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Die Geschichte der Walddämonin

**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Wieder stehst du auf der Spitze des Turms. Das Schwert ist noch immer in deiner Hand, doch es hat sein Eigenleben verloren. Weder will es das Herz der jungen Frau zerstören noch musst du es mit aller Kraft von dir fortwerfen, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Es liegt ruhig und machtvoll in deiner Hand, und als du zur Seite tastest, entdeckst du an deiner Seite eine Schwertscheide.

Während der rote Fleck auf der Brust der Frau größer wird, verstaust Du das Schwert an seinem Platz. Dort, wo du leicht danach greifen kannst, es dir aber nicht ständig im Weg ist. Du greifst nach einem weißen Tuch, das plötzlich passend bereitliegt, und presst es auf die Brust der jungen Frau, um die Blutung zu stillen.

Sie zittert am ganzen Körper. Als du nach ihren Händen greifst, sind sie eiskalt.

Du fragst dich, warum sie sich selbst nicht heilt, obwohl du in der vorigen Vision gesehen hast, was für eine mächtige Heilerin sie ist. Oder sein kann. Steht sie unter Schock?

In deiner Erinnerung sind noch immer ihre warmen Hände auf deinem Herz, aus denen heilendes Licht strömt, nachdem der Turm eingestürzt ist. Du weißt nicht, wie es weitergehen soll. Bisher hat sie stets geführt und die Richtung gezeigt, und du bist gefolgt und hast dich ihrem Willen gefügt oder dagegen rebelliert. Aber jetzt zittert sie einfach nur, und die Wunde in ihrem Herz wirkt kaum versorgt.

Ist es dieselbe Wunde, die sie dir in dem Verlies mit ihrem Rubindolch zufügen wollte? Aber wie kann das sein?

Du streichelst ihr zärtlich über die Haare, verlegen, verloren wie sie, doch sie reagiert nicht. Schließlich nimmst du ihre Hand und drückst sie auf ihr Herz, wo sich das Tuch allmählich rot verfärbt. "Press das drauf, um die Blutung zu stillen", sagst du.

Ihre Zähne schlagen aufeinander. Immer heftiger. Du siehst und hörst es, und hilflos lässt du deine Hand auf ihrem Rücken liegen und küsst sie auf den Scheitel. Sie ist so verloren. Die ganze Zeit hat sie so stark gewirkt. Selbst dann, wenn sie klein und schutzbedürftig wirkte, lag darin stets etwas Kontrolliertes, etwas, was dir einen Weg offenließ, den du gehen konntest, um die Situation zu lösen und den nächsten Schritt zu finden.

"Magst du mir erzählen, was passiert ist?", fragst du schließlich. "Ich hatte gesagt, dass es nie einen bösen Zauberer gegeben hatte, der dich in diesen Wald verbannt hat. Du hast gesagt, es sei beinah richtig, aber nicht ganz."

Sie blickt dich an, und in ihren leeren Augen schimmert etwas wie ein Hauch von Hoffnung auf.

Ein scharfer Schmerz zuckt durch deine Brust, und als du hinabblickst, siehst du, dass sich auf deiner eigenen Brust ebenfalls ein Blutfleck auszubreiten beginnt.

Was zur Hölle passiert hier?

"Erzähl mir, was wirklich passiert ist", sagst du, auch wenn dich der Schmerz in dir vor den Worten zurückschrecken lässt. "Kleines Magiermädchen ... Was ist mit dir passiert? Was ist aus dir geworden?"

"Es war meine eigene Schuld", sagt sie tonlos, und ihr Blick scheint durch dich hindurchzugehen. "Es hat ihn gegeben, den dunklen Magier. Aber es war meine eigene Schuld, dass ich in seine Hände geraten bin. Ich habe den Weg selbst gewählt."

Die Leere in ihrem Blick entsetzt dich. Du blickst auf deine Hände, willst nach deinem Schwert greifen und den Magier töten, doch er ist nicht hier und das Schwert scheint sich in der Scheide verhakt zu haben.

"Lass uns zurück in den Wald gehen", sagst du. "Dorthin, wo ich dir zuerst begegnet bin. Wir zünden ein neues Feuer an, wir sammeln das Holz dafür gemeinsam. Wir zünden es an mit der Hoffnung, aber nicht mit der Hoffnung auf neue Illusionen, sondern mit der Hoffnung auf Wahrheit und Reinheit und Heilung. Und dann erzählst du mir die ganze Geschichte."

