manchmal denke ich darüber nach, was ich schon alles besaß oder zu besitzen glaubte, und wie es mir damit ging. mir waren äußerliche Marker unseres Selbstwerts wie Aussehen, Kraft und Sportlichkeit einmal auch sehr wichtig.
das war vor den Schmerzen. seit ich jahrelang täglich quälende Schmerzen hatte, bin ich eigentlich schon zufrieden, dass meine Tage schmerzfrei sind.
mir waren einmal mein Job, meine Abschlüsse und Zeugnisse sehr wichtig. daneben haben meine Jungs und das was ich Familie nannte eine große Rolle gespielt, aber seitdem sich alle meine Prioritäten im Leben und die Annahmen über mich und andere Personen als Illusion herausgestellt haben, ist es für mich schon okay, wenn ich mich nicht mehr komplett lost fühle und mir die Zufallsgemeinschaften, in denen ich mich zur Zeit befinde, ein Mindestmaß an Halt geben können.
all diese Dinge haben für mich gleichzeitig eine große Rolle gespielt und ich habe alles gegeben für das Gefühl, in jeder Hinsicht ganz gut im Rennen zu liegen. davon hätte ich auch nie ablassen können, wenn mich das Leben nicht dazu gezwungen hätte. ich weiß es genau, ich habe es versucht. aber wir handeln alle im Rahmen unserer emotionalen Möglichkeiten, denke ich mittlerweile, und ich kann meine Werte nicht einfach umändern, nur weil ich mich rational dagegen entscheide, die für sinnvoll zu halten.
darum weiß ich auch immer nicht, wie hilfreich solche Fäden sind. ich habe so oft versucht, mich zu ändern, und bin immer wieder daran gescheitert. erst der Leidensdruck schafft in mir ausreichende Motivation zum Handeln. allein die Hoffnung bleibt : vielleicht sind andere Menschen ja klüger als ich.
jedenfalls bin ich jetzt an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich so wenig von dem besitze, was ich bisher für konstitutiv für mein Leben gehalten habe, folglich sollte ich mich fühlen als wäre ich am Ende, gescheitert, ein Loser.
doch eigentlich fühle ich mich ganz wohl, befreit von bisherigen Illusionen und - zur Zeit - identisch mit mir selbst. ich habe keine Schmerzen, bin nicht mehr todtraurig wegen der Krankheit meiner Mutter, nicht mehr verletzt und enttäuscht weil die Menschen meiner Umgebung anders darauf reagiert haben als ich es erwartet habe.
was ich damit im Sinne dieses Fadens sagen will, ist : wir sind voller Illusionen, die unsere Wahrnehmung bestimmen. ob es positive Grundannahmen über andere sind oder negative Annahmen von uns selbst. wir haben Angst, diese Illusionen loszulassen, weil auch die eine eigene Realität haben und wir nicht wissen, was danach kommt. Angst ist dieser schlechte Ratgeber vor allem darum, weil sie sich selbst nährt und wir irgendwann das Gefühl haben, überhaupt nicht mehr aus unserer Komfortzone herauszukönnen, obwohl das Danach eigentlich 'nur' ein Schritt weiter ist.
rein rational werde ich diesen Themen fast nie gerecht. ich versuche, mit meinen Gefühlen zu navigieren. Schmerz und Leid sind das Norden auf meinem Kompass, immer dorthin gehen, wo der Schmerz ist - also wenn es sich richtig anfühlt, das ist blöd gesagt, aber besser lässt es sich nicht begründen.
ohne diese Herangehensweise hätte ich meinen Weg aus dem dunklen Tal nie gefunden oder würde ihn nie finden. und vielleicht finde ich ihn auch nicht, was ich jetzt habe ist ja nur eine Momentaufnahme, aber mehr werden wir alle nie wissen. um mich weiterhin zu motivieren, versuche ich mir zu sagen, dass du tun musst, was für dich möglich ist und dich so verhalten, wie ich es für richtig halte.
wenn mich das Leben trotzdem fickt, hatte ich vielleicht Pech oder war zu schwach, aber das ist ne höhere Gewalt, dafür trage ich dann keine Verantwortung mehr. also muss ich mir wenigstens nicht noch Selbstvorwürfe machen, falls ich irgendwann alles verlieren sollte.
