Mit oder ohne?
¨Möchten sie Pulver auf ihre Currywurst?¨ Ich hatte die Frage des Imbissverkäufers nicht verstanden und ich hatte auch nicht verstanden, warum auf dem Teller eine Bratwurst und ein Tütchen mit Tomatenketchup lag. Damals war ich kurz davor, diesen Mann zu fragen, wie er das Gericht bezeichnen würde, wenn ich nun auf ¨Pulver¨ verzichtet hätte. Wäre es dann eine Bratwurst mit Ketchup gewesen oder eine Currywurst ohne Curry? Ich hatte mir eine sinnlose Diskussion verkniffen und dafür den Entschluss gefasst, niemals mehr westlich von der Glienicker Brücke etwas zu bestellen, das als Currywurst angepriesen wird. Eine Entscheidung, die ich im Jahre 1994 unweit des Göttinger Bahnhofs traf.¨Musste jeseh`n haben. Musste jejessen haben. Die Curry von Curry 48 is sensationell. Die schmeckt dem Sing-Jong vom Jangtsekiang und sogar dem Little Joe von Arkansas." Die Radiowerbung im Retrosound trifft den Nagel auf den Kopf. Es ist das Jahr 2014 und die Curry ist in aller Munde. Besonders die von Curry 48, was von einer fast vergessenen numerischen Ortsbezeichnung innerhalb Berlins abgeleitet ist. Ich dagegen, und das kommt für einen ”Jebürtijen” einer Bildungslücke gleich, hatte bisher nicht das Vergnügen einer Kostprobe. Die Gelegenheit kam mit Besuch vom mittleren Oberrhein und da es keinen legitimen Reiseführer ohne Empfehlung einer Currywurst von Curry 48 gibt, sollte es dann so sein.
Ich könnte das Kapitel abkürzen. Dieses Erlebnis dauerte inklusive zwanzigminütigem Anstehen mit den Vereinten schweinefleischessenden Nationen -Look, this is the original German Currywurscht. It`s amazing! – vielleicht eine halbe Stunde und war damit erledigt. Abgehakt. Wie ich fand, eine Frechheit. Ich schämte mich meiner berlinerischen Abstammung. Das sollte das lohnenswerte Ziel eines jeden Touristen sein? Drei Tage lang war ein Geschmack von Falsch auf meiner Zunge. Wieviel Geld mussten die Schreiber von Reisebroschüren wohl dafür bekommen, dass sie dem unbedarften Reisenden aus Flagstaff, Arizona oder sonstwoher eine derart infame Empfehlung zukommen lassen? Es ist wohl so wie mit dem Potsdamer Platz, der ein obligater Besuchsprogrammpunkt ist. Warum eigentlich? Da gibt es Häuser. Zugegeben, es sind hohe Häuser, die schicke Namen haben. Und? Man kann da unter der Woche Zeugs kaufen und ins Kino gehen, eine Spielbank gibt es wohl auch, glaube ich zu wissen. Ich war da jetzt insgesamt viermal und fand kein Flair vor. Im Gegenteil suchte ich vergeblich nach Anhaltspunkten für den Drive, den dieser Platz vor seiner Zerstörung einmal hatte. Dort findet jedes Jahr das Bio-Hofladenfest statt und Dieter Moor berichtet über seine Erfahrungen als Landwirt auf dem Barnim und von Rinderscheiße. Ein echter Kracher! Aber es ist doch grausam, wenn man ein schönes Kulturprogramm für den Besuch aus Höxter plant und umdisponieren muss, weil ein ganztägiger Besuch an diesem Scheißplatz noch rein muss. Ich wüsste gar nicht, was ich da einen Tag lang treiben könnte! Wenigstens gibt es da keinen Currywurstimbiss, wenn ich mich recht entsinne. Ich wüsste nicht, worauf ich lieber verzichte. Diese Curry 48 jedenfalls käme niemals in meine TopTen.
Wenn es denn diese TopTen der Currywurstdirektanbieter überhaupt noch geben würde. Früher mal, da waren sie wie eine Orientierung anhand roter Punkte über ¨mein Stadtgebiet¨ verteilt. Am Parkplatz gegenüber dem S-Bahnhof Wittenau, neben Hertie am U-Bahnhof Turmstraße, am Forum in Steglitz, Wilmersdorfer Ecke Bismarck, jwd in Waidmannslust an der Freien Scholle, Cicerostraße am BVG-Betriebshof, auf der Mittelinsel an der Kreuzung See- Ecke Müllerstraße, da wo jetzt wieder eine Straßenbahn fährt und an einigen mehr oder weniger bekannten Orten. Sie sind weg oder aber in unfähige Hände verkauft, die meinten, der Imbisswagen an sich sei das Kapital, der Grund für den Erfolg. Wie falsch, wie grundlegend falsch! Es ist die Ware, die zählt; genauer gesagt, die Machart.
