*
2.
Unsere Welt – die Perle im zeitlosen Meer
„Und welchen Gefahren begegnen wir am häufigsten in der Bucht?“ ’Kess sah erwartungsvoll in die großen Augen einer Gruppe Halbjähriger, die mit ihr zusammen im flachen Wasser standen und sie aufmerksam beobachteten.
„Grüngreifer“, antwortete ein Mädchen.
„Richtig, ’Ella. Was noch?“
„Beißmuscheln“, nickte ein Junge.
„Stimmt. Noch etwas?“
„Schwimmschnapper“, platzte Kemdra heraus.
„So ist es. Vor allem die letzteren sind sehr gefährlich, weil sie sehr schnell und wendig sind und ohne Vorwarnung angreifen.“
’Kess blickte über das Wasser in Richtung Riff.
Jeder, der jemals gelebt hatte – jeder, von dem sie jemals gehört hatten oder jemals hören würden –, lebte auf dieser Insel, arbeitete entweder im Dorf, oder jagte in den Wäldern oder fuhr mit dem Boot hinaus, um zu fischen.
Diese Insel war ein Geschenk ihres Himmelsboten und es lag an ihnen, sich nicht nur von ihr zu nähren, sondern sich hier auch eine Zukunft aufzubauen. Ein Dasein.
Früher war sie die schnellste Schwimmerin der Bucht gewesen. Ob das immer noch so war, wusste sie nicht. Es war ja nicht so, dass regelmäßig ein Wettschwimmen stattfand. Aber die anderen kamen immer gern zu ihr, wenn sie wollten, dass ihre Kinder möglichst schnell schwimmen lernten. Vor allem, wenn sie selbst mit der Jagd oder dem Fischen beschäftigt waren oder wie heute mit der Rodung und der Erweiterung der Dorfgrenzen. So hatte jeder und jede auf der Insel eine Aufgabe.
Überall aus dem Dickicht waren die jungen Männer zu hören, die mit langen Stöcken auf die wuchernden Pflanzen einschlugen und gleichzeitig auch alle Bestien beseitigten, die in den Bäumen lauerten oder das Unterholz unsicher machten.
„Also gut … dann noch einmal“, zeigte sie die Bewegungen vor und die Kinder schwammen emsig dem Ufer entlang. Alle schlugen sich tapfer.
Einige Männer sahen von der Baumzeile aus zu und grinsten breit. Wie sie da mit wippenden Brüsten im hüfthohen Wasser stand, gefiel ihnen.
„Bringst du mir auch Brustschwimmen bei?“, rief einer.
„Soweit ich mich entsinne, habe ich das bereits … Ausgiebig.“ Sie zwinkerte.
Der junge Kerl lachte und nickte.
Es war schon seltsam, gefühlt jeden zweiten Kerl im Dorf entjungfert zu haben. Noch seltsamer war es aber, wenn ein Mann sie so sinnlich ansah und sie sich nicht mehr daran erinnern konnte. Aber an manche Jungs konnte sie sich erinnern. Der hier war einer davon gewesen. Hmm … Der Kleine war groß geworden … und das in mehrerlei Hinsicht. Ihr Blick fiel auf die stattliche Wölbung seines Lendenschurzes und ein wohliger Schauer raste ihr Rückgrat hinab. Es hatte damals Spaß gemacht, ihm zu seinem ersten Mal zu verhelfen …
„So … Schluss für heute“, rief ’Kess und scheuchte die Kleinen aus dem warmen Nass.
„Ach … Jetzt schon?“, fragte ’Ella enttäuscht. „Muss das sein?“
’Kess lachte. Sie waren lange genug im Wasser gewesen. Nicht, dass sie sich noch einen Sonnenbrand holten.
„Morgen wieder“, vertröstete sie ’Ella und wartete, bis alle Kinder das Wasser verlassen hatten und geschlossen zurück zum Dorf marschierten.
Splitternackt ging ’Kess den Strand hinauf bis unter die Bäume, wo ihre Kleine auf einem weichen Kreischbeutlertuch lag und spielte. Eines der älteren Mädchen sah auf und lächelte.
„Danke Kel, dass du so lieb auf ’Mana aufgepasst hasst.“
„Mhm“, nickte Kelara eifrig und schmachtete verstohlen den Kerl an, der noch immer grinsend dastand. Sie hätte viel dafür gegeben, dieselbe Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen wie ’Kess. Mit einem Seufzen stand sie auf und folgte den anderen Kindern.
Kurz sah ’Kess ihr hinterher.
„Na, Emson? Sag nicht, du willst zu mir. Du willst doch sicher zu Kemy.“
„Ja“, gab er ohne Umschweife zu und dennoch musterte er sie mit den Augen eines Kerls, der gerade sehr, sehr hungrig war.
Männer!
Sie konnten immer und sie wollten auch immer.
