Meine Schwierigkeiten waren unterschiedlicher Natur. Ich muss vorweg schicken, dass ich blind geboren wurde, meine Entdeckungsreise daher also nicht über damals übliche Magazine oder Pornoheftchen ging, sondern sich eigentlich immer im direkten Erfahren mit anderen abspielte.
Die erste Schwierigkeit war definitiv mein Elternhaus. Meine Eltern hatten eine grundlegend homophobe Einstellung, gefüttert von der Springer-Presse und der Zeit, in der sie geboren wurden. Ich hatte zwar das Glück, in einem sehr offenen und progressiven Internat zu wohnen, musste aber meine Entdeckungsreise zu meiner Homo- bzw. später Bisexualität ohne die Unterstützung von zu Hause bestreiten, diesen Teil meines Lebens immer in Hamburg lassen, wenn ich zu meinen Eltern fuhr. Außer einer einzigen Cousine, der ich mich irgendwann anvertraut habe, weil wir immer sehr eng miteinander waren, habe ich es lange vor allen anderen auf dem Dorf geheim gehalten. Die Entfernung machte das aber auch einfacher.
Dann kamen auch Schwierigkeiten in der Schule dazu. Es gab einige Klassenkameraden, die durch homophobe Aktionen und Aussprüche auffielen, was damals noch nicht geahndet wurde (es waren die späten 80er und frühen 90er Jahre). Auch hier konnte ich mich nur ganz wenigen Leuten anvertrauen.
Erst als ich durch einen Freund nach der eigentlichen Internatszeit Kontakte zur schwulen Szene bekam, konnte ich mir dort einen Freundeskreis aufbauen, mit dem ich Coming-Out-Sorgen, Erfahrungen teilen und neue Entdeckungen in meiner Sexualität machen konnte. Denn nach wie vor musste ich ja durch eigenes Erfahren lernen, was mich ansprach und was nicht. Und ich musste Männer anders kennenlernen als viele andere, die damals sich noch z.B. über Kontaktanzeigen in Magazinen kennenlernten. Der Freundeskreis half mir dabei.
Solange ich rein schwul lebte, war das auch alles kein Problem. Ich hatte in der Zeit Beziehungen, regelmäßig Sex mit Leuten, die auch Bock auf mich hatten, usw. Das änderte sich jedoch später, als ich durch ein mehrwöchiges intensives Erlebnis bemerkte, dass ich tatsächlich bisexuell bin und es auch Frauen in meinem Sexualleben geben sollte. Nicht so viele wie Männer, aber es ist definitiv ein Aspekt, den ich erleben wollte und möchte, und der mir auch fehlt, wenn er nicht da ist. Dieses zweite, bisexuelle Coming-Out mit Anfang 30 führte dazu, dass viele homosexuelle Kontakte wegbrachen, weil diverse Leute damit nicht klar kamen. Im heterosexuellen Umfeld wurde ich dann auf einmal als "einer von ihnen" gesehen, was ja aber auch nicht stimmte, weil ich eben nicht nur auf Frauen stand wie die meisten meiner Arbeitskollegen usw.
Mein Freundeskreis, in dem ich ich sein konnte, sortierte sich in den folgenden Jahren diverse Male um und war eigentlich bis auf wenige Ausnahmen nie wieder so stabil wie zu meinen Anfangszeiten. Aber verleugnen möchte ich meine Bisexualität eben auch nicht. Sie gehört zu mir wie meine inzwischen weißen haare oder mein Bauch.
Ich kann also sagen, dass die Konsequenzen immer wieder mal waren, dass sich auch leute von mir abwandten oder Unverständnis zeigten, andere sich plötzlich mit mir "verbrüderten", weil ich auf einmal z.B. eine Partnerin hatte. Und es gibt nur wenige in meinem Umfeld, die meine Bisexualität so annehmen oder sogar feiern, wie sie ist. Hier im JOY gibt es einige virtuelle Freunde, bei denen das auch so ist, aber die wenigsten kenne ich bisher persönlich, und bei vielen davon sind auch die Entfernung mal für ein persönliches Kennenlernen zu groß.
Mein Umgang mit meiner Bisexualität ist jedoch in jedem Fall sehr offen. Wer mich fragt, kriegt eine ehrliche Antwort und muss damit klarkommen. Ich verleugne mich und meine Sexualität nicht, obwohl das mir sicher die eine oder andere Chance mit einer Frau, die sich einen Hetero-Mann erhofft, oder einen Mann, der gern nur einen schwulen Sexpartner hätte, verbaut. Aber was soll ich machen...