Es ist kein Vorschlag mehr, sondern ein Befehl, und kurzzeitig erschrickst du vor der Entschlossenheit in deinen Worten. Doch es scheinen die Worte zu sein, die sie hören muss, denn sie richtet sich auf und nickt. Sie macht den ersten Schritt nach draußen, doch dann sackt sie zusammen und beginnt zu weinen.

Hilflos ziehst du sie an dich und hältst sie fest, streichelst ihr über den Rücken und spürst, wie sie sich aufbäumt, wie sie lautlos schreit und sich festklammert, wie sie kämpft und weich werden will und es nicht kann, weil das Entsetzen zu tief geht und ihr Körper sich immer wieder neu verkrampft unter Tränen, die nicht geweint werden können.

Was um alles in der Welt hast du getan, willst du fragen. Was um alles in der Welt hast du durchlitten?

Doch hier ist nicht der Ort zum Erzählen. Alles, was du tun kannst, ist sie zu halten und zu wärmen, während sie sich befreien will und nicht will, sich abwechselnd an dich schmiegt und auf deine Brust trommelt, um sich zu befreien oder doch nur zu spüren, dass deine Arme stark genug sind, um sie selbst dann zu halten und zu schützen, wenn das Entsetzen über ihr zusammenschlägt und sie auslöscht.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Es ist nichts als eine zarte Flamme, die in der Luft schwebt, ängstlich flackert und so erscheint, als könne sie jeden Augenblick erlöschen.

Mehr ist nicht von ihr geblieben.

Doch anders als von dir befürchtet erstirbt sie nicht. Jedes Mal, wenn sie kurz vor dem Erlöschen steht, zieht sie sich zusammen und flackert wild und leidenschaftlich auf. Es rührt dein Herz. Wie anstrengend das aussieht! Müsste sie nicht ruhig und friedlich brennen dürfen, ihr Flackern und Aufflammen ein Ausdruck der Lebensfreude und nicht des Kampfes ums Überleben?

Mit der rechten Hand ziehst du das Schwert, um sie und dich auf dem weiteren Weg zu beschützen, dann ziehst du die Flamme mit der linken Hand an dich und hältst sie vorsichtig vor Deinem Herzen fest, damit sie nicht verloren geht.

Die aufflackernden Flämmchen streifen die Wunde auf deiner Brust. Die Wärme tut gut. Sie erinnert dich an die heilende Energie aus den Fingern der Frau unter dem Baum auf dem zweiten Weg, dem Weg des Herzens, aber sie ist noch mal ein wenig anders. Das Gefühl geht tiefer, bis in die Muskelfasern und Knochenfragmente hinein, aber es ist zarter und verlorener.

Kein Wunder. Wie soll sie dich heilen, wenn sie selbst kurz vor dem Verlöschen steht?

Achtsam hältst du sie an dich gedrückt, während du die Treppen des Turmes hinabsteigst. Das Schwert in deiner Hand ist kampfbereit, doch niemand kommt, um dich aufzuhalten. Mit ruhigen, sicheren Schritten erreichst du das Erdgeschoss. Weiter hinten ist die Tür, die in die Tiefen des Allerheiligsten führt, doch dort bist du schon mit ihr gewesen. Du suchst nach einer anderen Tür, die zurück in den Wald führt, wo alles begann. Dort, wo die Illusionen schwinden. Hinein in eine Dunkelheit, in der man sich den verborgenen Wünschen stellen muss, die man tief im Herzen trägt, weil man sonst niemals von ihnen erfährt.

Schließlich findest du die Tür. Es ist eine kleine, fast unsichtbare Pforte, die aufspringt, als du die zarte Flamme vor ihren Riegel hältst.

Ihr verlasst die Burg. Der Weg führt durch einen verwilderten Garten, wo du im Schatten dorniger Sträucher mit schwarzen Beeren Walderdbeeren zu erspähen glaubst, doch dein Herz zieht dich in eine anderen Richtung. Gemeinsam verlasst ihr den Garten durch eine rostige Pforte zwischen Mauern und Hecken und taucht wieder in den Wald ein. Es ist ein anderer Wald als der, in dem diese Geschichte begann. Dieses Mal hast du ein Licht, das dir den Weg leuchtet, und auf dem Boden liegen keine Schädel und Knochen. In der Ferne schwirren Glühwürmchen, kleine Tiere huschen unsichtbar umher, und der Duft nach feuchter Erde erfüllt deine Seele mit Ruhe und dem Gefühl von Heimkehr.

