Wow, soviele interessante Beiträge.
Pegasus_68
vielleicht liegt es auch daran... das es für mich schon schwierig ist bei einer person gefühle zu zulassen?
bisher vertraute ich immer auf meinen entscheidungen im leben....ich entscheide mich also für einen partner...das heißt für mich, das ich verantwortung übernehme für eine beziehung....mir fällt es schwer...für zwei beziehungen verantwortung übernehmen zu können und das im gleichen umfang.....wie geht das?
Pegasus (schön, daß der Zynismus verschwunden ist!), ich glaube, daß die Trennwand zwischen Deinem Kopf und Deinen Gefühlen sehr wohl ein Grund sein kann. Das ist nicht schlecht, bedeutet aber häufiger, daß man garnicht "merkt", was man empfindet - weil es so sorgsam verpackt ist. Polyamory erfordert aber, loszulassen, tief in sich hinein zu hören. Und alles zuzulassen, was da zum Vorschein kommen mag. Gerade auch die Gefühle (und Gedanken), die man beschämend findet, die nicht hell und strahlend, sondern manches Mal ganzschön schwach und ... erbärmlich sind. Da schließt sich der Kreis zu dem wieder, was Brian angesprochen hat: Selbstbestimmtheit und Fremdbestimmtheit.
Das gilt meines Erachtens eben auch emotional. Ob ich nur Gefühle xyz zulasse, weil ich gut aussehen/wirken will, meinem Bild von mir entsprechen, bloß keine Schwächen oder gesellschaftlich oder von Freunden nicht respektierten Seiten haben und zeigen möchte = fremdbestimmt bin. Oder ob ich sage "Leute, ich bin so und so, teilweise finde ich das Mist und habe da höhere Ansprüche an mich, aber ich nehme mich trotzdem so an, weil ... so bin ich halt. An mir arbeiten? Logisch. Mich dabei verbiegen oder verstecken - keine Chance. Nehmt mich so oder laßt es, aber das gehört alles mit zum Paket - und ich WEIß davon und kann offen darüber reden. Nicht entschuldigend, sondern mit Ruhe und Selbstachtung.".
Und deswegen zur Verantwortung: wir glauben, daß man für sich selbst verantwortlich ist und die Verantwortung für die Beziehung bedeutet, daß man ehrlich, wahrhaftig (!) und respektvoll miteinander umgeht. Das ist eine Menge ...
Man mag vielleicht manches Mal nicht gerne hören oder sehn, was der Gegenüber da vor einem entblättert, wenn er das AUCH ist (sein soll, muß) oder von uns denkt, aber diese Art von Umgang miteinander gibt die Sicherheit, sich eben auch auf diese Art enblößen zu können und trotzdem bleibt man zusammen, achtet sich oder findet gemeinsame Wege, wenn xyz für einen einfach nicht akzeptabel ist. Die Art der Verantwortung ist: egal was Du tust, sagst, entblößt, ich respektiere Dich und werde achtsam damit umgehen. Und wenn es irgendeinen gemeinsamen Weg gibt, egal wie exotisch oder "verrückt", dann finden wir ihn.
Verantwortung für jemand anderen zu übernehmen, ist bei monogam lebenden Menschen ausgesprochen "beliebt", aber kann schnell in solche (für uns absurde) Situationen umschlagen, daß man "zum Schutz der Beziehung" eigenmächtig entscheidet, fremdzugehen und nichts davon zu erzählen. Man betrügt den anderen zum Wohle der Beziehung ... ich kann gar nicht in Worte fassen, wie unglaublich kaputt ich diesen Gedankengang (für mich!) empfinde. Verantwortung für JEMANDEN zu übernehmen, heißt nämlich, daß man sich gewissermaßen ÜBER diese Person stellt und FÜR sie entscheiden kann, man weiß es besser und agiert entsprechend. Für Kinder kann man das machen, muß es manches Mal, aber für Partner - ohje. Wir verwechseln oft Liebe mit dem Sicherheitsbedürfnis, die Kontrolle über den Beziehungsverlauf zu haben. Und das nennen wir dann "Verantwortung für den anderen übernehmen". Als Poly funktioniert das nicht, die Dynamik ist zwangsläufig eine völlig andere, wenn drei Personen oder mehr um Partnerschaftsebenen verhandeln.
im grunde genommen leben viele menschen poly..ob nun sexuell oder emotional.., in diesen fall verlässt man nur ganz bewusst ein über jahrhunderte bewährtes beziehungsmodel....brauchen wir das wirklich?
Also erstens, wie schon völlig richtig erwähnt wurde, ist Monogamie keine natürlicherweise schon immer existierende Variante, sondern im menschlichen Miteinander durch die christliche Kirche entstanden. Zusammen mit dem Monotheismus (dem Glauben an EINEN Gott) der Glaube an EINEN Partner. Wobei witzigerweise auch im alten Testament die (christlichen) Männer noch ganz natürlich Vielehen hatten und Jesus im neuen Testament auch klar sagt, daß er diese Regelungen nicht abschaffen will oder als falsch ansieht ... Auch die christliche Kirche war ursprünglich nicht monogam, das hat sich (ebenso wie das Zölibat) erst allmählich entwickelt. Und war schon immer von Hierarchien abhängig (manche sind gleicher als andere, man braucht nur mal an die im Mittelalter noch verbreitete Tradition des "Rechts der ersten Nacht" zu denken. Mit Emotionen hatte das natürlich wenig zu tun, aber der Fokus auf Liebe als Grund für eine Beziehung ist eine "Luxusentwicklung" und erst seit den 40ger/50ger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden! Vorher war auch das zwar in Minne etc. hoch gehandelt, aber mit dem Alltag hatte Liebe = Beziehung nichts zu tun. Wir stehen hier also vor einer sehr neuen Entwicklung in Sachen Beziehungbegründung (egal ob monogam oder nicht), die Zeit braucht, um zu reifen und sich zu finden. Da hat sich niemand hingesetzt und gesagt "Wir machen jetzt mal was Neues, was könnten wir denn ... hmmm ...". Die Gesellschaft und der Alltag verändern sich und damit auch die Beziehungsstrukturen.
