Schriftstellerei – ein Exkurs
"O, das klingt ja langweilig. Soll das hier jetzt eine Lehrveranstaltung werden? Das kann doch wohl nicht angehen. Das ist ein Erotikforum und kein Germanistikstudium."Das waren die ersten Kritiken, die uns selbst eingefallen sind, als wir uns entschieden haben, diesen "Lehrgang" hier einzustellen. Er wurde bereits während zweier Lesungen (Literotisches von @*********ieven und Literotisches von @*********ieven) einigen Interessierten vorgestellt.
Nun haben wir uns entschieden, diese große Öffentlichkeit zu suchen. Und weil wir nicht gegenüber brillanten und bestimmt viel besseren Kollegen und Kolleginnen, als wir es je sein werden, anmaßend erscheinen wollen, empfehlen wir das Kommende nicht wirklich ernst zu nehmen.
Motiviert ist der Text ursprünglich durch die Fülle an Ratgebern, wie aus normalen Menschen Bestsellerautoren und -autorinnen werden können. Natürlich kosten alle ab irgendeiner Stelle Geld und stammen im Regelfall von Menschen, deren eigenes literarisches Werk übersichtlich bis nichtig ist. Und weil es offenkundig so simpel ist, so einen "Lehrgang" online zu stellen, haben wir uns gedacht: "Das können wir auch!"
Und das ist das Ergebnis. Bitteschön.
Eine Anmerkung vorweg und dann stürzen wir uns gleich ins Getümmel. Wenn hier manchmal Schriftsteller und Autor bzw. die weibliche Form davon benutzt wird, ist das richtig. Aber es gibt einen Unterschied:
Schriftsteller sind Personen, die Belletristik, Lyrik oder andere Fiktionen schreiben.
Autoren dagegen sind Menschen, die alle möglichen Werke verfassen, also zusätzlich Drehbücher, Sachbücher, Blogs und Ähnliches. Sie sind sozusagen die umfassendste Kategorie.
Nun ist aber genug. Los geht es.
Schriftstellerei ist ein weites Feld. Es gibt Lyrik, klassische Komödien und Tragödien, moderne Genres wie Young Adult, Coming-of-age-Literatur, Erotik oder pure Pornografie. Allen ist eins gemeinsam. Es sind Texte und diese werden zumeist noch von Menschen für Menschen geschrieben.
Und wenn sie gut lesbar sein sollen, sind einige Regeln hilfreich. Denn Schreiben ist manchmal gar nicht so reibungslos, wie manche meinen. Dies wird aber kein Lehrgang darüber, sondern ein Einblick, ohne das übermäßig ernst zu nehmen.
Betrachten wir zunächst neben der Grammatik einen wesentlichen Grundsatz, der »zeigen, nicht erzählen« heißt. Dazu benutzen wir diesen simplen und alltäglichen Satz:
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Der hagere Mann mit den halblangen blonden strähnigen Haaren und dem im erigierten Zustand gigantischen Penis trug ein Poloshirt, eine Segelhose, passende Schuhe, und steuerte am frühen Abend den roten offenen Porsche Cabrio vorbei an einer Menge Menschen, die vor einem Klub stand, wo eine auf ihn wartete.
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Erläuterung
Es sieht aus wie ein simpler Satz, vielleicht ein bisschen lang, aber ansonsten alltäglich. Und trotzdem begegnen uns hier zwei Probleme, die wir lösen müssen.
Beginnen wir mit dem Prinzip »zeigen, nicht erzählen«. Das meint in diesem Fall, dass bloße Beschreibungen auch lebendig gestaltet werden können, zum Beispiel, indem Personen darüber ein Gespräch führen. Na schön, der Satz ist nun mal passiert. Versuchen wir, zu retten, was zu retten ist.
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»Boah, das ist ja ein alter 911er, das wär noch was«, entfuhr es einem untersetzten Mann mit einem fülligen Gesicht und einer Tolle, die er aus seinen vorhandenen schütteren Haaren mit Hilfe von Pomade errichtet hatte. Während das bei anderen möglicherweise wie ein futuristisches Bauwerk ausgesehen hätte, reichte seine verbliebene Haartracht eher zu einer Ruinenarchitektur. Er stand in der frühabendlichen Sommersonne am Ende einer vorwiegend schwarz gekleideten Menschenschlange vor einem Klub, die auf dem öffentlichen Bürgersteig endete und hatte den Satz zu niemand Bestimmten gesagt. Das hatte den Effekt, dass sich auch keiner dafür interessierte.