Schließlich erreichst du die Stelle, nach der du gesucht hast. Es ist eine Art Lichtung mit steinigem Untergrund, direkt neben einem kleinen Bach, dessen friedliches Glucksen die Nacht erfüllt. Ein Feuer ist vorbereitet, in einem Kreis aus Steinen. Es wird nicht so hoch und wild lodern, dass es die Nacht in ein Fanal verwandelt, aber es wird wärmen und brennen.

Auf dem Boden liegt eine Decke, in die du dich hüllen kannst, wenn das Feuer knistert, um die Nachtkälte von deinem Rücken fernzuhalten.

Du versenkst dein Schwert in der Scheide und löst mit beiden Händen die kostbare Flamme von deinem Herz.

"Ist das hier der Ort?", fragst du.

Die Flamme sinkt hinab und erreicht die Feuerstelle.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Du blinzelst, und dann sitzt sie dir gegenüber. Klein. Verloren. Nicht mehr besonders hübsch, einerseits, doch andererseits hat jeder Mensch im Licht der emporflackernden Zungen des Lagerfeuers seine ganz eigene Schönheit.

"Willkommen zurück", sagst du.

Sie blickt sich um. Es war ein Feuer, an dem ihr euch das erste Mal begegnet seid, es war ein Wald. Fast könnte man meinen, es habe sich nichts verändert. Und doch seid ihr nicht mehr dieselben.

"Magst du mir erzählen, was passiert ist?"

Du weißt nicht sicher, ob du es hören willst, aber andererseits ist an dieser Stelle beruhigende Klarheit in dir. Das hier ist der Weg, den du gewählt hast. Und jetzt wird sie es dir erzählen. Natürlich wird sie das. Das ist der einzige Zweck dieses Feuers an diesem Bach, der so sanft und tröstend plätschert und die Nacht zum Glitzern bringt.

"Meine Mutter ...", beginnt sie und schüttelt den Kopf. "Ist es richtig, bei ihr anzufangen?"

"Es ist deine Geschichte."

"Meine Mutter ... Sie hat mich gelehrt, dass Männer böse sind." Sie blickt ins Feuer. Stockend erzählt sie von dem, was man ihr beibrachte, als sie noch sehr klein war. Davon, wie Männer Frauen und Kinder im Stich lassen, wie sie nichts weiter wollen als Sex, ohne jeden Respekt vor dem Menschsein einer Frau, und für einen Augenblick versuchst du dich an etwas zu erinnern, was wichtig sein könnte.

Es entgleitet dir.

"Ich wollte kein Opfer sein." Sie blickt wütend in die Flammen, die ihrem Gesichtsausdruck schmeicheln und Teil von ihr zu werden scheinen. "Und ich mochte Männer. Ganz egal, was meine Mutter mich gelehrt hatte. Sie waren so schön anzuschauen. Ich konnte nie wegsehen, ich wollte sie anfassen, berühren, sie rochen so gut ..."

"Eine seltsame Vorstellung", sagst du. "Männer werden dazu erzogen, zu glauben, dass es die Frauen sind, die so schön sind."

Sie schnaubt. Es liegt eine Mischung aus Amüsiertheit und Bitterkeit darin, die ehrlicher wirkt als alles, was du bisher von ihr gesehen hast, wenn man von der Flamme absieht, die du auf dem Weg hierhin an dein Herz gedrückt hast. "Das ist es, womit Frauen Macht ausüben, ja. Auch das hat man mir so erklärt. So sollte ich niemals werden."

Du weißt nicht, was du darauf erwidern sollst, und starrst in die Flammen. Das Wasser hinter der Frau glitzert im Feuerlicht. Der Himmel ist immer noch schwarz, auch wenn du glaubst, vielleicht irgendwo, ganz am Rand, einen Hauch Blau erspähen zu können.

"Eigentlich wollte ich nur gegen meine Mutter rebellieren", sagt sie leise. "Und deswegen studierte ich die Wege der Magie. Ich lernte, wie ich meinen Körper künstlich jung und schön halten konnte, wie ich einen Zauber um mich weben konnte, der die Blicke der Männer an mir festkleben ließ, bis sie den Verstand verloren. Wenn sie so böse waren, wie meine Mutter sagte, dann schien der einzig sinnvolle Weg zu sein, wenn ich lernte, sie unter Kontrolle zu halten."

"Das klingt traurig", sagst du leise.

