Selbstliebe ist so ein großes Wort, das ich gar nicht richtig zu fassen bekomme. im Kontext von Akzeptanz bedeutet es für mich : man soll sich selbst so wahrnehmen, wie man eben ist und damit okay sein. das klingt für mich richtig und auch nötig um einigermaßen zufrieden zu leben.
aber nein, mit etwas okay sein reicht nicht, wenn es um Liebe geht. man soll sich lieben, also für die eigenen Äußerlichkeiten ein intensives Gefühl emotionaler Verbundenheit empfinden? ich weiß gar nicht, ob das in der Form überhaupt möglich ist. ich wüsste ehrlich gesagt nicht, warum ich jeden Teil meines Körpers lieben sollte. wofür, warum eigentlich? hat der das verdient, hat er es nötig? ich glaube nicht. jedenfalls ist es nicht nötig, um gut zu leben.
du schreibst "sich selbst lieben und endlich akzeptieren" - also mir vergeht sofort die Lust zur Liebe, wenn ich da noch dieses ergänzende "endlich" lese. das mag jetzt kleinlich wirken, es ist ja nur ein Wort, aber es scheint von Herzen zu kommen. du setzt dich unter Druck. die Liebe mag so was nicht.
ich bin zwar kein Fachmann für diese Themen, gehe aber stark davon aus, dass mit dieser allgegenwärtigen Selbstliebe auf dem Lebensberatungsmarkt eher die Liebe zur eigenen Persönlichkeit gemeint ist, zum Charakter, zum inneren Kern deines Wesens, für den du im Unterschied zu deinem Äußeren tatsächlich auch was kannst, um den wir uns mit ganz vielen kleinen Entscheidungen verdient machen, ob wir versuchen, ein besserer Mensch als gestern zu werden, ein besserer Mensch als die eigenen Eltern, ob wir erfolgreich darin sind, elterlichen Prägungen und Erziehung zu entkommen oder unseres Bestes geben, wenigstens kein schlimmerer Choleriker und Tunichtgut als der Vater zu sein.
falls damit wirklich und explizit Äußerlichkeiten gemeint sein sollten und das zweifelsfrei feststeht : das ließe sich auch im Geiste meines Kommentars begründen, wenn es drauf ankommen sollte.
sich selbst zu kennen und zu lieben, ergibt für mich nur in Bezug auf unser Selbst wirklich Sinn. wer sich selbst liebt, könnte auch die relativierende Erfahrung machen, dass die Äußerlichkeiten zweitrangig sind.
in mehrerer Hinsicht : es gibt gar nicht so wenige Menschen, die empfinden Menschen als schön, deren Persönlichkeit und Ausstrahlung sie schön finden. ich gehöre dazu. also in mir sind auch rein optische Schönheitsideale und Attraktivitätsmerkmale abgespeichert. das ist wohl normal.
aber sie spielen keine Rolle, wenn mich jemand aufgrund ihres Wesens umhaut, mitnimmt, begeistert. und sie spielen auch keine Rolle, wenn ich jemanden treffen, die genau meiner Idealvorstellung entspricht, aber mich dann null bewegt, weil im Gespräch keine Funken sprühen.
mir wurde gelegentlich mal rückgemeldet, dass ich ein ganz ansehnlicher Kerl sein soll. ist okay für mich, vielleicht sogar schön, keine Ahnung, nicht weiter wichtig, war nie spielentscheidend, soweit ich weiß. ich kann dafür ohnehin nichts, so was wird mitgegeben. weil ich mich so wenig für Menschen interessiere, die sich allein aufgrund von Äußerlichkeiten für Andere begeistern können, ziehe ich auch eher Menschen an, denen der Mensch als ganzes am Herzen liegt, was eben diese Äußerlichkeiten zur zweitrangigen Angelegenheit machen.
du erinnerst mich an eine Freundin von mir. eine sehr hübsche und sympathische Frau, der vom eigenen Streben nach Perfektion immer wieder das Leben zerschossen wird. bei ihr war es in anderen Situationen augenfälliger, sie litt vor allem darunter, dass sie nach einer Ausbildung mit einem typisch deutschen Lehrmeister keine Aufgabe gut genug erledigen konnte. also in der eigenen Perspektive. sie hat diese zersetzenden Perfektionsansprüche so oft gehört, dass sie die Stimme und Sichtweise internalisierte. dazu gehört zum Beispiel, nie etwas zu loben. sondern immer nur zu sagen, wenn irgendwas besser gemacht werden kann. dazu gehört aber auch, immer etwas zu finden, was noch besser gemacht werden soll. er hat das damit begründet, dass es ihr helfen soll, das beste aus sich herauszuholen. so könnte deine innere Heidi Klum auch argumentieren : du hast jetzt die eine OP gemacht, aber die Oberschenkel, da musste ran, Mädel, es geht doch um dich, das solltest du dir wert sein.