Und sie …
Erhitzt blies sie die Luft aus. Wahrscheinlich war sie die Frau mit dem wenigsten Spaß auf der ganzen Insel. Ihr Schoß spielte bereits verrückt, wenn sie einen Mann nur ansah. „’Les Weiß“ hatte recht – Kems waren eindeutig triebhaft …
Und Emson … Er war süß. Mehr als das.
„Ich wollte dich wegen Kemy fragen“, murmelte er. „Und wegen ‚’Les Weiß‘ … Macht sie sich noch immer Hoffnungen?“
Sie schüttelte ihr Haar aus und sah zur Bucht hinaus. Welche Frau tat das nicht?!
„Sie alle machen sich Hoffnungen. Ohne Ausnahme.“ Das war schon immer so gewesen und würde immer so sein. Und Emson bemerkte auch, dass sie genauso eine derjenigen war. Warum es also abstreiten?
„Verstehe.“ Er nickte und seufzte.
„Das hat nichts mit dir zu tun. Er ist der Himmelsbote. Das bedeutet aber nicht, dass sie ohne Mann bleiben sollte. Sie braucht jemanden, der für sie sorgt. ’Tschow kann auch nicht immer für sie da sein.“
„Ja“, grinste Emson und ihr entging nicht, dass er ihr genau auf die blanken Brüste starrte. Ihre Nippel zogen sich unter seinem prüfenden Blick zusammen. „Was ist das eigentlich genau zwischen dir und Kemys Bruder?“
„Was soll sein?“ Hitze stieg ihr in die Wangen. „Er ist Kemanas Vater.“ Sie nickte zu ihrer Kleinen hinunter, die quietschvergnügt mit einem Stoffball spielte.
„Mhm“, nickte Emson und es war ihm anzusehen, was ihm durch den Kopf ging.
Warum sie zwar in ’Tschows Hütte lebte, sie aber kaum noch das Lager miteinander teilten, um ’Mana jede Menge Geschwister zu schenken.
Vielleicht lag es ja daran, dass sie insgeheim einen anderen Mann wollte, obwohl sie ’Tschow liebte. Aber eben nur so wie man seinen besten Freund und Spielkameraden liebte. Seltsam, „Alles Weiß“ sagte immer, sie wären gar nicht zu solchen Gefühlen fähig. Dass sie ohnehin durcheinanderschliefen. Ohne Reue oder Scham. Doch er hätte sich gewundert … Wie hieß es in „Brennende Leidenschaft“ so treffend? „Es war kompliziert“. Sie verzog den Mund und sah Kemana in die Augen. Sie war das wertvollste Geschenk der ganzen Welt und wahrscheinlich hatte sie bereits ganz viele Geschwister. Nur eben nicht von ihr. Sie gönnte es ’Tschow. Ja, mit einer weiteren Sache hatte „Alles Weiß“ sicherlich auch recht. Eifersucht war nicht wirklich ihr Ding. Sie alle auf der Insel waren eine Familie. Sie hatten nur sich. Und wenn „’Les Weiß“ nicht da war, um sie zu retten, dann konnten sie sich nur selbst retten.
’Kess ging in die Hocke, um ’Mana in den Arm zu nehmen und …
Es sprang heran!
Von unter einem Busch, der die Rodung vom letzten Mal überlebt hatte.
Was zum …
Sie warf sich schützend zwischen die Krabblerbestie und Kemana und erwartete jeden Moment, den schmerzhaften Biss der zehnbeinigen Kreatur zu spüren, doch …
Emson war schneller.
Sie blinzelte.
Das schreckliche Ungetüm wand sich sterbend an der Spitze seines Speers. Sauber aufgespießt. Nur ganz wenig Blut war geronnen, das seine Artgenossen hätte anlocken können.
„Verfluchte Biester!“, knurrte er.
Ihr Herz klopfte.
Atemlos schluckte sie.
„Hast du gesehen?? Es … Es ist Kemana direkt angesprungen.“
„Das kommt vor“, nickte er grimmig.
Ja, schon …
„Aber … Tagsüber?! Hier am Strand??“ ’Kess runzelte die Stirn. „Warum sind sie so aggressiv? Ich verstehe das nicht.“
„Vielleicht wegen der Rodung. Da drehen diese Biester immer völlig durch.“
Ja, vielleicht …
„Danke.“ Sie legte Kemana wieder auf die Decke ab, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Emson auf die Lippen.
Und er …
Er küsste sie zurück.
Himmel, roch er gut.
Ihr Schoß spielte urplötzlich verrückt und sie musste sich beherrschen, nicht ihre Möse an ihm zu reiben. Damals hatten sie so viel Spaß gehabt. Kurz sah sie sich um. Niemand zu sehen. Na dann …
Sie ließ sich auf die Knie sinken, schob seinen Lendenschurz zur Seite, umfasste ihn und küsste seinen Schwanz.