Ich habe erst mit 47 angefangen, die Lust auf breitete Bahnen zu lenken. Als Babyboomer fiel der AIDS-Schock in die eigene Teenagerzeit, wo es hieß, der erste Fick kann tödlich sein.
Zurückblickend ist es aber nicht anders wie mit den sonstigen Lebensrisiken. Keiner hatte einen Helm auf beim Fahrrad- oder Skifahren und es gab 20.000 Verkehrstote pro Jahr. Trotzdem ist man als 10-Jähriger in der Großstadt mit dem Rad zur Schule gefahren und nicht in der mütterlichen Trutzburg, SUV genannt, am liebsten vor die Klassenzimmertür gefahren worden.
Haben wir alles überlebt.
Was den Sex betrifft, gab es schon immer Tripper und Chlamydien, HPV und Gebärmutterhalskrebs, Syphilis und was weiß ich. Nur HIV war neu. Und nur davor hatte man Schiss, aber davor richtig. Noch mehr als vor einer Schwangerschaft. Und, Kondome, die gab es erst langsam "frei" zu kaufen. Am ehesten noch auf Männerklos am Automaten.
Heute sind wir vergleichsweise im Susi-Sorglos-Land. Wenn auf der kurvigen Landstraße 60 km/h beschildert ist, erwarten wir, dass wir damit gefahrlos um die Kurve kommen. Die Selbstverantwortung, z.B. nicht schneller zu fahren als uns die Straße auf Sicht erlaubt, wurde uns bei noch ganz anderen Dingen ebenfalls abgenommen. Der kalte Krieg der 80er ist durch, die Pershings nicht mehr in Eifel und Hunsrück stationiert und im täglichen Straßenbild findet man keine Besatzungssoldaten mehr. Und so glauben wir, alles sei sicher. Gerade die jungen Menschen, die oft so behütet aufwachsen, wie keine Generation zuvor.
Und dann kommen die Hormone und lassen uns sorglos sein. Wunderschön, aber vielleicht mit bösem Erwachen, denn es gibt die Dämonen der STIs.
Dagegen hilft nur Aufklärung! Sich kundig machen über Infektionsrisiken, was bedeutet: Infektionswege, Infektionswahrscheinlichkeiten, Verbreitung, Risikogruppen, Schutzmöglichkeiten, Symptome, Behandlungsmöglichkeiten, etc. Das kann man sich anlesen, aber ich fand ergänzend wesentlich hilfreicher die Gespräche mit der Ärztin, wo ich - mehr zur Bestätigung - meinen jährlichen HIV-Test machen ließ. Denn die ist immer auf der Höhe der Zeit, wie kaum ein niedergelassener Arzt. Damit konnte ich dann eine eigene Risikoabwägung betreiben und Strategien entwickeln.
So, wie wir es im Straßenverkehr auch tun. Ganz automatisch. Der eine geht auf der übersichtlichen Hauptstraße 100m zur Fußgängerampel und wartet auf Grün, der andere schaut rechts und links, ist schnell rüber geflitzt und fühlt sich genauso sicher, wenngleich jedes Buch sagen würde, die Ampel ist viel sicherer. Da gibt es kein richtig oder falsch, nur den persönlichen Weg.
Wer jedoch meint, in diesem Haifischbecken ohne die o.a. Hausaufgaben des Sich-Schlau-Machens genauso fundiert abwägen und entscheiden zu können, der irrt. Deshalb muss das trotzdem nicht jeder machen. Ich habe es gemacht und fühle mich gut mit meiner Strategie. Und die habe ich im Lauf der Jahre auch angepasst. Man lernt dazu und man reagiert, auf neue Erkenntnisse und aufgrund von Erfahrung.