung nicht einmal die Basics verinnerlicht, können nicht einmal die Grundlagen der Beziehungsführen. Es fällt sehr schwer, mit ihnen überhaupt eine Art von Beziehung einzugehen und zu gestalten. Einige sind egozentrisch, andere narzisstisch, manche unempathisch, andere können sich gar nicht ausdrücken oder hören nicht zu. Sie leben sehr in ihrer eigenen Welt.
Ich schätzen über 90% der Menschen haben nicht das notwendige Wissen und die Fähigkeiten, um eine gute Beziehung gestalten zu können. Ich wünsche mir, dass das Thema präsenter wird und wir uns mehr damit beschäftigen. Eine gute Beziehung kann sehr wertvoll und erfüllend sein, das Leben verlängern und glücklicher gestalten.
Wie sind deine Erfahrungen mit dem Thema? Lehne ich mich mit den 90% zu weit aus dem Fenster? Sind es weniger oder vielleicht eher mehr? Wie gut bist Du darin, Beziehungen zu führen? Hast du es gelernt, wenn ja wie oder wurde es dir in die Wiege gelegt?
P.S.: Ich habe im Text öfters den generischen Maskulin verwendet und meine damit natürlich Mann und Frau und auch non-binäre Wesen.