Das ist ein sehr interessantes Thema und nachdem ich es hier gesehen hatte, habe ich doch eine Weile darüber nachgedacht und mich selbst zu dieser Frage reflektiert. Ich selbst respektiere und akzeptiere jede Form der Sexualität, sofern sie nicht die allgemein gültigen Regeln missachten. Niemand sollte etwas machen müssen, was er nicht möchte. Und bitte auch nicht mit Kindern oder Tieren, ich denke, da sind wir uns alle einig. Aber ansonsten finde ich manche Dinge bei anderen vielleicht "interessant" oder "spannend" oder manchmal auch "strange" auf eine amüsante Art. Aber nie würde mir in den Sinn kommen, jemand dafür zu verurteilen, nur weil er auf diese Praktiken steht, diese Fantasien hat, oder mal ausprobieren möchte. Es soll doch jeder so leben, wie er möchte, so lange die Freiheit eines anderen dadurch nicht angegriffen wird und ich finde das gilt auch beim Sex.
Die Toleranz und Akzeptanz, also das, was ich unter "Sexpositivity" verstehe, gegenüber andere hat oftmals wenig mit der Toleranz zu, die ich selbst erfahre oder viel mehr in meiner Vergangenheit erfahren habe. Da habe ich nämlich durchaus eher negativere Erfahrungen gemacht - durch andere, aber auch durch mich selbst. Ich habe meinen Körper, meine Sexualität und meine Lust schon sehr, sehr früh entdeckt und auch angefangen auszuleben. Ich war süchtig nach Pornos (das Interview von Billie Eilish damals fand ich hochspannend, denn so ähnlich war das bei mir auch), Selbstbefriedigung und recht früh dann auch an Jungs oder auch richtigen Männern. Anfangs hatte ich mir da noch wenig Gedanken gemacht, aber es ging schnell, bis ich einen gewissen Ruf weg hatte. Da ich zum Glück schon damals ein recht starkes Selbstbewusstsein habe, machte mir das gar nicht so viel aus. Aber ich fragte mich oft, warum manche Leute dann so gemein sind, mich komplett als Mensch verurteilen, schlecht machen, mir Bildung oder Persönlichkeit absprechen. Mich insgesamt zu einem schlechten Menschen machen, nur weil ich eben total Lust auf Sex hatte?
Vieles prallte an mir ab. Sehr vieles, was über mich geredet wurde, drang zum Glück erst gar nicht zu mir vor oder erst später, als es mir wirklich egal war. Manches jedoch traf mich doch aber auch. Das waren dann Situationen oder Momente, wo ich mich stark hinterfragt habe, ob ich normal bin, ob ich wirklich so bin, wie manche Menschen mich sehen und warum ich offensichtlich anders bin als andere Mädels in meinem Alter. Das waren auch immer die Phasen, in denen ich versucht habe mich zu ändern: Keine Pornos, keine Selbstbefriedigung und jetzt erstmal keine Kerle mehr. Wie bei so vielem im Leben, wenn man versucht mit etwas aufzuhören, funktioniert das selten. Meistens habe ich den Kampf schon am nächsten Tag wieder verloren. Da habe ich dann wieder gedacht, warum soll ich mich selbst bestrafen und auf etwas verzichten, was mir so viel Spaß macht? Es war ein Hin- und Her, mal mehr, mal weniger.
Ich habe also durch mich selbst sozusagen "Sexnegativity" erfahren, wenn auch immer nur eine Zeitlang. Erst im Laufe der Zeit, als schon in Richtung Volljährigkeit ging, fand ich ein gelasseneres Verhältnis zu mir und zu meiner offenen Sexualität und vielleicht auch meinem Hang zur Nymphomanie. Was mich dazu gebracht hat, weiß ich gar nicht, aber ein Umzug in eine größere Stadt, die 30 Minuten von meinem Heimatort entfernt war und wo mich niemand kannte, wird vermutlich der Schlüssel gewesen sein. Es war mir dann aber auch irgendwo egal, was andere über mich denken oder reden. Es ist mir auch heute noch egal, wobei mein Mann da eine elementare Rolle gespielt hat und immer noch spielt. Was mich aber bis heute immer wieder beschäftigt in diese immer noch bestehende Unterscheidung zwischen Mann und Frau. Über die Jungs und zum teil erwachsenen Männer, mit denen ich etwas hatte, wurde nie ein Wort verloren. In ihren Cliquen wurden sie gefeiert. Und ich weiß, dass das generell nun mal ein Problem ist, dass der Zeigefinger immer nur in Richtung Frau gehoben wird. Fair ist das nicht, schon gar nicht wenn man bedenkt, wie tolerant wir insgesamt doch heute geworden sind.
Ich bin nur ein kleines Licht, aber ich finde, dass man einfach die Menschen, egal ob Mann oder Frau, lassen und aufhören sollte, sie zu verurteilen, nur weil sie Spaß an Sex haben. Ich habe das nie verstanden und werde es vermutlich auch nie verstehen, warum so etwas schönes und guttuendes für so viel Konflikte sorgt. Vielleicht bin ich in der Hinsicht dumm und naiv, ich weiß es nicht, aber es ist nur Sex. Es ist keine Wissenschaft, es ist keine Politik, es ist kein sportlicher Wettbewerb, kein Krieg, kein Verbrechen und auch keine Staatskrise. Es ist einfach nur Sex.