Ich stand vor einiger Zeit an einem B-Klasse-Imbiss an. Diese Kategorie garantiert solide Qualität und besonders wichtig, relative Frische der Ware. Finesse, die sich besonders an der Soße zeigt, fehlt allerdings, was ich von einigen Gelegenheiten zuvor wusste. Der junge Imbissverkäufer, Typ angehender Geisteswissenschaftler, war seit etwa drei Wochen im Fastfood-Business und musste vor mir noch ein spanisches Pärchen bedienen. Zuerst bestellte nur er etwas; sie zögerte noch. “Ein Currywurst bitte!” Die obligatorische Retourfrage kam binnen weniger Sekunden. “Mit oder ohne?” Dem Spanier war das anscheinend schon einmal passiert, aber er erinnerte sich nicht mehr genau, so wie er gerade am Grübeln war. “Bitte?” Die Erklärung war freundlich und prompt. “Na, mit Darm oder ohne?” Ja, sagte das Gesicht des Neuberliners, da war was und heute hatte er Mut. Er fragte nochmals nach, “Was ist Darm?” Auch hier zeigte sich, dass der junge Nachwuchsimbissverkäufer seinem Job gewachsen war. “Wurstpelle, Darm halt.” Jetzt erhellten sich die spanischen Gesichtszüge. “Ach so, Naturdarm?!” Das widerum ließ jede Professionalität aus dem Gesicht des Heißwurstanbieters verschwinden und ich sah, wie tiefgreifende Denkvorgänge eine Ader an seiner linken Schläfe hervortreten ließen. Darm? Naturdarm? Pflanzlich vielleicht? Damit er seinerseits Gelegenheit bekommen sollte, nachzurechnen wieviele Meter 1A-Uckermärkischer-Mastschweinedarm, dreifach gespült und gebrüht, er in den zehn zurückliegenden Imbisseinsätzen selbst zu sich genommen hatte, bei durchschnittlich sechs Currywürsten mit Darm pro Arbeitstag, übernahm ich das weitere Erklären. “Schweinedarm! Kunstdarm geht nicht.”
Ja, die mit Darm ist eine Brühwurst, was einer Gattung von Wurstprodukten gleichkommt, zu der u.a. die Bockwurst, die Krakauer und auch die Wiener gehören. Alle Geschichten zur Erfindung der Currywurst beziehen sich hauptsächlich auf die Dicke mit Darm. Die ohne Darm ist sowieso die Berliner Currywurst, da lohnt es nicht die Mühe, nach einem Ursprungsort zu suchen. Anders als beim Kassler Braten, der wohl seinen Entstehungsort in der Potsdamer Straße in Berlin-Schöneberg hatte. Es gibt also halbwissenschaftliche Abhandlungen zum Ursprung der Currywurst, wobei die abwegigste Theorie meine liebe hanseatische Freundin Ute vertritt, die meint, ein Pferdemetzger aus Hamburg-Rahlstedt hätte Ende der Vierziger Jahre die Currywurst erfunden und der Clou wäre die dazugereichte Soße aus angedicktem Rotebeetesaft gewesen. Da kann ich jedesmal nur darüber lachen. Rotebeetesaft, mir wird bei dem Gedanken schon übel. Ich halte an meinem Jugendwissen fest und da war die Geburtstätte eine Hähnchenbraterei in der Detmolder Straße. Eine geplatzte Bockwurst war einem Gast gerade recht und er verlangte Tomatensoße und Curry und Paprika dazu. Der Wirt übernahm diese Rezeptidee und geboren war die “Geschlitzte”. Anfangs noch gebrüht und später dann gebraten, bzw. frittiert. Und immer mit Worcestersauce!
Die Berliner Currywurst war ja einmal eine komplette Mahlzeit. Zugegeben, die Schrippe, die als Beilage dazu Brötchen genannt wird, weil es sich tatsächlich nicht um die herzhafte Berliner Schrippe, sondern um ein Milchbrötchen handelt, wurde immer schon zum vorläufigen Sattsein gebraucht. Nur heute und kürzlich erst schmerzhaft am Kudamm bestätigt worden, ist die einzelne Curry manchmal nicht mehr als ein Teil von Minimalfingerfood von der Größe eines Mars-Schokoriegels. Fingerfood, das mit dem Pieker aufgenommen wird. Zum City-West-Preis von 2,70, was für mich einem Schlag in die Gedärme gleichkommt, machte ich mich doch lange über die Wurst mit Blattgold in der Westerländer Fußgängerzone lustig, die wahrscheinlich nicht viel teurer war, dafür aber gesünder. Ich las mal, dass eingenommenes Blattgold vorbeugend gegen Gelenkerkrankungen wirkt.
Für mich gibt es derzeit nur eine Anlaufstelle. Ich lege auch mal eine halbe Stunde Fahrt hin, um meine No.1 in der Steglitzer Schloßstraße zu besuchen. Es ist die Brutzelbude, die seit über 40 Jahren den schnellen Imbiss vertreibt und trotzdem eine rein berlinerische Angelegenheit ist. „Mit oder ohne“ muss hier nicht gefragt werden, das haben die Kunden drauf. Darüber sollte man sich im Klaren sein, bevor man bestellt. Langes Überlegen erhöht die Wahrscheinlichkeit der unerfreulichen Kontaktaufnahme mit den drei Fliesenlegern hinter einem, die nicht für ihre polierte Ausdrucksweise bezahlt werden. Nach meiner Einschätzung beträgt hier der Apfelmußanteil an der Currysoße höchstens 10% und Gurkenwasser ist kaum herausschmeckbar. Zweimal 1,80 für zwei “mit” + 20 Cent für das Brötchen macht 3 Euro 80, das ist reell! Ist zwar auch nicht wie früher, was im Grunde selbst hier in der Geburtsstadt der Curry kaum einer noch weiß, denn es fehlt die tropfig auf die noch nackte, frittierte Wurst aufgetragene Worcestersauce. Aber es schmeckt ganz passabel.
Ich jedenfalls sitze seit einiger Zeit an einem längeren Artikel zur Entstehung der Curry-Boulette. Wie ich es einschätze, könnte ich damit groß raus kommen. Ute wird dann sicherlich behaupten, die Curry-Boulette sei eine Hamburger Erfindung und wäre vom Ursprung her eine Fisch-Frikadelle gewesen. Soll sie nur, dann fang ich an, die Geschichte des Fischbrötchens zu schreiben. Es war in Schöneberg ...
m.brody
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