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Nachtschattenliebe

**********lerin Frau
1.030 Beiträge
Themenersteller 
Nachtschattenliebe
Schöner Fremder, als du gestern zu mir kamst, versprach ich dir drei Nächte in meinen Armen. Dieses Versprechen werde ich brechen. Wenn du nachher die Tür in meine Welt durchschreitest, wird es das zweite und letzte Mal sein, dass du mich siehst.

In der Welt der roten Laternen herrschen eigene Regeln und Gesetze. Darin liegt die Magie, die Männer wie dich immer wieder zurückkehren lässt. Bei uns brauchst du dich nicht zu verstellen. Sei hart und kalt, es stört uns nicht. Niemand verlangt mehr, als du geben willst. Und wenn eine von uns deinen Blick mit der richtigen Mischung aus Provokation und Verletzlichkeit erwidert, dann greif zu. Keine schönen Worte. Unterwirf nicht dich, sondern sie.

Tu es schnell, bevor der magische Funke zu Asche wird!

Sobald wir euer Verlangen erfüllt haben, werden wir für euch zu Erinnerungen. Die reale Frau verblasst hinter eurem Schleier aus Träumen und Illusion.

Aber auch unsere Welt hat ihre Legenden, und sie berichten von mehr als nur den Freuden des Körpers und verstohlen auf dem Nachttisch deponierten Geldscheinen.

*

Man erzählt sich, dass vor wenigen Monaten oder vielen Jahrhunderten eine Frau lebte, die von uns Nachtblumen noch heute als Heilige verehrt wird. Warum das so ist, ist eine lange Geschichte. Ein Mann aus dem Westen kann sie vielleicht niemals vollständig verstehen. Aber du bist nicht wie die anderen, zumindest hoffe ich das. Und deswegen werde ich dir von meiner Heiligen erzählen.

Man sagt, dass sie sich mit jedem Mann niederlegte, der sie darum bat. Im Gegensatz zu mir hat sie dafür nie etwas verlangt. Für ihren Lebensunterhalt zog sie mit ihrer Bettelschale von Tür zu Tür und aß das, was man ihr aus Barmherzigkeit schenkte.

Für mich klingt das seltsam, und für dich wahrscheinlich noch mehr. Denn es war ihre Gabe, in jedem Menschen Liebe und Verlangen zu erwecken. Sie hätte reich werden und ihr eigenes Haus leiten können. Aber das tat sie nicht. Sie achtete bei ihren Männern nie auf Status, Reichtum, Macht oder gute Manieren.

Jedem, den es nach ihr verlangte, schenkte sie ihr scheues Lächeln und folgte ihm. Wenn sie sich ihm hingab, empfing sie ihn voller Liebe. Und jedes Mal, wenn er sich in ihr verlor, vergoss sie Tränen des Schmerzes.

Ich weiß nicht, ob ich dir das so erklären kann, dass du es verstehst. Ich weiß nicht mal, ob ich das Geheimnis selbst begriffen habe. Manche Huren weinen, weil sie Schmerzen verspüren oder sich nach Liebe sehnen. So war es bei ihr nicht. Sonst wäre sie nie zu einer Heiligen geworden, vor deren Abbild ich Räucherstäbchen anzünde.

Jeder Mensch trägt in seinem Herzen einen geheimen Kummer, den er sogar vor sich selbst verbirgt. Dieser Schmerz ist etwas, woran wir uns gewöhnt haben. Wir halten ihn für unser wahres Wesen. Aber ganz tief in uns sind wir mehr als das. Wir haben es nur vergessen.

In meiner Sprache gibt es einen Ausdruck, den deine nicht kennt. Ein Band zwischen zwei Seelen, deren Körper sich näherkommen und eins werden. Der Funke des Liebesspiels ist manchmal wie die Initialzündung bei einer Atombombe, die die Trennung zwischen den Seelen verschwinden lässt. Sie verschmelzen in einer gewaltigen Explosion aus Licht.

Die Heilige besaß die Gabe, zwischen ihren Liebsten und sich ein solches Band entstehen zu lassen. Sie berührte nicht nur ihre Körper und Herzen. Wer sich ihr hingab, dessen Seele empfing von ihrer das göttliche Licht und absolute Freiheit. Er verlor seinen Schmerz und fand Heilung.

Sie dagegen nahm seinen Schmerz in sich auf und vergoss seine geheimen Tränen, damit er endlich Frieden finden konnte.

Wenn du mich fragst, ob meine Heilige schön war, finde ich keine Antwort. Ihre Gestalt besaß nicht die Anmut, von der die Dichter singen, und auf der Haut trug sie die Narben eines langen Lebens. Aber ihre Haare flossen lang und weich über ihren Rücken, und ihr Lächeln war schüchtern und voller Unschuld. Sie schenkte es allen, die wie sie ein aufrichtiges Herz besaßen.

Und diese Menschen erkannten sie, so wie du mich am Abend unserer ersten Nacht erkannt hast, geliebter Fremder. Deswegen kannst du es vielleicht doch verstehen.

*

Jetzt weißt du, was ich für dich sein möchte. Aber im Gegensatz zu der Frau aus meiner Geschichte bin ich keine Heilige. Ich sehne mich nur danach, es zu werden.