"Das war es auch." Wieder schnaubt sie bitter. Es liegt nichts Verletzliches mehr darin. Nichts, was dich danach verlangen lassen würde, sie in den Arm zu nehmen. Scharfkantig und bitter ist sie geworden, und die Linien in ihrem Mundwinkel passen nicht mehr zu der jungen Frau, als die sie dir in verschiedenen Gestalten erschien. "Macht. Macht und Sex. Das war es, was mich unverwundbar machen sollte."

Du musterst sie aufmerksam. "Und niemand hat gesehen, wer du wirklich bist. Dein Zauber war zu gut."

Es scheinen die richtigen Worte zu sein, denn sie entspannt sich ein wenig. Doch dann verkrampft sie sich und richtet sich auf. "Es war ein wunderschönes Spiel, verstehst du? Ich war ja eine junge Frau. Es gab junge Männer, die mit mir befreundet sein wollten, und ich verströmte meinen Zauber und machte unsere Flirts und Abenteuer ein wenig schöner dadurch. Keiner von ihnen war mächtig genug, um ..." Sie schluckt und senkt den Kopf.

"Um was?"

"Bis ich ihn traf."

"Wen?"

"Den Magier." Sie schluckt erneut. "Ich habe dir von ihm erzählt."
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Und während du noch grübelst, ob sie das wirklich hat, ob das nur ein Teil deiner Visionen war, erzählt sie erneut. Ihr Ton ist nüchtern, fast kalt. Es klingt, als würde sie von einer anderen Person erzählen, die nichts mit ihr selbst zu tun hat. Doch während sie erzählt, zieht sich dein Bauch zusammen und Schuldgefühle erfüllen dich, deren Ursache du nicht greifen kannst.

Als sie die Magie der ewigen Jugend aus uralten Büchern zu erlernen versuchte, machte sie sich keine Gedanken, dass sie selbst nicht der einzige Mensch auf der Welt war, der nach dieser Art von Macht strebte. Und während sie durch die Nacht schwebte, junge Männer mit ihrem Lächeln in den Bann zog und sie in ihrem Schlafzimmer verzauberte und ihnen bei ekstatischen Höhepunkten ein wenig mehr Lebensenergie nahm als erlaubt ...

... verjüngte sie damit nicht nur ihren Körper und ihr Lächeln, sondern sie entwickelte ein heimliches Leuchten, dass andere Männer noch leichter zu ihr zog und sie ihrem Bann verfallen ließ.

Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass es auch Männer geben würde, die in ähnlicher Art und Weise Ausschau nach Frauen hielten.

Bis es zu spät war.

"Er war genau wie ich auf der Jagd", sagt sie hilflos. "Und ich habe es zu spät begriffen. Als ich mit ihm nach Hause ging ..."

Stockend erzählt sie weiter, von Lust, die ihren Verstand komplett übernommen hat, von Ekstase, die viel zu viel Ähnlichkeit zu dem hat, was du bei deiner ersten Begegnung mit ihr erlebt hast. Aber anders als du war sie zu unerfahren und nicht stark genug, zu widerstehen. Wieder und wieder traf sie sich mit ihm. Ein seltsamer Nebel hatte sich um ihren Geist gelegt und sie vergaß es, ihre eigenen Studien der Magie weiterzubetreiben. Sie vernachlässigte ihre Arbeiten und löste sich immer weiter auf, lebte nur noch für die Begegnungen mit dem Mann, der diesen Zauber über ihren Geist und Körper gewoben hatte, bis ...

"Kurz, bevor er mich ... aufgelöst hat ..." Sie zittert. "Also, nicht wirklich aufgelöst, aber ..."

"Bevor er dir so viel von deiner Energie weggenommen hat, dass nichts mehr für dich bleibt, mit dem du dich regenerieren kannst", sagst du ruhig und spürst erleichtert, wie deine Ruhe auf sie überspringt.

Sie schenkt dir ein dankbares Lächeln. "Genau so war es. Und dann bin ich geflohen."

Lange starrt sie in die Flammen. Vor deinem inneren Auge steigen diffuse Bilder aus. Die Nacht, die ihre Freude verloren hat, weil sie mit den Männern nicht mehr lachen konnte. Tag für Tag wuchs die schwarze Leere in ihrem Innern. Männer waren keine Freunde mehr, keine Menschen, nur noch ein leise flackerndes Feuer, das sie mit ihren Künsten hoch aufpeitschte, um wenigstens für einen Moment nicht frieren und verhungern zu müssen, doch danach schmerzte die Leere umso schlimmer.

"Ich habe mir so sehr gewünscht, dass jemand kommt und mich erlöst", sagt sie tonlos. Wieder hat sie die Hände um ihre Knie gezogen, wie an dem Abend, an dem du sie kennengelernt hast.

