Meer & Nymphen
Kapitel 6„Das Meer & Nymphen war also eine Art Bordell für Meeresgeister?“, fragte er spöttisch. „Ein Ort, an dem sie ihre hitzigen Ambitionen befriedigen konnten? Wahrscheinlich haben sie dafür mit Schätzen aus versunkenen Schiffen bezahlt, oder? Und jetzt kommen sie aus irgendwelchen Gründen nicht mehr. Wegen des Klimawandels wahrscheinlich. Und deshalb bist Du jetzt pleite und brauchst neue Kundschaft.“
Ihr Lachen klang wie das Rollen von Kieseln am Strand. „Wenn du das in irgendeiner Zeitung behauptest, verklage ich dich!“, drohte sie grinsend. „Was denkst du dir eigentlich? Ein Bordell! Als ob irgendein Wasserwesen es nötig hätte, für Sex zu bezahlen!“
„Nicht?“
„Nein!“
Sie zögerte ein Sekunde und gab dann zu: „Na gut, sagen wir: In der Regel nicht. Ausfälle gibt es immer. Aber du musst es dir eher vorstellen wie einen hedonistischen Club. Das Meer & Nymphen war ein Ort der Ausschweifungen für Interessierte aus beiden Welten. Aus dem Wasser und über Land kamen sie hierher, um Feste zu feiern, für die das Wort Orgie nur eine sehr harmlose Beschreibung wäre.“
David verschluckte sich beinahe an einer ausgezeichnet gewürzten Muschel. Alter Schwede, die Frau hatte wirklich Fantasie! Schild hin oder her: Allein wegen dieser Geschichte hatte sich die lange Fahrt in den Norden schon gelohnt. Auch wenn ihm noch nicht ganz klar war, welchem Magazin er eine solche Story wohl anbieten könnte. Er wollte gerade eine scherzhafte Bemerkung in dieser Richtung machen, als er ihren Stimmungswechsel bemerkte. Ein Schatten war über ihr Gesicht gefallen, und um ihren Mund lag ein neuer Zug, den er nicht genau einordnen konnte. Sorge? Trauer? Eine Spur von Bitterkeit?
„Vorbei!“, sagte sie leise. „Es ist eine Geschichte aus alten Zeiten.“
„Was… ist passiert?“, fragte er zögernd.
„Du hast schon recht, die Gäste kommen nicht mehr. Aber das liegt nicht am Klimawandel.“
„Sondern?“
„An mangelnder Vorstellungskraft. Wer hat denn noch Fantasie genug, um sich auf so ein Szenario einzulassen? Um neue erotische Welten zu erkunden und sich in Abenteuer zu stürzen, die so weit jenseits des Üblichen liegen?“
„Och…“
Was ihn selbst anging, ließ seine erotische Fantasie in diesem Moment wirklich nichts zu wünschen übrig. Und es gelang ihm offenbar auch nicht sonderlich gut, das zu verbergen. Das türkisfarbene Leuchten in den Augen seiner Gesprächspartnerin wurde jedenfalls eindeutig intensiver. Ihr Lächeln kehrte zurück. Es hatte einen neuen Unterton, flüsterte von einem Hunger, den kein gegrillter Fisch und kein noch so fein komponiertes Meeresfrüchte-Menü stillen konnten. Wortlos spann sie ihre Geschichte weiter. Und er hatte nicht das Geringste dagegen, zum Protagonisten zu werden.
Mit der Entschlossenheit eines Meeresraubtiers erhob sie sich von ihrem Stuhl und schritt zu ihrem Gast herüber. Die Fingerspitzen ihrer rechten Hand streiften langsam über den Tisch – bis sie mit einer fast beiläufigen Bewegung ihres Armes das Geschirr von der Platte fegte. Kein Ohr hatte sie für das Scheppern der Teller, keinen Blick für die Scherben am Boden. Das Glimmen in ihren Augen konnte einem beinahe ein bisschen Angst machen, so viel Gier lag darin. David kam nicht mehr dazu, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Oder noch einen Brocken Vernunft aus einem der hinteren Winkel seines Gehirns zu klauben. Es war zu spät.
Schon hatte sie ihren seidenumspielten Körper vor ihm auf der Tischkante drapiert. Ihre Bewegungen, die bisher von einer fließenden Eleganz gewesen waren, hatten plötzlich die Heftigkeit einer Sturmwelle. Ohne Rücksicht auf den empfindlichen Stoff raffte sie ihren Rock und spreizte die Schenkel. Das Reißen einer Naht legte in Davids Kopf einen Schalter um, von dessen Existenz er bis gerade eben noch nichts geahnt hatte.
Seine Finger krallten sich in kühles Gewebe. Noch bevor er seine Lippen auf ihren leicht geöffneten Mund pressen konnte, hing ihr Kleid in Fetzen – was sie mit einem glucksenden Lachen quittierte. Sie rutschte ein kleines Stück von ihm weg, stellte die Füße auf die Tischkante und präsentierte ihm ihre pulsierende Mitte: Die Nässe des Meeres und die Gier einer Frau.
Er schmeckte Salz, als er sie leckte. Hörte die aufbrandende Lust in ihrer Stimme. Versuchte, ihren wogenden Körper zu bändigen. Was natürlich ein vollkommen aussichtsloses Unterfangen war: Diese Frau ließ sich so wenig kontrollieren wie die See. Er konnte nur versuchen, ihr in die Brandung zu folgen. Auch wenn er nicht ganz sicher war, ob er dieser Naturgewalt überhaupt gewachsen sein würde. Instinktiv war ihm klar, dass es hier nicht um normalen Sex ging. Unter der Oberfläche erwarteten ihn gefährliche Strudel. Konnte er gut genug schwimmen, um nicht darin zu ertrinken?
Doch im nächsten Moment hatte ihn eine Welle erfasst und alle Unsicherheit aus seinem Kopf gespült.
... Fortsetzung folgt (eine noch ) ...
© Kea Ritter, Juni 2024