egal wie gut sie was gemacht hat, egal wie viel besser als ich sie was machte, immer war da diese Stimme in ihr, die behauptete, da hast du nicht ordentlich gearbeitet, das musst du besser hinkriegen, dort nacharbeiten. wenn sich diese anscheinend ausschließlich negativ kommentierende Stimme den eigenen Körper als Objekt der Optimierung aussucht, stelle ich mir das besonders anstrengend vor, weil wir dem ja nie entkommen. wir sehen ihn andauernd, benutzen ihn. bewerten ihn und werden bewertet. diese Bewertungen sind echt Gift für die Seele.
die Ansprüche deiner kritischen Instanz sind anscheinend endlos wie der Wahnsinn des Kapitalismus, auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum zu benötigen. was du von deinen Körperwahrnehmungen schreibst, klingt für mich sehr nach einer kapitalistischen Logik, die deine Vorstellungswelt unbemerkt kolonisiert hat.
ich weiß nicht, woher diese Ansprüche stammen, diese endlose Kritik. kaum ist das eine Thema geklärt, kommt das nächste. und dann stellt sich heraus, dass das eine Thema auch nicht geklärt war. kann mir gut vorstellen, dass du selbst nicht weißt, woher diese Ansprüche und Wertmaßstäbe kommen. weißt du es? es spielt keine Rolle. sie sind jedenfalls überall um uns herum, in den hämischen Bemerkungen von Heidi Klum, abschätzigen Blicken oder werden einfach übertragen aus einem fatalen Streben nach allgemeiner Perfektion im Leben auf eine konkrete Landschaft, die zutiefst unperfekt ist - den menschlichen Körper. weil diese unrealistischen Ansprüche überall sind, spielt es keine Rolle, wo du sie her hast. hättest du sie nicht von der einen Plattform oder diesen Menschen bekommen, dann eben von anderen. das können wir nicht beeinflussen. was wir beeinflussen können, ist, ob wir diese Ansprüche und Perspektiven übernehmen wollen. und was wir tun können, um uns davon abzugrenzen, wenn wir merken, das tut uns nicht gut. diese Stimme ist kein Freund, sie will uns nicht verbessern, um uns zu helfen. sie will uns verbessern, weil das ihr ewiges Projekt ist : alle möglichen Phänomene ad ultimo & ins Unendliche optimieren.
die Forderung danach, den eigenen Körper mit allen Makeln oder vermeintlichen Makeln ausgerechnet noch zu lieben, erscheint mir reichlich viel verlangt. vor allem wenn man es explizit fordern muss. wie genau soll das dann im Konkreten auch geschehen? machst du ein imaginäres Foto und beschließt, den Ist-Zustand des Körpers nach allen nötigen OPs zu lieben. und darf der sich dann verändern? und wenn er sich verändert, muss man den dann alle paar Monate erneut in strengen Augenschein nehmen und entscheiden, ob der sich im Rahmen menschlichen Zellverfalls auf akzeptable Weise selbst zerstört oder ist er etwas zu eifrig und schnell dabei und zeigt schon nach sechs Monaten Zelltoderscheinungen, die eigentlich erst für zwölf Monate später terminiert sind? und was tut man dann. Liebesentzug, ein strenges Gespräch, eine letzte Warnung. ich will das Thema nicht lächerlich machen, sondern zeigen, warum der. Begriff und das Konuept in dem Zusammenhang für mich nicht nur keinen Sinn ergeben, sondern augenscheinlich gefährlich sind.
ich glaube nicht, dass das so geht. ich glaube - wie geschrieben - auch nicht, dass man sein Äußeres lieben muss. ich bin okay mit meinem Äußeren, es spielt für mich aber auch nicht die allergrößte Rolle. ich freue mich über positive Rückmeldungen, aber auch nicht übermäßig. es gibt andere Bereiche, die mir wichtiger sind. letztens sagte jemand, die mich toll fand, dass sie mein Gesicht an Edward diesen Vampir erinnert. so was kann ich zwar als Lob wahrnehmen, als das es höchstwahrscheinlich gemeint war. eigentlich ist es mir aber fast egal.
als Freunde mir nach einem Volleyballturnier vor paar Monaten sagten, sie wären überrascht gewesen, wie gut ich trotz meines andauernden Nörgelns im Spiel war, hat mich das ehrlich gefreut. weil ich mich voll reingehänt habe, weil es dabei um Beweglichkeit und Reaktionsvermögen ging, was beides Dinge sind, die mir Spaß machen und für die ich was tue.