Sabdi
...neigt nicht das selbstbestimmte Ego auch dazu, sich etwas 'über' den anderen Flügelpartner zu setzen und sich auch damit Sicherheit zu verschaffen, in dem es eigene 'Vorzüge' etwas überbewertet und damit seinen Platz in der Partnerschaft sucht?
Guter Punkt! Ob da etwas "überbewertet" wird, möchte ich so anzweifeln, aber jeden Menschen machen individuelle Besonderheiten aus, die erklären, warum jemand nun genau mit DIESEM Menschen zusammen ist - und nicht mit allen anderen. Das Wissen darum schafft gefühlte Sicherheit, das denke ich auch. Hierarchie sehe ich deswegen aber noch nicht.
Ich habe aber auch bei uns erlebt, daß sich erkennbar unterschiedliche "wings" durchaus leicht und harmonisch miteinander arrangieren, ihren "Platz" oder ihre "Rolle" im Ganzen finden. Das muß aber nicht sein und auch zwei sehr ähnliche wings können sehr gut und entspannt miteinander ihren Beziehung finden - in erster Linie hängt das von dem individuellen Menschen ab und seinem Umgang mit Menschen und Einstellung zu poly, nicht von seinem "Eigenschaften-Set".
Brian
Man könnte sage, ich bin so selbstverliebt, dass ich einfach der absoluten Überzeugung bin, dass meine Frau mich liebt, egal was sie macht. Sie liebt mich wenn wir uns streiten, wenn sie Sex mit dem anderen hat und natürlich auch wenn alles glatt läuft im Leben.
Hehe.
Was nicht heißt, daß da zumindest bei uns manchmal nicht auch Zweifel entstehen können. Aber das genau macht der liebevolle Umgang miteinander aus: diese zu achten und ruhig und sicher auszuräumen. Es ist kaum mal "anstößig", wenn jemand mit einem anderen Menschen Sex hat, aber die Fokussierung bei "akuter" Verliebtheit zu erleben, die kann jeden noch so "selbstverliebten" Menschen aus dem Rhythmus bringen.
Antaghar
Es gibt in Poly-Beziehungen vielleicht sogar noch mehr und noch tiefer reichendere Probleme als in monogamen Partnerschaften. Nur wird in der Regel anders, offener, ehrlicher, aufrechter und konstruktiver damit umgegangen, man kann ihnen nicht so locker aus dem Weg gehen wie sonst.
Oh ja! Also wenn ich Ruhe haben wollen würde, dann würde ich monogam leben! Das ist ganz zweifellos. Und mein Mann ist schon länger freiwillig "mono", weil er sagt, er hat soviel Streß auf Arbeit gerade und ist glücklich mit mir, das wär nichts für ihn jetzt, dafür hätte er keine Kapazität. Ich bin auch "solo" seit einem halben Jahr und mir fehlt nichts, ich habe gerade viel viel Streß beruflich und meine Energie geht dafür drauf, da suche ich nicht aktiv. Eine bestehende "gesetzte" Polykonstellation, in der man sich eingerichtet hat und Konfliktlösungsstrategien erprobt sind, ist etwas anderes, die sind auch in Zeiten des Stresses mehr Stütze als Energieverlust. Aber frisch verliebt zu sein, über Enttäuschungsphase (eventuell) und all das hinüberzukommen ... woah. Das kostet Kraft!
taishar
Wie ist es bei denen, die schon einmal eine Poly-Konstellation gelebt haben und sich als poly empfinden, aber wieder Single sind: Lasst ihr euch nur noch mit Menschen ein, bei denen von vornherein klar ist, dass sie diese Einstellung teilen? Streng genommen beginnt jede Poly-Beziehung doch mit einer monogamen Beziehung oder seid ihr vielmehr über eine (sexuell) offene Beziehung darin eingestiegen? Lehnt ihr im Bewusstsein dessen, was ihr fühlt, jemanden ab, den ihr liebt, der aber streng nach dem herkömmlichen Modell leben will?
Das wäre mein nächster Punkt gewesen!
Ich date mittlerweile eigentlich nur noch "erfahrene" polys. Klar ist der Kreis potentieller Partner damit deutlich kleiner. Aber eben auch die Drama- und Leidensrisiken deutlich geringer. Es gibt eine ganze Menge Polys, angeblich geschätzt in Deutschland 10.000 (hatte mal jemand zitiert, keine Ahnung wo das herkommt). Wieviele davon Bi sind und damit eher "zwangsläufig" poly (oder kann man bi und monogam sein?), weiß ich nicht. Und seit der Begriff "Polyamory" bekannter wird, finden sich auch immer mehr Menschen, die sagen "Ach, da gibts ein Wort für und andere? Ich dachte immer, ich/wir wären da ganz alleine ... wir auch!". Wir "finden" uns übers Internet, hier in Joyclub gibt es eine ziemlich große Gruppe mittlerweile (400 Mitglieder oder so) und auf OKCupid.com sind auch eine ganze Menge Polys.
Übrigens Taishar: eine ganze Menge Polys haben Interesse an BDSM, das würde ich als dann als das kleinere Problem sehen.