Die Geschichte der Walddämonin
Meine Geschichte spielt in einer Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat. Aber es ist eine dunkle Zeit. Wer kann wirklich sagen, welche Wünsche jemand im Herzen trägt, bevor er nicht gezwungen ist, sich ihnen zu stellen?Wenn du mein Märchen hören willst, musst du mit mir in ein anderes Land kommen. Siehst du die nebeligen Ebenen unter uns? Weit hinten, dort, wo die Berge den Horizont verdecken, liegt der verzauberte Wald. Seit Menschengedenken ist niemand mehr von dort zurückgekommen. Man erzählt sich, dass dort eine Dämonin haust. Sie ernährt sich vom Leben und den Herzen all jener, die leichtsinnig genug sind, sich in Wald zu verlaufen …
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Manchmal erwachen junge Männer bei Nacht, lassen Frau, Kinder und Hof hinter sich zurück und gehen fort, gerufen von einer seltsamen Sehnsucht in ihrem Herzen. Wenn man sie fest hält, kämpfen sie nicht, aber sie essen und trinken auch nicht mehr und sehen die Menschen nicht mehr an, die um sie herum sind und sie lieben. Aber besser ist es, so sagt man, ihre Körper verhungern zu lassen, als ihre Seelen an die dunkle Waldgöttin zu verlieren.
Geh nicht in den Wald!
Natürlich bist du doch gegangen.
Unter den Bäumen umgeben dich feine Nebelschwaden; eine Feuchtigkeit voll Waldboden, Fichten und seltsam unpassenden Duft wie von Orangenblüten steigt aus dem Boden hoch und umgibt dich, füllt deine Lungen mit dem Gefühl von Sehnsucht und Dringlichkeit. Trotz der Dunkelheit stolperst du nicht und findest den Weg so sicher, als ob du geführt werden würdest. Sind es Äste, die unter deinen Füßen zerbrechen, oder die Knochen jener, die vor dir hier gewandert sind? Sind es Steine, über die du stolperst, oder die Schädel von anderen Männern, die zu mutig waren und nun nie wieder zurückkehren werden?
Irgendwo vor dir malt ein Feuer warme Reflexe auf einzelne Baumstämme, lässt einzelne glänzende Blätter als Konturen aus der Dunkelheit hervorschimmern und sich im nächsten Windhauch wieder verbergen. Du kommst näher, trittst heraus auf die Lichtung. Das brennende Feuer ist groß, größer als du gedacht hättest. Wer würde einfach so mitten im Wald so viel Holz verfeuern? Es ist kein Fest, zu dem man geladen hätte, und du weißt von niemandem, der hier im Wald lebt! Gehen die Fäden der Magie, die die Unschuldigen in die Dunkelheit locken, von hier aus? Fast kannst du sie spüren, diese Magie, die sich wie Fesseln um deine Haut legt und dich immer näher zieht.
Vor dem Feuer hockt eine junge Frau, ganz klein zusammengekauert und in einen Mantel mit Kapuze gehüllt.
„Mir ist kalt“, sagt sie leise, als du näher trittst. Du beugst dich herab und setzt dich neben sie ans Feuer. Sie dreht sich zu dir und ihre Stimme flüstert: „Magst du mich nicht wärmen?“ Ihre Augen rufen dich näher. Irgendwie möchtest du sie auf einmal in den Arm nehmen, sie an dich ziehen, ihr die Kleider vom Leib reißen. Noch während du diesen Gedanken zu unterdrücken versuchst, schiebt sie eine Schulter nach vorne, so dass ihr Umhang darüber fortrutscht. Unter dem Mantel ist sie nackt, und sie kommt dir näher.
„Das geht mir zu schnell“, sagst du nervös und willst etwas zurückweichen, als sie ihre Hand auf deinen Arm legt. Unter ihren Fingern beginnt das Blut in deinen Adern zu pochen.
„Leg dich hin“, sagt sie leise und drückt dich nach hinten, so dass du dich nahe beim Feuer auf den Rücken sinken lässt. In deinem seltsamen Traumnebel gefangen kommt die Situation dir gar nicht so seltsam vor, wie sie es müsste, und als unter ihren schmalgliedrigen Händen deine Kleidung zu Straub zerfällt, lächelst du nur leise. Ein spitzer Stein bohrt sich in deinen Rücken, aber als sie sich auf deinen Schoß setzt und sich über dich beugt, um dich zu küssen, spürst du die Steine und die kalte Nacht nicht mehr. Ihr schimmernder, einladender Mund über ihrem niedlichen spitzen Kinn lächelt geheimnisvoll, als sie mit der linken Hand ein magisches Zeichen in die Luft über dir webt. Tief in deinem Kopf weißt du, dass du dich fürchten müsstest, aber es ist, als wäre die Furcht von dir abgetrennt und nicht länger ein Teil von dir.
„Siehst du die Sterne über uns?“, wispert sie mit sanfter Stimme. „Spürst du den Wind auf deiner Haut?“
Jetzt fühlt es sich an, als ob deine Angst unter ihren Händen langsam mit dem Blut durch deinen ganzen Körper fließt. Sie füllt dich aus wie eiskalte Lava, sickert aus deinem Rücken in die Erde und strömt durch deine Nase hinaus in den Wind. Langsam atmest du ein und aus, und mit jedem Atemzug strömt mehr von deiner Seele hinaus in die Nacht, fließt mehr von dem dumpfen Frieden unter den Bäumen hinein in dich und verwandelt die ängstliche Beklemmung in verstohlene, unheimliche Lust. Nur einmal zuckst du kurz, als eine neue Woge von Angst zu schnell dein Herz erreicht, willst aufspringen, doch sie schnalzt missbilligend mit der Zunge.
„Bleib!“