"Warum war der Weg des Herzens nicht der Richtige?", fragst du sie sanft. "Diese Reise ... gemeinsam in das Tal voller Blumen, wo du mich heilst und ich dich beschützen kann. Es wäre so ein schöner Weg geworden."

Sie blickt dich an, und in in ihren Augen spiegelt sich kein Feuer mehr, nur Dunkelheit. "Für mich gibt es kein Zurück mehr", sagt sie tonlos, und du spürst die Verzweiflung dahinter. "Es ist egal, wie viel Gutes ich dir geben würde ... All das Böse, das ich getan habe, klebt an mir. All der Schmutz, den ich auf mich geladen habe, kann nie wieder verschwinden. Wenn ich versuchen würde, für einen Mann eine ganz normale Frau zu werden, wie die, zu der ich hätte werden können ..."

Tränen laufen über ihre Wangen.

"Ich wünschte so sehr, dass es möglich wäre! Glaubst du, ich habe von einem solchen Leben nicht geträumt, das ich damals so leichtfertig weggeworfen habe?"

"Und das ist nicht mehr möglich?" Du möchtest sie trösten, wärmen, heilen, doch dies ist der Weg der Wahrheit, und hier kannst du nicht mehr sagen, dass einfach alles gut wird.
*******a80 Frau
167 Beiträge
Also der Weg der Wahrheit... der vielleicht schmerzhafteste, verantwortungsvollste Weg, den ein Mensch wählen kann.
Liebe @**********lerin, danke, dass du deine Geschichte weiter teilst und mich (und andere)teilhaben lässt.
Deine Geschichte ist eine besondere. Vielleicht die Besonderste, die es auf Joy gibt.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Sie kuschelt sich an dich, und eine Zeitlang zittert sie. Du streichelst sie zwischen den Schulterblättern und genießt das Gefühl von Stärke, das dich erfüllt. Sie ist so weich und zart und wertvoll.

"Warum hast du es wirklich getan?", fragst du, obwohl du lieber einfach weiter mit ihr schmusen und ihr allmählich die Wäsche vom Leib streicheln würdest.

"Hm?" Sie wirkt beinah etwas verschlafen, so sehr hat sie sich in deinem Arm entspannt. "Das habe ich doch gerade erzählt ..."

Du schüttelst den Kopf. "Tut mir leid, aber ich glaube dir ni... Also, ich glaube dir, dass du mich nicht absichtlich belogen hast. Aber das, was du mir erzählt hast, das ist nicht die ganze Wahrheit."

Sie schluckt sichtbar. "Und wo soll die liegen, diese Wahrheit?"

Du zuckst mit den Schultern. "Das weiß ich nicht. Aber ich beschütze dich, wenn du mir davon erzählst. Wahrheit tut manchmal weh, aber du brauchst sie, wenn du wirklich du selbst sein willst."

Sie nickt nachdenklich und starrt in die Flammen. Du lässt ihr Zeit. Wahrscheinlich hat sie sich diese Fragen nie zuvor gestellt.

Es tut gut, sie bei ihrem Suchen zu halten und zu wärmen und zu schützen.

*

Schließlich richtet sie sich auf. "Ich wollte leben", erklärt sie schlicht.

"Und deswegen ewige Jugend?"

Sie schüttelt ungeduldig den Kopf. "Darum geht es nicht. Es ist etwas ganz anders."

Stück für Stück quellen die Worte aus ihr hervor. So viele Menschen leben im Mittelmaß. Sie wählen den Weg des Herzens, auf dem man die Dunkelheit vergisst, auf dem man nicht zu viele Fragen stellt, auf dem man sich ein hübsches Haus baut und Blumen in den Vorgarten pflanzt. Es ist ein Weg, der genauso schwer zu finden ist wie jeder andere Weg, und er hat einen Preis.

"Man darf nie zu viele Fragen stellen", erklärt sie ernst. "Man berührt die Seele des anderen nie wirklich."

"Weil es kein Geistweg ist? Nichts, wo dein Denken Raum dafür bekommt, die Dinge wirklich zu verstehen?"

Sie zögert und sucht erneut nach Worten. "Ich liebe den Geistweg. Ich bin sehr froh, dass du ihn gewählt hast. Geist mag Wahrheit und Klarheit, auch wenn der Weg dahin brutal sein kann. Aber ..." Sie schüttelt ungeduldig den Kopf. "Die meisten Menschen spalten ihr Feuer ab. Dieses Wilde. Das Archaische und Brutale, was uns zuschlagen lässt, wenn wir töten wollen. Den Hunger nach Sex, nach Dunkelheit, nach diesen ganz kleinen Dingen, die alle stimmen müssen."