»Kuck mal, der sieht aus wie diese Tanzfigur, die Papa im Auto hat, nur in dick und mit bescheuerten Haaren«, sagte ein Mädchen im Grundschulalter, das einer Endzwanzigerin mit tiefen Augenringen und einer bleichen Gesichtsfarbe hinterherlief und auf den Eigentümer der Haarruine zeigte. Die Frau schob stoisch einen Kinderwagen, ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen. Aus dem Säuglingstransporter heraus schrie es konstant und fordernd. Ein nicht angeleinter Jack Russel Terrier umkreiste permanent das gesamte Ensemble und kläffte es in höchsten Tönen an. Das unterhielt die Wartenden glänzend, die alle hinsahen, bis die Frau um eine Ecke bog und sich so den Blicken der Anwesenden entzog. Der Hund dagegen war noch eine ganz Zeit lang zu hören.
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Erläuterung
Jetzt kennen wir den Autotyp, ohne dass es noch einer weiteren Beschreibung seitens der Erzähler bedurft hätte. Die anderen Informationen dagegen sind anscheinend dazu da, die Szenerie lebendiger zu gestalten, aber vielleicht steckt auch mehr dahinter.
Wenden wir uns zunächst der Grammatik zu. Und jetzt wird es knifflig. Der Satz endete mit den Worten »doch nur eine wartete auf ihn«. Es gibt hier drei männliche Bezugspunkte: den Mann, den im erigierten Zustand gigantischen Penis und den Porsche 911 Cabrio. Einen weiblichen dagegen suchen wir vergebens. Vielleicht führt das Zuhören in der Schlange vor dem Klub weiter.
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Einige Meter vor dem Tollenträger standen zwei schwarz gekleidete Frauen, die die fünfzig sicher überschritten hatten. Beide trugen ihr blondes, mittellanges Haar offen und mit ihren Stupsnasen und ihren sehr weiblichen Figuren drängte sich dem Betrachter die Ähnlichkeit auf. Sie hatten sich für den bevorstehenden Klubbesuch in schwere Lederkorsette gewuchtet, die ihre sekundären Geschlechtsmerkmale im wahrsten Sinne des Wortes hervorhoben und die nicht mehr ganz schlanken Taillen einschnürten. Ihre muskulösen Beine präsentierten sie durch geschlitzte, lange Lederröcke und High Heels, die an den Sohlen mit Stahl armiert waren. Ein nahezu identisches Make-up vollendete ihren Partnerlook.
Die Frauen hatten ebenfalls den Wagen bemerkt und die eine sagte: »Du, dit war Mirko Krawutschke, der wohnt bei mir umme Ecke inne Platte inne Zweiraumwohnung. Dat der sich so´n Schlitten leisten kann, ick gloob die Story immer noch nich.«
»Ach du kennst den, Britta?«
»Ja Marleen, der is Verkäufer in den Schuhladen in Ringzenter inne Spätschischt. Ick hab ja neulisch janz jünstig da injekooft und da war er zujejen.«
»Und wat machta hier jetze, weeste dit?«
»Ick ahne et, is ne ziemlich schräje Tüpe, dit kann ick dir sajen. War schon vor die Wende ´n windijet Kerlschen.«
»Ach ne, klär mir ma uff!«, forderte Marleen Britta auf.
Die holte Luft, um dem nachzukommen, als zwei jüngere Frauen vor ihnen die Schlange verließen und dies sie verstummen ließ.
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Erläuterung
Hier ist eine Pause angebracht. Wir haben nun neue Informationen erhalten, ohne dass diese durch einen allwissenden Erzähler, ein Fachbegriff aus der Schriftstellerei, explizit beschrieben wurden, also klassischer Fall von »zeigen, nicht erzählen«. Wir kennen den Namen des Mannes, seinen Beruf und wissen, wo sich das Ganze abspielt, natürlich in Berlin. Bei etwas mehr Kenntnis der Stadt könnten Leserin oder Leser sogar weiter eingrenzen auf eine Location rund um Lichtenberg, Treptow und Kreuzberg. Aber darum ging es ja nicht. Und Britta und Marleen warteten auch nicht auf Mirko, wie wir erfahren haben.
Die Warteschlange ist lang und geduldig. Gehen wir noch mal einen Moment zurück, bevor die beiden Frauen die Schlange verlassen haben, und hören wir ihnen zu.
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Ja, liebe Joy-Gemeinde, wenn das Interesse geweckt hat oder vielleicht sogar Neugier, wie es weitergeht, so freuen wir uns und posten dann weitere Teile.