manchmal habe ich das Gefühl, dass es tatsächlich die Logiken des Kapitalismus sind, die unser Denken und unsere Wahrnehmung auf gefährliche Weise beeinflussen. es heißt nicht umsonst Schönheitswahn. will dir hier keinen Wahn unterstellen, allein deine Art zu schreiben vermitteln mir schon den Eindruck von Leiden an der Situation. nicht nur die behaupteten Makel, sondern auch dieses Mindset, das sich sofort aufs Neue eine Körperstelle sucht, die nicht perfekt ist und optimiert werden müsse.
Du bist eine Frau, deren Gesicht und Körper mein innerer Richter als schön oder gutaussehend erkennt. So was hängt für mich dann auch nicht an einem Fettring oder ob Brüste einen Zentimeter höher oder tiefer angesiedelt sind. so was kann für mich gar nicht an so Details hängen.
man sagt ja, dass man sich für sich selbst schön finden soll, nicht für andere. wenn es aber so ist, dass man sich selbst ständig als optimierungsbedürftig erlebt, wie ist es dann? ändern positive Rückmeldungen anderer Menschen zu deinem Körper, deinen Baustellen überhaupt was an der Selbstwahrnehmung? weißt du, für wen du dich schöner machen willst, wenn da diese innere Stimme wieder mal Änderungen einfordert?
du träumtest nicht von einem Urlaub, einer bestimmten Anstellung, einem besonderen Projekt, sondern ausgerechnet von einer Schönheits-OP.
der Kapitalismus ist unglaublich raffiniert darin, seine maßlosen Forderungen auf alles Denkbare zu übertragen und auch die absurdesten Ansprüche mit so viel emotionalem Druck und auch Belohnungen zu füllen, dass die Menschen irgendwann einfach nachgeben. die Erfüllung seiner unrealistische Ansprüche als alternativlos zu vermitteln. was brauchen wir? unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten. was braucht der Mensch vor allen Dingen? nicht Liebe, Gemeinschaft und Zuneigung, sondern ausgerechnet äußerliche Attraktivität und ewige Jugendlichkeit, zwei Aspekte, mit denen der Mensch als seit der Geburt sterbendes Tier eher schlecht dienen kann.
und hast du mal zwei von hundert Menschen mit guten Genen, richtiger Lebensführung, zeitgemäße Selbstpräsentation und genügend Geld, um sich die äußeren Insignien dieser Statussymbole leisten zu können, stehen die Chancen ganz gut, dass sie erst in den Medien auftauchen, weil sie zu Stellvertretern unserer Sehnsüchte werden und fortan zum Vorrat menschlicher Leuchtturmbeispielen gehören. die unseren Traum leben. später dann folgt oft eine mediale Zweitverwertung, weil sie mit Depression oder Sucht zu tun bekommen, weil diese Menschen von diese Äußerlichkeiten eben auch nicht gestützt werden können, wenn sie nicht gleichzeitig Liebe, Gemeinschaft, sinnstiftendes Handeln etc erfahren / entfalten können.
ich tippe auf den Geist des Kapitalismus und diese mediale Scheinwelt als Hauptverursacher von diesen problematischen Selbstbildern.
wir sollen unseren Körper endlich lieben. lieben können wir aber nur etwas, das uns sehr viel bedeutet. und damit der Körper diese Liebe verdient, muss er den nachretuschierten Idealkörpern von Models und Celebrities entsprechen. damit der Körper diesen Fantasiebildern entsprechen kann, muss er halt operiert werden. nur entspricht er nach einer OP sowieso nicht diesen Idealbildern.
nicht weil er nicht schön wäre, sondern weil es das Wesen von Idealbildern ist, dass es keine Entsprechung im wahren Leben dazu gibt.
vielleicht könntest du dir mal überlegen, woher diese Idealvorstellungen eigentlich stammen, die dir anscheinend schon länger zusetzen. und von denen du langsam zu realisieren scheinst, dass es egal ist, was du tust. dass selbst so aufwändige Aktionen wie eine OP es dir nicht ermöglichen, mit diesen inneren Bildern in Einklang zu kommen. vielleicht ist es nicht dein Körper, der ständig aufs Neue korrigiert werden muss, sondern diese innere Instanz, deren Regeln und Ansprüche höchstwahrscheinlich nicht von dieser Welt sind, bräuchte eine Korrektur. bis du sie soweit hast, dass du gut mit ihr und dir leben kannst.