Du hörst ihr zu.

"Sex ... Sex ist unglaublich ehrlich. Ein Schwanz spürt, wenn etwas nicht stimmt. Eine Pussy trocknet aus. Ganz egal, was der Kopf sagt ... Der Kopf findet immer Gründe, warum es gut ist, wie es ist. Das Herz findet immer Gründe, warum der andere nichts dafür kann, warum man die Misstöne aushalten muss. Aber Sex ..."

"Den kannst du nicht faken", sagst du nachdenklich. "Der ist einfach ehrlich."

"Genau. Er ist brachial. Wild. Ehrlich. Gnadenlos. Zart. Poetisch."

"Deswegen hast du dort mit dem Suchen angefangen?"

Sie nickt. "Ich wollte den Weg der Wahrheit gehen. Leben. Als ich selbst. Keine faulen Kompromisse. Nichts von mir abschneiden. Und dafür habe ich alles gebraucht. Geist und Herz und Feuer."

"Was für ein dunkler Weg."

Sie nickt.

"War es den Preis wert?"
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Sie hat keine Antwort.

Wie sollte sie auch.

Ich, die Erzählerin der Geschichte, bin an dieser Stelle von einem seltsamen Schweigen erfüllt, dass sich auf euch überträgt. Mit jedem Wort habe ich um etwas gerungen, was ich verstehen wollte, was etwas mit dir zu tun hat und dann auch wieder mit mir. Doch an dieser Stelle stockt meine Tastatur und verweigert mir die Fortsetzung von etwas, was bis dahin wie durch einen dunklen Fluss aus dem Land der Träume und des Lagerfeuers im Wald zu mir geströmt ist.

Ein Feuer aus den Knochen der Männer, die mich für eine Nacht geliebt haben.

Mit diesem Bild begann die Geschichte.

Geh nicht in den Wald!

Natürlich bist du doch gegangen.


Warst du es oder war ich es, der der Versuchung nicht widerstehen konnte?

Gehen die Fäden der Magie, die die Unschuldigen in die Dunkelheit locken, von hier aus? Fast kannst du sie spüren, diese Magie, die sich wie Fesseln um deine Haut legt und dich immer näher zieht.

War ich es oder warst du es?

Wer bist du überhaupt?

Erschrick nicht, mein Freund. Es ist an der Zeit, dass du es erfährst. Du hast den Weg der Wahrheit gewählt, auch wenn es meine Worte und mein Wille als Erzählerin waren, die dich nach sechzehn Jahren des Ringens mit der Geschichte an diese Stelle brachten.

Komm mit. Verlass für einen Augenblick den dunklen Märchenwald und folge mir in meine Realität. Frage dich nicht länger, was das für eine Frau und ein Kind sein sollen, die du zurückgelassen hast, um dich auf diese Suche einzulassen. Sie haben nie existiert.

Du hast nie existiert.

Zumindest nicht so, wie du es dir vorgestellt hast.

Komm mit mir zu dem Spiegel in meinem Schlafzimmer. Genau genommen sind es drei Spiegel, es ist ein großer Kleiderschrank, eigentlich für zwei Menschen gedacht und nicht nur für mich. Komm mit mir. Stell dich neben mich, vor mich, hinter mich, ganz wie du magst, und sag mir, was du siehst.

Sch, sch, sch. Nicht erschrecken, mein Freund. Erschrick nicht. Ich bin da, ich halte dich.

Natürlich ist das, was du siehst, eine Frau.

Ich bin es.

Und trotzdem bist du ein Mann. Du fühlst es bis ins Mark deiner Knochen. Wie kann das sein?
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Der Weg der Wahrheit. Du hast ihn gewählt, ich habe ihn gewählt. Also lass mich erklären, wenn ... wenn es erlaubt ist?

Im Innern jedes Mannes gibt es ein Abbild einer Frau. In seiner Kindheit wird sie durch seine Mutter geformt. Später im Leben wird sie wieder und wieder verändert, wird zum Abbild all der Frauen, die er liebt und geliebt hat. Sie ist für ihn eine Gestaltwandlerin. Manchmal weich, wunderschön, verletzlich und schützenswert. Manchmal ist sie eine Dämonin mit der Macht, ihn tief im Herzen zu treffen und so hart zu verwunden, dass er sich nie wieder davon erholt.

Sie ist seine Anima, hat man mir erzählt.

