ist man tatsächlich polyamourös veranlagt?
bis dato dachte ich immer, dass polyamoury (ungeplant) eintritt, wenn man einen oder mehrere menschen kennenlernt, lieben lernt und einverständlich gleichwertige beziehungen führt.
gibt es wirklich menschen, die sich nur dann glücklich und "vollständigt" fühlen, wenn sie mehrere beziehungen gleichzeitig führen?
und was passiert, wenn durch trennung nur eine beziehung übrig bleibt?
Ehrlich gesagt: ich denke ja. Zumindest für mich trifft das zu und war schon immer so, ab der Pubertät, als Beziehungen und romantische Liebe ein Thema wurde. Nur weil ich nichts davon wußte, für mich Monogamie das einzig bekannte (und ehrhafte) Konzept war, habe ich sehr gelitten und mich sogar von zwei Männern getrennt, die beide einverstanden waren, mich zu nehmen wie ich bin, meine Gefühle für sie beide akzeptierten. Nur für mich, meinen Vorstellungen, genügte das nicht, es kam mir vor wie ... Versagen.
ICH konnte mich nicht annehmen damals und wäre nie auf die Idee gekommen, Monogamie in Frage zu stellen. Das mußten andere für mich tun, die Autorin einer Kolumne, welche ich zufällig las, um genau zu sein.
Im Nachhinein frage ich mich, wie ich so blind sein konnte, alle Zeichen, schon immer, standen auf Polyamory. Und ehrlich gesagt sind die Polys, die ich bisher kennengelernt habe, tatsächlich meistens genauso "schon immer" poly gestrickt. Was nicht heißt, daß es nicht auch den "Zwischenzustand" gibt des (in Frieden) akzeptierenden Monos, der selbst mit einer Liebe ausgefüllt ist, aber seinen polyamoren Partnern in Ruhe sein kann, wer er ist. Das ist vergleichbar mit einem Heteros, der die Bisexualität seines Partners vielleicht selbst nicht empfindet, aber zulassen kann.
Polyamourös zu sein, heißt nicht, daß man nur glücklich und "vollständig" (danke für die Anführungszeichen, ich genüge mir auch alleine *zwinker) mit mehreren parallelen Beziehungen ist. Aber es ist tatsächlich so: wenn man erlebt hat, wie viel mehr offen gelebte Mehrfachbeziehungen sein können (ohne davon emotional überfordert zu sein, DAß ist für viele monos nämlich durchaus die große Klippe, selbst wenn sie zweimal lieben, mit Affäre + Ehefrau NICHT zu vergleichen), dann wird man sich meistens darauf freuen, wenn sich diese Situation wieder findet - und sie auch suchen.
Mit unglücklich sein hat das aber noch nichts zu tun.
Das ist ähnlich wie bei Singles, die sind selten alleine UNGLÜCKLICH aber sehnen sich trotzdem nach dem, was ihnen eine Beziehung bietet.
Zumindest für mich bedeutet es zwei Dinge:
1. ich empfinde tatsächlich "Compersion" (oder auch eingedeutscht "Mitfreude"), wenn ich Menschen, die ich romantisch liebe, glücklich mit anderen Menschen sehe, schmusen, küssen, egal. Es erwärmt mir das Herz, Zärtlichkeit zu sehen, egal wer mit wem und wieviele.
2. Egal ob ich will oder nicht (und lange wollte ich ganz eindeutig NICHT, weil ich dachte, daß wäre einfach falsch, so dürfe das nicht sein - gesellschaftliche Prägung halt), ich bin offen für mehr Menschen als einen Partner, emotional offen. Ich verliebe mich, ich liebe, ich leide, egal ob ich "darf" (weil ich poly leben darf, weil der andere single ist oder in offener Beziehung UND auch möchte) oder nicht. Zu sagen "verlieb dich gefälligst nicht in weitere" ist genauso, als ob jeder von Euch sich vornehmen würde, sich nie wieder zu verlieben - nichtmal in einen einzelnen Menschen. Könnte im Kloster funktionieren, man kann auch viele Menschen "ignorieren" und wegdrücken, wenn es funkt, aber nicht bei allen, bei denen es passiert.
Was ich mich immer frage... angenommen ich hätte eine polyamore Beziehung mit zwei Frauen. Beide Frauen haben grade eine schwere Zeit und brauchen mich... werden sie mich gerne teilen? Kann ich für beide da sein, ohne daß die Anwesenheit bei der einen, die andere unglücklich macht?
Dieser Einwand wurde von Antaghar schon ganz richtig beantwortet, liegt mir aber auch am Herzen, daher nochmal meine Antwort darauf: zumindest die von uns gelebte Form von Polyamory ist ähnlich der einen Großfamilie. Das heißt nicht, daß alle zusammenleben und sich lieben müssen, Gott bewahre. Aber es heißt, daß man das Ganze im Auge behält und sich untereinander (und nicht nur der in der Mitte) hilft, Rücksicht nimmt etc. Wenn es einem schlecht geht, dann sind also mindestens zwei da, die helfen können. Wenn es den beiden "Wings" schlecht geht - kann nicht nur der "Center" Beistand leisten, sondern auch die Wings untereinander Zuspruch und Trost suchen. Es gibt immer Wege, soetwas zu handhaben und alles hat auch Nachteile - genauso wie in einer klassischen Familie, wenn Ehepartner und z.B. Eltern gerade Probleme haben sollten.
Mal ganz davon abgesehen, daß man als Mann auch erstmal die Kraft haben muß, gleichzeitig zwei Menschen leiden zu sehen die man liebt und beiden mit voller eigener Präsenz zu helfen. Das bedeutet in dem Fall nämlich auch, beiden ein gutes Gefühl zu vermitteln und solche Zweifel auszuräumen... ich weiß nicht.
Sehr guter Einwand vor allem wenn es Beziehungskonflikte gibt. Genau deswegen ziehen sich monos häufig aus der "boaw, hat der/die es gut, zwei Partner" Situation zurück wieder ins monogame Leben: zwei Menschen zu lieben ist vergleichsweise "leicht" (geht auch mit Affären). Die Intensität dieses Alltagslebens kann aber gerade als unerfahrener poly ausgesprochen hoch sein und ist kaum damit zu vergleichen, was in monogamen Beziehung passiert - und zwar weil da die übliche Variante "wir kehren es mal stillschweigend unter den Teppich, wird schon" absolut nicht funktioniert. Es wird sozusagen immer auf offener Flamme gekocht und das heißt, daß man sehr viel die Hosen runterlassen muß, reflektieren, verhandeln etc. Und wenn man das (noch?) nicht gut beherrscht, leiden schnell mindestens zwei, eher alle drei. Was schwer erträglich sein kann und die ... Flucht nach hinten/zurück nicht selten passiert. Daher gilt unter Polys, daß so eine Lebensweise eigentlich nur funktioniert, wenn zumindest eine bestehende Partnerschaft stabil, glücklich und gesund ist, also Erfahrung in der Lösung von Konflikten hat.
Was ich noch klarstellen möchte: ich habe keinerlei Wertung zwischen "monos" und "polys", das sind für mich vollkommen gleichwertige Lebensweisen, sie sind nur sehr verschieden und sind für verschiedene Menschen unterschiedlich "stimmig". Was der z.B. eine als absolut ausreichendes "Aufwiegen" für die in poly-Konstellationen eher wahrscheinlichen offen ausgetragenen Beziehungskonflikte empfindet, kann ein anderer als vollkommen unakzeptablen Streß empfinden.