und ich will noch mal in die Kerbe schlagen, die jemand anderes angeritzt hat : dieses "Ich will zuerst immer dafür sorgen, dass es anderen Menschen gut geht" ist in meinen Augen ein echtes Problem. du spürst, wie schmerzhaft der Versuch ist, es immer den Anderen recht zu machen. nicht nur weil 'sie' - lass es die Gesellschaft sein, deine Nächsten - selbst nicht so klar haben, was sie gern von dir hätten, selbst wenn die Aussagen von denen klar und deutlich sind.
nicht nur weil das Streben nach Perfektion für Menschen nicht gemacht ist, wenn wir nicht gleichzeitig begreifen, dass Perfektion ein Ideal ist und kein anzustrebender Ist-Zustand.
vielleicht lebst du über dein Vermögen, um es anderen recht zu machen und sagst dir immer, dass es keine Rolle spielt, wenn du Probleme mit der Situaation hast, weil du es ja für andere tust. aber es spielt eine Rolle. auch weil du den Menschen, für die du was tust, ganz und gar nicht hilfst, wenn du auf dem Weg dorthin dich selbst fertig machst und die dann für dich sorgen müssen.
vielleicht bist du nicht so gut, wie du es von dir selbst gerne hättest, ich weiß es nicht. ich weiß, dass ich nicht so gut bin, wie ich es mir wünschen würde. dass ich überzogene Idealvorstellungen von mir hatte und daraus haben sich unrealistische Anforderungen an mich selbst gespeist.
mein Leben ist jetzt einigermaßen okay, weil ich die Grenzen meiner Möglichkeiten ein bisschen besser kenne. als es darum ging, meine Mutter zu pflegen, haben meine Verwandten gesagt, "du wirst es bestimmt nicht tun" und das war korrekt, das wäre über meine Möglichkeiten gegangen, das spüre ich. aber sie werden es auch nicht tun, habe ich gedacht, aber sie haben es versucht, dabei ist vieles Zwischenmenschliche zerstört worden und sie sind dann auch noch daran gescheitert. das heißt nicht, dass wir nicht alles tun sollen, um uns selbst zu übertreffen und das beste aus uns herauszuholen. das soll nur heißen, dass wir uns nicht mit unseren Idealvorstellungen vom Menschen verwechseln sollten. leicht gesagt, ich weiß.
es ist egal, was wir alles haben und glauben zu sein in dieser Welt. wenn wir nicht im Einklang mit uns selbst sind oder wenigstens spüren dass wir uns zu einem Punkt bewegen, an dem das möglich sein könnte, werden wir nicht gut leben können.
und wir sind dann nicht nur unzufrieden oder unglücklich mit dem Ist-Zustand, sondern bilden uns auch noch ein, dass wir maßlos sind oder vollkommen wohlstandsverwahrlost, weil wir so viel haben und trotzdem nicht zufrieden sind. und das halte ich für eine echt gefährliche Kombi, das reißt uns immer wieder rein. und die Rettung vor diesen Gefühlen wird nicht aus dem Außen kommen.
und das hat wirklich mit allem zu tun, vor der Wichtigkeit, sich selbst so zu akzeptieren wie man ist, steht die Notwendigkeit, sich erst mal so zu sehen, wie man ist. auch wenn es uns nicht gefällt, auch wenn wir enttäuscht von uns sind, auch wenn es schmerzt.
die Alternative ist, irgendwie weiterwurschteln und davon ausgehen können, dass das quälende Gefühl vom Missverhältnis zwischen Realität und Wirklichkeit immer größer wird, bis das irgendwann ein Abgrund ist, der dich zu verschlingen droht, und dann können dir auch die Menschen um dich herum keinen Halt mehr geben, weil sie dich ohnehin nicht kennen, sie können nur dem Simulacrum Halt geben, das du von dir erschaffst. denen ist kein Vorwurf zu machen : sie können dich nicht kennen, wenn du dich nicht selbst kennst.
dieses sich selbst akzeptieren ist eigentlich nichts weniger als die Frage nach dem richtigen Leben.