Das Abbild all dessen, was eine Frau sein kann.

Auch Frauen haben so etwas. Bei uns nennt man es Animus. Ein inneres Abbild des Männlichen, geformt durch die Männer, denen wir im Lauf unseres Lebens begegnen. Wenn ein Mann uns verletzt, wird unser Animus grausam, und unser Bild auf das Männliche verändert sich. Wir fangen an, herzlose Männer für "männlich" zu halten und nicht diejenigen, die sanft und gut mit uns wären.

Du, mein Freund ...

Erschrick nicht!

Ich habe sechzehn Jahre gebraucht, um es zu verstehen.

Deswegen hast du zu Beginn der Geschichte Frau und Kinder, Ordnung und Anstand hinter dir zurückgelassen und schleichst durch einen dunklen Wald voller sterblicher Überreste, bereit, eine völlig fremde Frau zu vögeln und sie in Besitz zu nehmen, ohne im Geringsten an ihr Herz oder eine gemeinsame Zukunft zu denken.

Erschrick nicht!

Es liegt lange zurück.

Ich erzählte die Geschichte Jahr für Jahr aufs Neue am Lagerfeuer, jedes Mal ein bisschen anders, doch das Schweigen blieb.

Bis ich begriff, dass sie weder von Liebe noch von Sex handelte, sondern von dir. Von einem Schwert, dass du mir weder ins Herz bohren noch fortwerfen sollst, um mich zu schützen. Du sollst stark sein und in der Lage, es zu führen, wann immer es notwendig wird, um mich zu schützen.

Du bist das Männliche in mir. Mein Beschützer und mein Geliebter.

Erschrick nicht, mein Freund. Fühlst du nicht, wie alles ineinanderfließt? Spürst du nicht, wie du endlich nach Hause kommst und du und ich nicht länger als zwei getrennte Wesenheiten existieren müssen, weil ich verlernt habe, dir und dem Männlichen zu vertrauen, es zu achten und zu bewundern - und immer wieder neu mit ihm zu spielen und zu fliegen?
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Jetzt ist es an der Zeit für dich, zurück in deine eigene Welt zu kehren. Du darfst zurückkehren das kleine Feuer am Ufer des Baches, der leise im Mondlicht gluckert. Glühwürmchen schweben zwischen den Bäumen, grünlich und magisch, Boten zwischen den Welten und zwischen Erde und Himmel. Die Bäume beschützen euch, und das tut nicht nur ihr gut, sondern auch dir.

War es den Preis wert, hast du sie gefragt.

Ja, ist ihre Antwort.

Es war eine dunkle Zeit. Sie hat sich selbst darin verloren, bis beinahe nichts von ihr übrig war. Nur Träume und Geschichten und ein Feuer aus Knochen, das bis zu den Sternen loderte und ihren Hunger trotzdem nie stillte.

Was nützt es, in den Armen eines Fremden zu ertrinken, wenn der Geschmack der Asche am nächsten Tag die Freude am Glitzern der Tautropfen im Morgenlicht zerstört?

Es war den Preis wert, sagt sie, und du kannst nur hoffen, dass sie die Wahrheit sagt. All die Dunkelheit, all die Jahre der Einsamkeit. Es war der einzige Weg, den sie finden konnte, der sie in dieser Nacht auf diese Weise in deine Arme führen konnte.

Halt sie fest, ja? Genieße, wie weich sie sich anfühlt, wie sie sich in deine Arme schmiegt und ihre Anspannung endlich nachlässt. Sie muss sich nicht länger verstellen, nicht stärker oder abgebrühter oder wilder erscheinen, als sie ist. Und wenn sie endlich tief durchatmet, erleichtert und getröstet, und ihr Gesicht zu dir hebt, dann ...
*******a80 Frau
167 Beiträge
Sprachlose Dankbarkeit für deine Geschichte schleicht sich in mein Herz. Lieben Dank @**********lerin ❤️👩‍❤️‍👨
******ico Paar
5.900 Beiträge
Schließe mich an: Atemberaubende Entwicklung(en), tolle Geschichte bzw. Gedanken!
Merci vielmals
Rico
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
Nimm sie in den Arm. Übereile nichts. Die Nacht wird so lange dauern, wie es nötig ist, und irgendwann verschiebt sich das Schwarz am Himmel in dunkelblau. So ist es gewesen, solange sich die Erde dreht, und so wird es bleiben, was auch immer in dieser Nacht noch geschehen könnte.