Es gibt viele Worte für das, was zwischen Mann und Frau passiert, wenn die Vorhänge zugezogen werden. Manche davon beschreiben das Körperliche. Diese Worte gelten schnell als vulgär. Andere erzählen von den Gefühlen, die währenddessen entstehen. In der zweiten Nacht schenkte sie ihm ihre Liebe, klingt das nicht romantisch?

Wenn du ein drittes Mal zu mir kämst, mein Fremder mit dem grausamen Lächeln, würde ich dir meine Seele schenken. Ich könnte nicht anders. Ich würde mich in dir verlieren und dir alles geben, was ich bin. Nicht, weil du mich zwingst oder mit süßen Lügen dazu betörst wie ein Mädchenfänger ein dummes Ding vom Land. Das wäre zu simpel für einen Mann wie dich.

Ich würde es tun, weil du es wert bist.

Oder weil ich davon träume, dass du es sein könntest.

In unserer dritten Nacht würde ich dir das geben, für das deine Sprache keine Worte kennt. Du bist der erste und vielleicht einzige Mann, der stark genug sein könnte, das namenlose Licht in mir zu erwecken und mich in einer Nacht voller Feuer in eine Frau wie die Unsterbliche aus meiner Geschichte zu verwandeln.

Aber noch bist du nicht Mann genug dafür, spüre ich. Ein winziger Bruch in deiner Seele, den du dir nicht eingestehst, raubt dir einen Teil deiner Kraft.

Deswegen schenke ich dir diese Geschichte zum Abschied. Wenn du morgen zurückkommst, bin ich nicht länger hier. Dir bleibt nichts als die Erinnerung an meinen Körper und die zweite Nacht in meinen Armen, die jetzt noch auf dich wartet. Wenn du diesen Brief liest, ist sie bereits vergangen.

Vielleicht kommst du irgendwann zurück zu mir. Ich sehne mich nach diesem Tag. Aber wahrscheinlich wirst du dafür niemals stark genug sein.

Vergiss mich, wenn du es kannst.

--- Ende der Geschichte ---
*******a80 Frau
162 Beiträge
@**********lerin
Was für eine wunderschöne Geschichte✨️ ... mit einem wahren Kern❤️
*********Mojo Paar
210 Beiträge
Sehr schön!
**********45138 Mann
19.852 Beiträge
Eine tiefsinnige Geschichte mit Hang zur Realität geschrieben.
*******015 Mann
886 Beiträge
Chapeau!
******ico Paar
5.889 Beiträge
Fein gesponnen, dein Text-Netz!
Schmunzeln, höchstes Glück, Wissen und Traurigkeit so nah beieinander.
Sehr real und nachfühlbar festgehalten.
*hutab*
(EinR)
**********lerin Frau
1.030 Beiträge
Themenersteller 
Danke für die lieben Worte *g*

Und obwohl hier ein wahrer Kern vermutet wird: Tatsächlich ist das vermutlich von all meinen Geschichten die fiktivste. Ich habe sie vor einigen Jahren ganz bewusst für einen Anlass geschrieben, wo im Rahmen eines Larp-Events in der Tasche eines Toten ein Brief gefunden werden sollte, der denen, die ihn lesen, ein Gefühl von Trauer und Sehnsucht nach etwas vermittelt, was nun nie mehr geschehen kann.

Ein bitteres Gefühl von Beklemmung: Offenbar hat der jetzt tote Mann den Brief all die Jahre mit sich herumgetragen. Aber er ist nie zurückgekehrt, denn sonst hätte er den Brief nicht mehr gebraucht.

Oder war er gerade auf dem Weg zu ihr, als er getötet wurde?

*

Heute würde ich sie vermutlich ganz anders schreiben ... Aber wäre es dann noch die gleiche Geschichte?

Es freut mich, wenn sie euch beim Lesen gefällt und berührt *g*
*******tte Frau
1.041 Beiträge
Liebe Harfenspielerin,
was soll ich sagen ?
Ich bin absolut überwältigt von deiner Geschichte, von deinen Sätzen.
Ich selbst kann nicht Worte finden, die ausdrücken könnten, wie tief mich diese Geschichte bewegt.
Vielleicht würde hier nur das Wort ,, göttlich '' zutreffen.
Ich bin unendlich dankbar, auf dieses Juwel gestoßen zu sein *anbet*
******ich Frau
245 Beiträge
Ein Band zwischen zwei Seelen, deren Körper sich näherkommen und eins werden. Der Funke des Liebesspiels ist manchmal wie die Initialzündung bei einer Atombombe, die die Trennung zwischen den Seelen verschwinden lässt. Sie verschmelzen in einer gewaltigen Explosion aus Licht.

Wie poetisch *wolke7* Ja, deine Geschichte rührt etwas an und die verschiedenen Ebenen passen
**********pioGJ Mann
783 Beiträge
Erneut meinen Gruß Harfenspielerin

Danke für deine Geschichten. Erst fand ich ein dunkles Juwel Die Geschichte der Walddämonin und nun dieses Leuchtende.

Solche Schätze erinnern mich daran, warum ich hier im Joy Club bleibe. Danke.

Lieben Gruß
Mystik Scorpio GJ
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