Blick dich noch einmal um, wie es deine Aufgabe ist: Ist dieser Ort sicher genug? Gibt es dort Gefahren, die ihr bedrohlich werden könnten, Wildschweine, Bären oder Vagabunden, die sie mit einem unhöflichen Blick beschmutzen könnten, während sie ihr Herz endlich öffnet und zu leuchten beginnt?

Während sie sich anschmiegt und endlich Heilung für sich selbst findet, hältst du dein Schwert fest und beobachtest die Umgebung mit aufmerksamem Blick, auch wenn das Blut in deinem Körper nach unten fließt und das Feuer dort erneut zu lodern beginnt. Sie ist so warm, so weich, so wild und mutig, und das findest du beinah unerträglich schön. Diese Frau und keine andere. Du willst sie haben und wie schon einmal in Besitz nehmen, doch dieses Mal wird es anders sein, und ein plötzliches Gefühl von Schüchternheit lässt dich zurückschrecken.

Du hast keine Vorstellung, wie wunderschön es werden könnte, doch die erste Ahnung davon zieht sich schon jetzt quälend durch deine Adern und lässt dich hart werden.

Lass ihr Zeit, so schwer es dir auch fällt, das ist der einzige Weg. Sie hat das Feuer immer geliebt, sonst wäre sie nie auf diesem Weg in die Dunkelheit gestürzt, doch es musste schon viel zu lange wild und hoch brennen. Feuer mag nicht laut sein, nur um die Angst zu überlagern. Diese Angst, die die Dunkelheit in ihr geweckt hat und die zu bedrohlich und still für Worte und Heilung war.

Feuer liebt das Leise. Stille Momente, in denen Zärtlichkeit und Lust und verletzliche Wildheit bis zu den Sternen lodern dürfen und vom Abendwind sanft angefacht werden.

Feuer hat es gehasst, dass es laut werden musste, weil sie sich nicht eingestehen wollte, dass sie Angst hatte.

Lass ihr Zeit, um die Angst zu fühlen.

Pscht.

Der Moment darf still bleiben. Das kann man aushalten, sei ehrlich. So schlimm ist das nicht.

Dein Hunger nach ihr kann warten. Damit das Gold in ihr Herz zurückkehren kann, muss sie spüren, dass sie sich nicht länger verstellen muss. Gönn ihr die Freude, frei zu werden. Halt sie fest, ganz sanft, ganz unerbittlich, und beiß sie vielleicht ein wenig in den Halsansatz, damit sie zu glühen beginnt, aber lass sie dann wieder los und warte erneutg. Es gibt viele Schichten von Alpträumen, die sich lösen müssen, bis das Feuer seinen Weg findet und endlich richtig lodern kann.

Feuer ist wild und hungrig, aber auch sanft und geduldig. Die ganze Welt weiß, wie geduldig Feuer darauf warten kann, den begehrten Menschen endlich in Besitz zu nehmen, und die ganze Welt preist es für diese Geduld. Feuer will alles. Sofort.

Für immer.

Aber das muss ich dir nicht sagen, das weißt du bereits. Du weißt und verstehst es besser als ich, denn das Schützen und in Brand setzen ist gleichermaßen deine Aufgabe und nicht meine. Ich als Erzählerin sehe zu und lächele mit blinzelnden Augen.

Und wenn sie sich irgendwann verändert, weicher wird und hungriger, wenn sie sich an dich schmiegt, mit wilden Küssen von dir trinken will und mit ihren Händen zart und selbstbewusst auf Forschungsreise geht, um von deinem Feuer zu trinken und ihres damit zu nähren ...

Bremse sie, hörst du? Bremse sie, solange du kannst. Je tiefer eine Verletzung geht, desto länger braucht sie, um zu heilen. Schenk ihr die Freiheit, zu glühen und trotzdem beschützt zu sein, ohne in Besitz genommen zu werden.

Irgendwann wird der Moment kommen.

Das muss ich nicht versprechen, denn ich spüre es genau wie du bis ins Mark der Knochen.

Doch bis dahin beschützen wir sie. Du und ich, Seite an Seite. Du hältst sie warm und ich webe den Zauberschleier, der eure Welt von meiner trennt. Am besten, du legst gelegentlich ein neues Stück Holz aufs Feuer, damit es knistert und behaglich bleibt, während die Alpträume allmählich in den Schatten verschwinden und kaum spürbar wie bei einem Wetterumschwung im Vorfrühling Platz für etwas Neues entsteht.
**********lerin Frau
1.031 Beiträge
Themenersteller 
--- Ende der Geschichte ---
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